Winfried Paarmann

Nur ein Wunder ist genug


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sah.“ In seiner Stimme nistete hörbar ein Stückchen Neid, er musste es wieder abwerten. „Ein bisschen wie nach einer Diät. Auch dein Gesicht. Als ob du zum Vergnügen ein paar Wochen gehungert hättest...“

      Er betrachtete diese Bemerkung als Witz, wieder lachte er los.

      „Sechzehn Jahre! Jedenfalls leben wir noch.“

      Er lachte aufs Neue.

      Die Blicke von Lukas schweiften zur Cellospielerin. Auch ihr Cello wippte mit den präzise und hinreißend musizierten Rhythmen. Jetzt merkte er, dass die junge Frau gleichfalls in seine Richtung blickte. Nicht nur einmal, sie blickte erneut. Dann wandte sie sich rasch wieder ihrem Notenblatt zu, ernst, konzentriert.

      Gerd reichte ihm die Speisekarte. „Bist eingeladen, wie schon gesagt.

      Was mich betrifft: Ich bin eigentlich abgefüllt. Zwei Geschäftstreffen. Zweimal ein kaltes Büffet.

      Trotzdem: Dir zuliebe greife ich noch einmal zu.“ Er klopfte sich auf den Bauch. „Schlank werde ich sowieso nicht mehr.“

      Lukas studierte die Speisekarte. Diese Preise hatten es in sich, jedes Speiseangebot mit einem Luxusaufschlag. Ihm hätte eine würzige Hühnerbrühe genügt, die suchte er hier freilich vergeblich.

      „Ich empfehle den Kaviarsalat,“ sagte Gerd. „Ein Freund und Kollege von mir hat ihn hier vor zwei Wochen gegessen.

      Also, was hast du die letzten Jahre gemacht, altes Haus?“

      Etwas irritierte ihn. Lukas schien nicht in der Laune zu reden.

      „Wenn du selbst nicht anfangen willst…“

      „Hast Karriere gemacht, wie es aussieht,“ sagte Lukas. Sein erster vollständiger Satz.

      „Mein Vater hat mir seine Großfiliale überlassen,“ sagte Gerd. „Hatte praktisch keine andere Wahl, als Karriere zu machen.“

      „Welche Sparte?“ fragte Lukas.

      „Sport- und Taucherartikel.“ Gerd winkte fast gleichzeitig ab. „Ich hätte ebenso gut Kücheneinrichtungen oder Kräne verkaufen können.

      Vom Tauchen verstehe ich nichts. Und Sport -“ Er zeigte wieder auf seinen Bauch. „Nun, etwas Sport könnte ich wahrscheinlich vertragen…

      Doch meine Leidenschaft wäre es nicht.“

      „Also auch keine Leidenschaft fürs Geschäft?“ fragte Lukas.

      „Für meine Sport- und Taucherware?“ Er lachte. „Meine Leidenschaft ist mein Bankkonto...“

      Noch immer ließ Lukas sich von seiner guten Laune nicht anstecken. Gerd kräuselte die Stirn. Machte er etwas verkehrt?

      „Erzähl endlich du!

      Was ist es geworden? Professor für Mathematik? für Naturwissenschaften?

      Da warst du immer das Ass.“

      Lukas schüttelte den Kopf.

      „Könnte auch etwas wie Philosophie oder Germanistik geworden sein. Warst eigentlich in allen Fächern ein Ass. Jedenfalls warst du immer mehr von der Fraktion der Idealisten.“

      „Musik,“ sagte Lukas.

      „Musik? Kann man davon leben?“

      „Schon. Jedenfalls als Dozent.“

      „Dozent für Musik?“

      Lukas nickte. „Es war meine Leidenschaft - Musik. Stärker als die für Naturwissenschaften und Mathematik.“

      Wieder traf sein Blick mit dem der Cellospielerin zusammen. Sie erlaubte sich plötzlich ein flüchtiges Lächeln dabei.

      Der Kellner trat an den Tisch.

      Gerd bestellte für sie beide einen Aperitif.

      Dann den Kaviarsalat. Auch diese Sache sah er bereits als geregelt.

      „Also – Musikdozent bist du. Und mit Leidenschaft. Ich erinnere mich jetzt. Du hast im Schulorchester die Posaune gespielt.

      Hättest auch eine Karriere als Posaunist machen können?“

      „Nein. Es blieb nur ein Hobby.“

      „Hochschuldozent, Musik.“ Gerd wiegte den Kopf. „Jedenfalls ein sicherer Posten.“

      Die Ungesprächigkeit von Lukas bereitete ihm weiter Unbehagen. Schließlich holte er seine Brieftasche hervor und entnahm ihr einige Fotos.

      Er schob ein erstes davon Lukas zu: zwei kleine Mädchen, beide mit völlig identischen Gesichtern, beide artig lächelnd, beide im gleichen Sommerkleidchen mit brav geknoteten Zöpfen.

      „Zwillinge?“ fragte Lukas.

      „Eineiig!“

      Gerd schob Lukas ein paar weitere Fotos zu – wieder mit seinen Zwillingstöchtern, dann eins mit seiner Frau. Schließlich das Foto einer modernen Villa mit Gartengrundstück. Davor ein parkender BMW.

      Die Villa hatte Stil. Lukas nickte anerkennend.

      „Selbst gebaut… Also – jedenfalls war es mein Entwurf.

      Ja, in mir schlummerte einmal ein Architekt. Habe ihn sträflich verkümmern lassen.

      Macht nichts. Man kann nicht alles haben.

      Und Du? auch Familie? auch schon eigenes kleines Krabbelvolk?“

      Er lachte. Er wartete.

      Wieder kam von Lukas keine Antwort.

      Machte er etwas verkehrt?

      Der Blick von Lukas blieb auf die Tischplatte gesenkt. Schweigen. Gerd sammelte die Fotos wieder ein, zunehmend irritiert.

      Plötzlich bewegte sich etwas durch die Tür, schwarz, von der Größe einer ausgewachsenen Bulldogge, es war ein Puma, er zog eine Halsleine hinter sich her, leicht fauchend trabte er auf die Tische zu.

      Einige Damen schrien erschreckt auf und zogen die Beine ein.

      Der Puma schnüffelte, trottete weiter von Tisch zu Tisch. Jetzt war er beim Musikerduo angelangt. Die zwei unterbrachen ihr Spiel, der junge Mann rückte schützend sein Keyboard in den Weg, die Cellospielerin ihr Cello. Dann flüchtete sie sich gleichfalls hinter das Keyboard. Der Puma stand still, fauchte.

      Lukas war aufgestanden. Er ging geradewegs auf den Puma zu.

      Er näherte sich von hinten, dann hatte er das Tier am Halsband gegriffen.

      Der Puma bemerkte es. Er begann, heftig den Nacken zu schütteln.

      Lukas hatte vorgesorgt. Er hatte sich einen Schaschlikspieß von einem der Tische gegriffen. Den streckte er nun dem Puma entgegen.

      Der schnappte nach dem Fleisch, sein Widerstand war für Augenblicke gebrochen.

      Er fraß. Lukas hielt ihn am Halsband fest.

      Einer der Gäste stand auf und brachte einen zweiten Schaschlikspieß.

      Das Tier spuckte den ersten Spieß aus. Wieder fraß es, fast eine Minute verging.

      Das Fleisch war verzehrt. Lukas wollte den Puma am Halsband mit Vorsicht wieder in Richtung der Tür ziehen. Das missfiel dem Tier allerdings, vor allem, dass es sich noch immer fest im Griff von Lukas befand. Es wollte sich jetzt losreißen, ein regelrechter Kampf setzte ein. Der Puma fauchte zunehmend aggressiv, er versuchte nach Lukas zu schnappen. Doch der blieb völlig kühl, auch wenn es ihn äußerste Anstrengung kostete, er hielt das Tier auf Distanz.

      Ein Mann und eine Frau, beide schon etwas betagt, offenbar ein Ehepaar, stürmte durch die Tür. Immer abwechselnd riefen sie: „Geriot! Geriot!“

      Die beiden Besitzer des Pumas.

      Jetzt hatten sie Lukas