Juergen Oberbaeumer

FUKUSHIMA - IM SCHATTEN


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hier kaufen, eine guenstige Gelegenheit. „Ja… nicht schlecht hier; die Leute anfangs etwas kalt“, haette Mariko zuerst empfunden, „bis man sie naeher kennenlernt. Auf der anderen Seite: die Atomkraftwerke in der Naehe… und dann der Strand: nur ein paar hundert Meter entfernt! Wenn da mal ein Tsunami kommt kannst Du laufen!“ sagte ich ihm Ende Februar.

      Jetzt, „zwischen den Jahren“, bei einer Flasche Wein, tauschten wir uns nochmal ueber das Gespraech aus. Das war schon eigenartig! Dass ich, neben der salzhaltigen Seeluft als Gefahr fuer seine Harley Davidson ausgerechnet Tsunami und AKWs anfuehrte. Zwar irgendwie logisch, aber in der Naehe zum Ereignis das beides ausloeste und verband, dem Beben Staerke M 9.0 frappierend. Er hatte uebrigens grosses Glueck: das Wasser stand ihm bis einen einzigen Zentimeter unter der Schwelle der Eingangstuer. Weil sein Haus auf einem hohen Sockel steht, blieb im Gegensatz zu den stark beschaedigten Nachbarhaeusern bei ihm und seiner Frau alles unversehrt.Uebrigens ist das ein Mann, baumlang wie er ist, von dem man sprichwoertlich sagen kann ihn habe der Blitz beim Scheissen getroffen. Er sass naemlich auf dem Firmenklo als es losging! Auf dem „Donnerbalken“ – weist das jetzt etwa auf einen Zusammenhang in umgekehrter Richtung hin, Chaostheorie, ‘der Schmetterlingsfluegel und der Hurricane’? Es gibt ja viel Unerklaerliches…

      Es lag was in der Luft. War das nur die allgemeine Weltlage, die „KRISE“? Oder etwas Anderes das mich veranlasste im Januar mein ueber’s ganze Haus in Schubladen und Tatami-Ritzen verstreutes Bargeld zu sammeln und einen echten Klumpen Gold dafuer zu kaufen? („Schubladensparen“ auch bei mir, 800 Milliarden Dollar liegen angeblich in ganz Japan in den Wandschraenken… kein Wunder bei den Null-Zinsen seit vielen Jahren. Deflation fast ununterbrochen seit dem Platzen der grossen Blase 1991…). Der dann kaum einen Monat spaeter im Sicherheitscheck des Flughafens Frankfurt, Weiterflug nach Muenster/Osnabrueck, die Beamten verblueffen und zu einer telefonischen Nachfrage animieren wuerde, ob das erlaubt sei? Es war; Hans im Glueck.

      Mein Testament zu machen, meiner Frau eine Generalvollmacht auszustellen? Meine gesamten Konto, PIN, Kenn- und sonstige Nummern schoen uebersichtlich aufzuschreiben, unglaublich was man alles haben muss, und alles mit Kopien fertig zu machen? Meine Sachen zu ordnen wie vor einem – einem was?

      Und was ist eigentlich mit meinen „Bunkerphantasien“? Die fallen mir auch jetzt erst wieder ein. Ich hatte im Februar fiebrige Naechte, war das eine Erkaeltung oder waren’s Zahnschmerzen, ich weiss es gar nicht mehr. Ich betrieb Weltuntergangsvorbereitungen… Ueberdreht lag ich Stunden um Stunden wach und plante. Ein Deutschlandticket zum 90. Geburtstag meiner Mutter war gekauft: ich freute mich und machte mir Gedanken, machte wahnwitzige Plaene. Wollte einen Keller bauen, ausserhalb des Hauses, unter der noch anzulegenden Terasse vor der Sousparterre-Wohnung die wie uns vor drei Jahren eingerichtet hatten. Von der Wohnung aus irgendwie begehbar… wie? Kann man sich fieberfrei gar nicht richtig vorstellen.

      Und der Clou war, dieser Keller sollte nach Norden hin, wo das Gelaende in nicht zu grosser Entfernung in ein Wiesental abfaellt, in eine Grotte uebergehen: in der man mit Wasser vom Bach wahlweise heisse und kalte Baeder nehmen koennte denn ich wollte eine beheizbare Badewanne aufstellen. Irgendeine alte Wanne mit einer Moeglichkeit Feuer drunter zu machen! Wie so ein Kannibalenkessel. Das malte ich mir in den schoensten Farben aus!

      Die Grotte aber wuerde vom Keller wiederum gut abgeschirmt sein; dem Keller als geheimen Rueckzugsort. Am Besten mit noch einem Geheimgang ins Freie! Davon phantasierte ich Stunden um Stunden, bis mir fast uebel war, und konnte es doch nicht stoppen.

      Tatsache ist jedenfalls, dass wir uns damals die Wohnung eingerichtet hatten mit Toilette und Dusche auf kleinstem Raum, was heisst Wohnung, es sind ja nur ein Zimmer und eine Kueche; aber eben doch eine komplett eingerichtete Einheit, und dass uns dies winzige Appartement jetzt ganz genau richtig kam. Ein Rueckzugsgebiet wie es im Buche steht. Fuer eine Zeit wenn einem der Himmel auf den Kopf fallen will.

      Meine Frau Mariko hatte auch schon laenger vage Aengste gehabt; grad als das Beben losging sprach sie mit 'Aichans Mama' am Telefon ausgerechnet ueber Erdbeben; es hatte einige „Vorbeben“ gegeben – die ich gar nicht registriert hatte. Wusste gar nicht, dass es „Vorbeben” gibt! „Ich glaube da kommt jetzt wieder eins!” warf sie den Hoerer auf und rannte raus ins Freie: 14:46 Uhr Ortszeit am elften Maerz 2011. Alle diese „Vorahnungen” kann man zwar erst im Nachhinein verstehen. Doch liegt das nicht in der Natur der Sache? Einen Kreis erkennt man eben erst als solchen, wenn er sich geschlossen hat! Der Anfang wird erst vom Ziel aus gesehen verstaendlich.

      Noch eine Tagebucheintragung zu Leons geplantem Auslandssemester; grad zwei Tage vor dem elften Maerz war von der ICU in Tokyo die Annahme gekommen, lese ich wieder. Am Abend des 10. Maerz schrieb ich: „…ich habe nur Angst vor dem grossen Beben. Wenn es doch vorher kommen wuerde!“ Damit meinte ich allerdings das „Kanto”-Beben im Grossraum Tokyo das nach wie vor ueberfaellig ist und vor dem ich nach wie vor Angst habe. Das letzte Mal ereignete es sich 1923; es hatte eine Staerke von M 7.9 und forderte ueber 140.000 Tote. Es machte fast zwei Millionen Menschen obdachlos weil grosse Teile Tokyos abbrannten ohne, dass man dagegen etwas tun konnte. Ob mein Wunsch also erfuellt wurde? Kann ich nicht sagen! Ich habe immer noch grosse Angst davor. Vermeide Tokyo seit zwanzig Jahren so gut ich kann - es ist aber damit wohl so wie mit dem Tod in Isfahan aus der alten Geschichte.

      Das Kanto-Beben hat eine Frequenz von etwa siebzig bis neunzig Jahren und ist damit jedenfalls ueberfaellig. Unseres hier kam wie der Blitz aus blauem Himmel, niemand hatte das auf dem Radar gehabt. Es kam doch. Erdbeben sind so schwierig vorherzusagen. Eigentlich kann es noch niemand. Es werden Wahrscheinlichkeiten angegeben wie: In den naechsten zehn Jahren wird sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent ein Beben der Magnitude M 8.0 da und da ereignen – was zu ungenau ist um Menschenleben retten zu koennen.

      Das naechste ganz grosse Beben auf das man sich hier vorbereitet ist das „Nankai“–Beben weit suedlich von Tokyo. Auch ein furchtbarer Tsunami wird da entstehen – Staedte an der ganzen, langen Kueste bereiten sich vor so gut sie koennen: es werden Lehren gezogen! Es werden sogar einige Teile gefaehrdeter Staedte voellig aufgegeben – der Schock dieses Tsunami war zu gross um die Leute nicht wachzuruetteln. Hunderttausende von Toten werden im schlimmsten Fall befuerchtet! Grauenhaft.

      Warum aber die Regierung Noda sich immer noch Sand in die Augen streuen laesst und glauben will, dass das AKW Hamaoka, sowieso in sehr bebengefaehrdeter Lage, durch eine 21 Meter hohe Mauer vor dem Meer geschuetzt werden kann? Es ist zum Verruecktwerden.

      Ein Buch! muesse ich schreiben, schnell! solange das Thema „Fukushima“ aktuell sei erklaerte mir Leon mit alttestamentarischer Bestimmtheit als wir Sylvester spaetnachmittags zum Baden ins „Kanpo-no-Yado“, dem Hotel fuer Postangestellte fuhren, mit der Venus schon sehr sehr tief ueber den Bergen; ich mit dem Gefuehl: da wird eh nix draus! weil ich mit dem vermaledeiten „Kanpo-no-Yado“ immer nur Pech gehabt hatte. Mal war’s geschlossen gewesen, und dann der Tag mit Bernd und seiner Schwalbe… Saori musste sich umziehen, Saori musste sich schminken waehrend ich auf dem Parkplatz (ich hatte mich extra beeilt!!) in der Hitze kochte. Als sie dann endlich fertig waren und wir zum Strand gingen, wo mir Bernd eroeffnete, dass er gar nicht schwimmen wollte, war ich dermassen in Brast, dass ich voller Verachtung meinen beruehmten Koepper in zehn Zentimeter tiefes Wasser machte: der mir zu Bernds bleibender Belustigung einen steifen Nacken und eine schoene Schramme an der Stirn eintrug! Mich aber in wunderbarer Weise – auf der Stelle beruhigte.

      Das also ist „Kanpo-no-Yado“, und ich war nicht sehr ueberrascht als uns ein Schild am Eingang darauf hinwies, dass der Badebetrieb fuer andere als Hotelgaeste seit 17:00 Uhr beendet sei. Mit einer tiefen, bedauernden Verbeugung bestaetigte es das freundliche Maedchen am Empfang. Ich fuehlte mich – bestaetigt, was sonst.

      Aus lauter Frust gingen wir viel zu teuer essen in eine Bar am Wasser, ganz in unserer Naehe: deren zweiter Stock den Tsunami ueberlebt hatte.

      Ein Buch! Lieber Leon; als ob ich nicht wuesste was ein BUCH ist, eins das den Namen verdiente, sagen wir mal. Als ‘Leser’, hallo Arno Schmidt noch mal, als Buecherwurm seit dem „Gluecklichen Loewen“ weiss ich was ein Buch ist. Lese seit Weihnachten zum zweiten Mal die „Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch, lese und staune voller Ehrfurcht. Auch voll Scham, dass ich damals zu May sagte es haette