Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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      - Im Augenblick kann ich nichts machen. Ich kann nur warten, bis er selbst zu der Einsicht kommt, dass er das Ruder aus der Hand geben muss.

      - Letztlich wartest du also auf sein baldiges Ende?

      - So kann man das nicht sagen. Aber ein Wechsel in der Unternehmensführung wäre überfällig.

      - Möchtest du sein Nachfolger werden?

      - Im Prinzip schon, aber er wird es nicht zulassen. Er hält nicht viel von mir. Bei dir wäre es anders. Du hast sein volles Vertrauen. Könntest du nicht in die Firmenleitung eintreten?, fragte er ohne große Hoffnung. Dann wären wir die augenblicklichen Schwierigkeiten los.

      - Nein, meine Aufgabe ist hier. Ich bleibe in der Forschung und will mein kleines Unternehmen, wenn es erfolgreich ist, an die Börse bringen oder an einen großen Pharma-Konzern verkaufen. Dann wäre ich unabhängig, könnte meinen eigenen Weg gehen.

      - Aber das ist noch ein weiter Weg. Erst brauchst du die Zulassung zu dem neuen Medikament.

      - Das ist mir vollkommen klar, sagte sie. Vor allem brauchen wir Zeit. Damit sie uns nicht davonläuft, brauchen wir einen neuen Geschäftsführer für die Gruppe. Wenn du das Vertrauen von Ingrid hättest, dann könnten wir drei einen Gesellschafterbeschluß fassen und dich zu seinem Nachfolger wählen, denn wir Drei haben die Kapitalmehrheit. Wir müssten uns nur einig sein.

      - Das würde ich gegen Vaters erklärten Willen nie machen. Das würde auch nicht gut gehen, sagte er und kauerte sich zusammengesunken auf seinem Stuhl.

      - Ist dir nicht gut? Möchtest du dich hinlegen?

      - Nein, sagte er. Ich sehe nur keinen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Wir brauchen Hilfe von außen.

      - So schlecht ist unsere Lage gar nicht, gab sie zu Bedenken: Du müsstest das Vertrauen unseres Vaters und seiner Schwester gewinnen. Du müsstest an irgendeiner Stelle auf einen persönlichen Erfolg verweisen können. Du müsstest etwas ganz Spektakuläres tun, damit du Vaters Zustimmung zu deiner Nachfolge bekommst. Er muss Vertrauen zu dir gewinnen.

      Hinrich schöpfte neuen Mut, indem er in sich hineinhorchte. Plötzlich eröffnete sich eine neue Perspektive für ihn: Er brauchte einen Erfolg. Das Glück musste ihm helfen oder das Schicksal. Er wollte sich etwas einfallen lassen und suchte Zeit zu gewinnen. Ich denke, sagte er und erhob sich mühsam als sei er ein alter Mann, wir sollten uns mit diesem kritischen Thema zu einem späteren Zeitpunkt eingehender befassen. Damit wollte er den Raum verlassen, um allein zu sein. Zudem spürte er den unerträglichen Druck, der auf ihm lastete.

      - Sie aber hielt ihn zurück: Vergiss nicht, die Zeit drängt. Fast jeden Tag haben wir hier neue Opfer zu beklagen. Die Presse wird schon aufmerksam. Neulich schnüffelten hier ein paar Journalisten herum. Sie stellten den Angestellten viele unangenehme Fragen. Wir mussten sie mit Gewalt von der Plantage jagen. Darüber hat die regionale Presse ausführlich berichtet. Wir werden schon mit den alten Machthabern der Drogenkartelle in Verbindung gebracht.

      - Hoffentlich greifen die überregionalen Zeitungen dies Thema nicht auf. Ich möchte nicht beim Frühstück in der Presse lesen, dass man dich gekidnappt oder gar erschossen hat.

      - Das hoffe ich auch. Es ist nicht gut, wenn man erst einmal in die Schlagzeilen geraten ist.

      - Irgendetwas bleibt immer hängen. Da kann man tun, was man will. Man hat einen Makel, der an einem klebt. Und den will ich nicht haben.

      - Um abzulenken fragte sie ihn, ob er einen besonderen Wunsch für seinen restlichen Aufenthalt auf der Plantage habe, den sie ihm nach Möglichkeit erfüllen würde. Er sagte, dass er gerne Land und Leute kennenlernen würde, wenn das in der kurzen Zeit noch möglich wäre.

      Sie griff zum Telefon und bat Michel zu sich:

      - Kannst du kurzfristig eine Fahrt zum Pazifik oder vielleicht zum Lago di Nicaragua oder zum Cocibolca See organisieren?

      Ohne sich lange zu besinnen sagte er, es sei kein Problem, sie müsse nur sagen, wann sie fahren wolle. Am bestem wäre es, wenn sie sich eine ganze Woche oder sogar zehn Tage Zeit nehmen würden. Die Fahrt sei ziemlich weit und auch beschwerlich, die Straßen seien schlecht und vielleicht wollten sie auch an einigen besonders schönen Stellen etwas verweilen oder sogar im Pazifik baden. Auch wäre eine Trekking-Tour entlang der Vulkankette sehr zu empfehlen. Dann könnten sie auch die historischen Städte der Spanier besichtigen. Er würde gern die Führung übernehmen.

      - Sie beendete das Gespräch: Vielen Dank Michel, ich gebe dir noch Bescheid.

      Ihr Bruder verstand den Wink und wollte den Raum verlassen:

      - Das hört sich gut an, sagte er

      - Nicht so eilig, sagte sie, setze dich noch einen Augenblick, wo willst du denn hin?

      Er setzte sich wieder wie ein gehorsames Kind: Wann könnten wir fahren?

      - Leider habe ich dazu keine Zeit. Aber du könntest allein mit ihm fahren, wenn du willst. Er kann dir sehr viel über sein Land erzählen. Er kennt sich gut aus.

      - Ich will es mir überlegen. Das Angebot ist sehr verlockend.

      - Julia wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Dann blickte sie aus dem Fenster: Ich würde dir gerne noch die Schule zeigen, wo ich Musik unterrichte. Dort ist auch unser neuer Festsaal. Kürzlich hatten wir eine Aufführung der Zauberflöte mit der Musik von Mozart. Das war ein voller Erfolg. Die Kinder waren mit Begeisterung bei der Sache, und ihren Eltern hat es auch gefallen.

      - Wie bist du denn auf dieses Stück gekommen? Das ist doch für Kinder viel zu anspruchsvoll.

      - Im Gegenteil: Das Werk ist besonders für Kinder geeignet, denn es entspricht ihrer Welt von Geistern, Dämonen und göttlichen Wesen. Und die Musik lässt sie zur inneren Ruhe kommen. Sie wirkt wie heilsame Medizin.

      - Das glaube ich gern. Auch auf mich wirkt sie beruhigend und inspirierend zugleich.

      Sie griff in eine Schublade und holte eine Mappe hervor:

      - Schau dir das an. Ich zeige dir ein paar Bilder von der Aufführung. Dies Gebäude dort drüben ist unsere Schule mit dem Festsaal, den ich vor kurzem anbauen ließ. Dort haben wir die Aufführung gemacht. Es war mir wichtig, den Kindern zu zeigen, dass Forschen, Lehren und Lernen eng zusammen gehören. Die Kinder haben große Ehrfurcht vor uns Forschern. Wir scheinen ihnen manchmal wie höhere Wesen, fast wie Magier in einem Zauberreich oder eine Art Medizinmann. Einige möchten später auch Forscher oder Arzt werden, wenn sie mit der Schule fertig sind.

      Das nächste Bild: Ein Blick in den Unterrichtsraum: Julia unterrichtete Musik in einer Klasse von neun bis zwölfjährigen Mädchen und Jungen. Sie hielt ihr Cello in der Hand. Ein einfacher Raum mit ein paar Schreibpulten für die Schüler mit Blick auf die Wandtafel. Davor ein etwas erhöhtes Podest, für die Lehrkraft. Meistens ein Engländer oder Amerikaner, wie Julia erläuterte. An diesem Tag vertrat sie ihre seit ein paar Wochen erkrankte Kollegin, erklärte sie. Durch die geöffneten Fenster mit Holz-Jalousien schien die spärlich abgedunkelte Sonne. Es war heiß und tropisch feucht in der Nähe der fruchtbaren Küstenebene nordwestlich von Managua. Ein ideales Klima für den Anbau von Zuckerrohr, aber für die Menschen ungesund zum Leben.

      Sie trug einen leichten Rock und eine Bluse. Sie schrieb ein paar Worte an die Tafel: „Wir wollen leben und lernen, damit es uns künftig besser geht.“

      - Die Kinder klatschten und riefen begeistert: „Ja, wir wollten leben!“, riefen sie.

      - Das ist anrührend, sagte Hinrich.

      - Ist es wirklich. Das ist unter den harten Lebensbedingungen wirklich nicht einfach, sagte Julia. Sie bekommen nur selten einen vernünftigen Unterricht.

      - Kann ich mir vorstellen.

      - Möchtest du ein Glas Wasser trinken oder etwas anderes?

      - Danke. Sehr gerne nehme ich noch einen Saft, sagte Hinrich.

      Es folgte ein weiteres Bild, welches das lebhafte Treiben auf der Straße zeigte. Offenbar