Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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      - Ich habe ein schlechtes Gefühl.

      - Sei nicht abergläubisch. Ich habe vorsorglich die Noten mitgebracht, wir könnten das Werk hier gründlich studieren.

      - Wir sollten mit Michel drüber reden. Vielleicht kann er den Klavierpart übernehmen.

      - Ja, das wäre wirklich toll. Aber er kann nicht in unserem Elternhaus spielen.

      - Warum nicht?

      - Ganz einfach. Weil er nicht eingeladen ist. Unser Vater würde ihn nie einladen. Er ist strikt gegen meine Beziehung mit Michel, das weiß ich aus sicherer Quelle. Wir sollten im Vorfeld keinen Konflikt mit ihm provozieren. Vaters Gesundheit ist sehr labil.

      - Dann sollten wir es wenigstens hier mit Michel probieren. Dann sehen wir, ob das Experiment gelingen kann.

      - Bis zu unserer Abreise bleibt uns genügend Zeit zur Probe, sagte sie. Wir werden das schon schaffen.

      Sie einigten sich mit Michel auf das Doppelkonzert von Brahms, das er nach kritischer Durchsicht des Klavierauszugs glaubte, vom Blatt abspielen zu können.

      In den verbleibenden Tagen verliefen die Proben überraschend erfolgreich. Gemeinsam versenkten sie sich in die Musik. Sie spielten unter freiem Himmel. Die Musik wuchs mit den Stimmen der Natur zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Es war hinreißend. Michel war von der Idee einer öffentlichen Aufführung begeistert und drängte die Beiden, den Versuch zu starten, ein Konzert zu Ehren des Vaters zu geben. Vielleicht würde es Julia gelingen, ihren Vater zu überzeugen, Michel in seinem Hause zu empfangen. Er hoffte es, weil er die deutlich zu spürende Barriere der Ablehnung überwinden wollte.

      Julia konnte ihm keine Hoffnung machen, denn sie wusste, wie stark die Ablehnung ihres Vaters war, einen Schwiegersohn zu akzeptieren, den er nicht ausgewählt hatte. Sie war verstimmt, verbarg aber ihre Gefühle, denn sie wollte sich keine Schwachheiten erlauben.

      Wenige Tage später nahm sie von Michel Abschied und ermahnte ihn, besonders sorgfältig die Testserien zu dokumentieren. Traurig ließ Michel seine Geliebte davonziehen. Seine Gedanken waren in erster Linie auf eine künftige und bleibende Verbindung mit ihr gerichtet. Alles Andere war für ihn sekundär. Und doch wusste er, dass von den Tests sehr viel abhing. Es ging um das Überleben der Forschungsstation und des Krankenhauses. Ohne die erfolgreiche Entwicklung des neuen Medikaments würde es kein Überleben geben. Weder des Krankenhauses noch der vielen Patienten.

      Auch Hinrich verließ die Plantage mit vielfältigen Gedanken. Er überlegte, mit welcher spektakulären Aktion er seinem Vater imponieren könnte. Zunächst war es das Konzert, das zur Bewältigung anstand. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Was würde sein Lehrer Paulsen dazu sagen? Wer würde den Klavierpart übernehmen können und wollen? Michel kam dafür nicht in Frage, darüber machte er sich keine Illusionen. Zu tief war der Graben zwischen seinem Vater und Michel. Er war unüberwindbar. Zu groß waren die Vorurteile. Wer auch immer es war, er wollte seine Tochter bei sich in seiner Nähe haben und wollte sie in der Firmenleitung wissen. Auf ihr ruhten seine Hoffnungen.

      Sorgenvolle Heimkehr

      Die Flugverbindung führte über Houston und Frankfurt nach München. Zwei Tage waren sie unterwegs gewesen. Die Maschine war pünktlich gelandet. Der Chauffeur, der seit vielen Jahren fast schon zur Familie gehörte, holte sie am Flughafen ab.

      - Wie geht es Vater?, erkundigte sich Hinrich.

      - Eigentlich ganz gut, sagte der Fahrer etwas zögerlich, aber die Verantwortung für die Firma belastet ihn sehr. Ich fahre ihn – wie seit fast dreißig Jahren – noch immer jeden Tag ins Büro, aber man merkt ihm an, dass er alt wird. Er ist nicht mehr der sichere Fels in der Brandung. Das Beste wäre, er würde mit der Arbeit aufhören, aber er kann sich nicht trennen.

      Der Wagen hielt vor der Einfahrt zur Sämann-Villa am Starnberger See. Sie wurden von ihrem Vater und seiner Schwester am Eingang erwartet. Er stützte sich auf einen Stock, sie hielt ihn fürsorglich am Arm. Er löste sich von ihr und ging seinen Kindern ein paar zögerliche Schritte entgegen, umarmte seine Tochter und reichte seinem Sohn flüchtig die Hand:

      - Wie schön, dass ihr wieder da seid. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, weil ihr so spät gekommen seid, und so viele Flüge ausgefallen sind. Aber nun seid ihr da, kommt herein. Möchtet ihr eine Tasse Kaffee oder lieber einen Tee trinken?

      Ingrid gab ihrer Nichte einen Kuss und nickte ihrem Neffen zu: Kommt erst einmal herein. Wir treffen uns in der großen Halle am Kamin.

      - Ihr werdet müde sein von dem langen Flug. Wollt ihr euch erst etwas ausruhen und die Beine hochlegen?

      - Nein, dazu habe ich jetzt nicht die Ruhe, sagte Julia. Ich will mich nur ein wenig frisch machen und komme gleich zu euch. Gern nehme ich eine Tasse Kaffee.

      Hinrich hatte sich zurückgezogen. Er hatte gesagt, dass er erst einmal einen Blick auf seinen Schreibtisch werfen müsse. Tatsächlich erwartete er nichts von Bedeutung, aber er wollte für einen Augenblick allein sein, wollte auch seinem Vater und Ingrid nicht Rede und Antwort stehen. Aber sein Vater war gar nicht anwesend.

      - Wolfgang lässt sich entschuldigen, sagte Ingrid. Er fühlt sich noch ziemlich schwach. Eure Ankunft hat ihn ziemlich aufgeregt. Er wollte sich etwas hinlegen.

      - Wie geht es ihm?, erkundigte sich Julia beunruhigt.

      - Ingrid schenkte Kaffee in kleine Porzellantassen: Es geht so einigermaßen, aber er ist ziemlich schwach auf den Beinen. Er ist ständig in Behandlung, aber es geht nicht richtig voran. Ich mache mir Sorgen. Er sollte sich mehr schonen und nicht mehr täglich ins Büro gehen. Aber er kann nicht loslassen.

      - Er sollte einen Nachfolger suchen, sagte Julia.

      - Das will er nicht. Er meint, er müsste die Firma erst wieder auf das richtige Gleis führen.

      - Das könnte auch ein anderer tun, warf Julia ein.

      - Ingrid blickte aus dem Fenster: Vielleicht. Aber er lässt sich nichts sagen.

      - Er ändert sich nicht.

      - Ingrid lenkte ab: Wie kommt ihr mit den klinischen Tests voran?

      - Viel zu langsam und sehr mühsam.

      - Die Berichte, die ich bei meinem letzten Besuch von Claude bekommen habe deuten darauf hin, dass die Ursache der Krankheit wahrscheinlich an der Zuckerverarbeitung und möglicherweise auch an den Pestiziden zur Schädlingsbekämpfung liegt. Stimmt das? Habt ihr inzwischen die wirkliche Ursache der Niereninsuffizienz herausgefunden?

      - Julia zögerte mit der Antwort: Nein, noch nicht. Aber wir sind zufällig auf eine interessante Entdeckung gestoßen.

      - Nämlich?

      - Es gibt viele unterschiedliche Dahlienarten bei uns. Einige Pflanzen produzieren Inulin, eine Substanz, die den Menschen bei Verdauungsstörungen hilft. Die Azteken kannten ihre heilsame Wirkung und die anderer ätherischen Öle. Die Azteken haben den Kranken die geriebenen Knollen zum Verzehr gegeben. Das hat ihnen geholfen, ihre Darmflora zu stabilisieren.

      - Ich glaube, davon gehört zu haben. Und was bedeutet das für eure Arbeit?

      - Vielleicht sehr viel. Ich bin mir noch nicht so sicher. Diese Entdeckung hat uns auf eine neue Spur gebracht, der wir nun nachgehen. Wir müssen wieder die heilsamen Kräfte der Natur nutzen: Es sieht so aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Zuckergewinnung und der Nieren-Krankheit besteht. Es scheint zu einer Verdauungsstörung zu kommen. Über den genauen Wirkungszusammenhang tappen wir noch im Dunkeln.

      - Das wäre sensationell, wenn ihr da auf eine neue Idee gekommen wäret. Daraus könnten neue Produkte entstehen. Ein großer Markt!

      - Wir müssten mehr über die Ess- und Lebensgewohnheiten der dortigen Menschen erfahren, aber die Inhaber der Plantage unterdrücken alle sachdienlichen Informationen.

      - Warum?, es läge doch in ihrem Interesse.

      - Eigentlich ja, aber sie