Juergen Oberbaeumer

FUKUSHIMA - IM SCHATTEN


Скачать книгу

das sass! Ganz abgesehen von den beiden grossen Toechtern aus erster Ehe, Julia und Kaya, die ebenfalls Berufsmusikerinnen sind! Ich vermisse Ihn sehr.

      „Taira, Taira, hier ist Taira! Endstation, bitte alles aussteigen!“ singsangte die Stimme am 29. Juni 1984, ich verstand natuerlich ausser dem dreimaligen „Taira“ nichts. Ob das irgendwas mit dem „Taira-Clan“ zu tun hat, dessen Untergang in der Seeschlacht von 1085 in Literatur und Legende bis heute zurueckhallt? Wie der „Nibelungen Not und Klage“ bei uns? Ist unwahrscheinlich. Haette mich auch nicht die Bohne interessiert – ich kam voellig unvorbelastet hierher, unbelastet von Wissen um Japan jedenfalls. Hatte ausser einem Merian-Heft nichts Vorbereitendes gelesen, ausser einem Gespraech ueber Hong-Kong nicht das Geringste aus erster Hand ueber Asien erfahren: ich wollte unvorbelastet reisen. Mein kleiner gelber Sprachfuehrer lag ganz unten im Rucksack; ich war nicht ueber das Verb „arimasu“ hinausgekommen, „sein“, „haben“, und nach fast 28 Jahren bin ich im Grunde auch heute nicht sehr viel weiter. Zu meiner Schande, sicher. „Kanji“ heisst das Problem, „chinesische Schriftzeichen“ auf Deutsch; und es gibt nicht nur fast unendlich viele von ihnen, nein sie sind auch noch alle anders!

      Und werden darueber hinaus auf viel zu viele Arten wechselnd ausgesprochen, zum Beispiel wird das Zeichen „Taira“ auch „Heike“ ausgesprochen, und damit sind wir beim Nationalepos der Japaner: der „Geschichte der Heike“. Und mittendrin im Dilemma aller Auslaender hier. Keiner kann richtig lesen! Ausser absoluten Spezialisten wie Donald Keene, der jetzt im Alter von 88 Jahren endgueltig von Amerika nach hier uebersiedelte und Japaner wurde um Solidaritaet zum Ausdruck zu bringen! Toll – aber nichts fuer mich.

      Von den Heike wenigstens hoerte ich spaeter singen: sehe und hoere noch heute den alten Biwa-Spieler gewaltig in die Saiten greifen, obwohl sein Gesang schon lange Jahre verstummt ist.

      Ein Recke wie Volker, der Spielmann: ein alter Mann allein im Wald lebend – mit seinem Instrument, der Laute, und seinem Kummer. Ich verstand kein Wort seines Vortrags. Begriff trotzdem! Wie er in sich gekehrt sang, so als ob er ganz allein unter einer uralten Kiefer saesse. In ihren Zweigen den Wind von tausend Jahren wehen hoerte.

      Eine Fliege krabbelte ueber seine Glatze, er bemerkte sie nicht. Er spielte und sang. Selten hat mich ein Vortrag so beeindruckt wie der!

      „Taira“ wird mit einem einzigen Kanji geschrieben und heisst auch „Frieden“, „Eintracht“, wenn es in Kombination steht, und es ergibt auch das schoene Wort „Heeheebonbon“ das mich zu regelrechten Lachkraempfen brachte als Mariko es aussprach um unseren hippyhaften Lebensstil gegen Ende eines schoenen Sommers zu charakterisieren. Braungebrannt wie frischgebackene Broetchen waren wir, und muede und satt vom Schwimmen in der weiten, weiten See. Sie lag lang ausgestreckt auf dem Packtisch in unserem Spielwarenlager waehrend ich mich auf den Tatamis waelzte und mir schier die Seiten zerspringen wollten… und unsere gute Katze „Happy“ dazu schnurrte: was waeren wir ohne Katzen.

      Inzwischen heisst der Bahnhof lange nicht mehr Taira sondern Iwaki; zufaellig umbenannt waehrend der Amtszeit eines Buergermeisters der „Iwaki“ heisst, inzwischen Abgeordneter im Unterhaus in Tokyo; voellig unbelastet von den Vorwuerfen, er habe mit dem Bau der neuen Radrennbahn auch sich selbst bzw. seine Parteikasse maechtig gestaerkt… 13 Millionen Euro, hoerte ich, Wahlkaempfe kosten eben so furchtbar viel.

      Fuenf Prozent seien frueher der Satz an kickback gewesen, jetzt seien es nur noch drei Prozent. Schlechte Zeiten fuer Politiker auch hier. Die Bauindustrie… „Dogs and Demons“ eben, Alex Kerr, Pflichtlektuere. Jetzt wieder brandaktuell; jetzt wird Geld verdient, Leute, Geld fliesst in Stroemen! Eine kleine Menge davon bleibt in Iwaki haengen, alle Hotels sind ausgebucht, die Kneipen abends voll bis zum Stehkragen; die Maedel in den diversen Clubs haben sicher genug zu tun. Arbeiter und Ingenieure, was weiss ich wer da alles die Strassen abends bevoelkert, ich bin nicht oft in der Stadt. Man sieht aber zu allen Zeiten Busse fahren und erschoepfte Maenner in einer Art Gaensemarsch aussteigen; diszipliniert, von einer Aura der Unnahbarkeit umgeben. Stigmatisiert – wie wir alle in Fukushima, aber die eben richtig. Vor Abfahrt stehen sie dann draussen und warten, jeder steht fuer sich allein, raucht, fummelt was am Handy. Klappe zu. Keine Kameradschaft ist erkennbar, keine Verbindung untereinander und erst recht nicht zu uns Voruebergehenden gibt’s da. Als ob sie sich schaemen muessten: und nicht wir Einkaufenden, Lachenden, Lebenden. Betrogene sind sie, die Gangster haben auch diese Geldquelle sofort angezapft heisst es: schoepfen den Rahm ab. Ob es stimmt? TEPCO zahle tausend Euro pro Mann und Tag – was davon wirklich ankommt beim Malocher seien hundert Euro. Na, dafuer haben die Schlepper natuerlich auch viele Unkosten! In Deutschland waere es wahrscheinlich auch nicht viel anders, siehe Guenter Wallrafs „Ganz unten“, wo er in seiner falschen Identitaet als Ali, der Tuerke, fuer Reinigungsarbeiten im AKW Wuergassen angeheuert werden soll… Ob das viele Geld ausser der Bauindustrie, inklusive Yakuza und Politikern eben, auch sonst noch jemandem helfen wird? Ob es vielleicht sogar etwas Gutes bewirken kann, einen Wandel?! Eine Energiewende? Ich bin sehr skeptisch. Es sieht nichts danach aus, es ist zum Verzweifeln. Nicht einmal in unserem Teil der Insel tut sich was, geschweige denn im Zentrum der Macht und der Dummheit, Tokyo.

      Die Leute sind so phlegmatisch. Die reinen Schafe. Ob sie, ob wir zur Schlachtbank gefuehrt werden sollen? Hoffen wir es nicht, geneigter Leser. Obwohl wir doch wie Schafe sind: die einzige Demonstration gegen den atomaren Wahnsinn, die ich hier in Taira sah war zu beklemmend. In der schwuelen Nachmittagshitze eines Sommertags bewegte sich da ein armseliger Zug von wenigen hundert Maenneken in Richtung Bahnhof, schoen die Ampelphasen beachtend, beaeugt von den vorbeifahrenden „Einheimischen“ wie mir, die wie ich keine Zeit fuer so etwas hatten. Parolen wurden ohne Resonanz skandiert: wer kann schon aus voller Kehle bruellen wenn ueberhaupt kein Echo da ist? Und Transparente mitgefuehrt auf denen Sachen standen wie „Schluss mit der Atomkraft“. Was die Regierung allerdings zweifellos korrekt las, Kanjis haben ja immer mehr als eine Lesart, war wohl eher: „Entwarnung! Es kann in Ruhe so weitergemauschelt werden wie bisher!“

      Zwei, dreihundert Maenneken – nicht mehr. Ausser an unseren beiden Kleinwagen, die eine Sonne tragen und „Atomkraft – Sayonara!“ drumherumgeschrieben, habe ich noch kein einziges Auto mit so einem Sticker gesehen. Was sehr Viele angeklebt haben ist der ermunternde Spruch: „Iwaki! Wir schaffen’s!“ Auch nicht schlecht – aber auch nicht gut genug!

      Ich habe die Ruinen von Dai-ichi in der Webcamera von TBS/JNN (nicht mehr in der mit dreissig Sekunden Verzoegerung abbildenden Kamera von TEPCO; ein Schelm wer Boeses bei den dreissig Sekunden Puffer denkt…) den ganzen Tag auf dem PC. Auch mit Ton; ausser dem Wind hoert man zum Glueck nichts! Was ist zu sehen? Weisse Gebaeudereste in der Ferne, grosse Kraene die sich selten bewegen. Sonst nichts. Sollte ich froh sein, dass sonst nichts zu sehen ist? Bei Nordwind, wie heute, auf jeden Fall.

      Andererseits frage ich mich aber – warum wird da nicht endlich mit einem dem Ernst der Lage angemessenem Einsatz gearbeitet? Glaubt Tepco, ich bin die Grossbuchstaben leid, glauben die Politiker wirklich das Problem erledige sich durch Liegenlassen? In TsTschernobyl schufteten sie, 500.000 Menschen aus dem ganzen Land allein in den ersten sechs Monaten: unter Einsatz ihres Lebens. Heroisch, es kommen einem die Traenen, wenn man Dokumentationen auf „YouTube“ sieht, und es ist gut, dass hier niemand so leiden muss, aber machen es sich die „Liquidatoren“ hier in ihren Bueros nicht doch viel zu einfach? Warum wird nicht endlich die grosse Spundwand gebaut, die das Meer schuetzen soll? Warum versucht man nicht unter die Reaktoren zu kommen, um das Corium, den geschmolzenen 3000 Grad heissen Hoellenbrei, aufzufangen bevor er sich durch die letzten Zentimeter Beton frisst, die laut den neuestenComputersimulationen noch da sind?

      Warum nicht? „Es ist zu teuer“ ist die einzig zutreffende Antwort. Die aber niemand offen geben wuerde.

      TsTschernobyl wurde sofort untertunnelt – hier schlafen alle! Oder? „Zu teuer“ wie Schutzmassnahmen die nach dem Tsunami vor Sumatra zu Weihnachten 2004 hier empfohlen worden waren, „zu teuer“ wie die Entwicklung besserer Energiequellen.

      „Zu teuer“ – bis ploetzlich der Vorhang reisst und man sich die Augen reibt und sich fragt wie blind man eigentlich war.

      Ich hoffe also, dass ich keinen dumpfen Knall hoeren werde wie ich hier schreibe: obgleich DAS ja immer noch den Vorzug haette, dass