Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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      - Ja, das ist wahr. Es hat mich auch beunruhigt. Damals stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn ich Entscheidungen träfe, die zu Schadenersatzansprüchen meines Klienten gegen mich führten. Aber mein mir damals vorgesetzter Partner beruhigte mich und riet mir, den Auftrag nach bestem Wissen und Gewissen durchzuziehen. In ganz kritischen Situationen könnte ich ihn zu Rate ziehen, sagte er.

      - War es erforderlich?

      - Nein, denn es ging alles gut. Ich habe die Firma aus den damals bestehenden finanziellen Schwierigkeiten herausgeführt.

      - Dann könnt ihr ja von alten Zeiten plaudern und habt viele Anknüpfungspunkte.

      Isabelle war es zufrieden. Auf diese Weise brauchte sie sich keine Gedanken um die Unterhaltung ihrer Gäste zu machen. Nichts fürchtete sie mehr, als eine gelangweilte Gesellschaft, die nichts mit sich selbst anzufangen wusste. Oder wenn es zu Spannungen in der Gruppe käme.

      Das Schlimmste war, wenn sich einer der Gäste zum Alleinunterhalter aufspielen würde, um längere Gesprächspausen zu überbrücken und mehr oder weniger halbseidene Witze erzählen. Das kam tatsächlich gelegentlich dann vor wenn Amerikaner anwesend waren. Unweigerlich passierte das, wenn einer aus dem Show-Business anwesend war. Er folgte dann dem unwiderstehlichen Drang, sich selbst zu inszenieren, was die anderen in die Rolle der unfreiwilligen Statisten drängte, die die Situation nicht immer als besonders prickelnd empfanden:

      - Kommt Doktor Pauli allein?, erkundigte sich der Berater.

      - Nein. Seine Frau Johanna ist auch dabei. Sie soll mal seine Sekretärin gewesen sein. Jetzt leitet sie die Modegruppe.

      - Ach, die? Ich kenne sie. Sie war damals unsere Team-Sekretärin. Eine sehr zuverlässige und auch charmante Frau, sagte Guido mit vielsagendem Lächeln. Sie hatte ihm oft geholfen, wenn es um eine Präsentation ging, und die Overheadfolien noch nicht fertig waren. Damals hatte er noch kein Team zu seiner Unterstützung.

      - Offensichtlich in jeder Hinsicht eine erfolgreiche Frau, sagte Isabelle und fragte sich, ob er wohl etwas mit ihr gehabt hatte.

      - Das wird sich herausstellen. Wer weiß, wie es der Firma heute geht. Jedenfalls bin ich gespannt, sie wiederzusehen. Sie wird sich verändert haben, schließlich sind seit unserem letzten Treffen gut zehn Jahre ins Land gegangen. Damals war sie sehr schlank und trug ihr schulterlanges Haar offen. Das stand ihr gut.

      - Hoffentlich hat sie dich in guter Erinnerung behalten. Ihre Haare sind jetzt etwas graumeliert. Aber es steht ihr gut. Du bist auch nicht jünger geworden, sagte sie mit etwas anzüglichem Lächeln.

      - Wie charmant du heute bist, sagte Guido. Wir sind immer gut miteinander klargekommen. Sonst hatten wir keine engeren Berührungspunkte.

      - Das hoffe ich sehr. Schließlich war sie eine Mitarbeiterin deines Klienten. Da wahrt man gehörigen Abstand, sagte Isabelle und sah ihm forschend in die Augen.

      - Es gibt bei uns eine eiserne Regel: Don’t put your pen into your Company’s ink. Wir halten uns daran. Es hat sich in den Jahren nicht geändert. Das gehört zu unseren ethischen Standards. In diesem Punkt verstand er keinen Spaß und konzentrierte sich auf die Gästeliste.

      - Du weißt jetzt, wer die wichtigsten Gäste sind, fuhr sie fort, denn das kritische Thema wollte sie nicht weiter vertiefen. Es bleibt noch ein weiterer Gast zu erwähnen: Es ist Horst Grünberg, ein Bekannter meines Ex. Er ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. Du wirst ihn wahrscheinlich kennen.

      Das Tischtelefon läutete. Isabelle nahm den Hörer ab, klemmte ihn mit der Schulter ans Ohr und nahm instinktiv Haltung an.

      - Eilfertig antwortete sie: Wir kommen sofort.

      Auf keinen Fall wollte sie den Grafen warten lassen, denn sie wusste, dass er recht ungehalten reagieren konnte, wenn er nur ein paar Augenblicke auf andere warten musste. Sie erhoben sich aus ihren Sesseln und betrachteten sich noch einmal kritisch im großen Wandspiegel, der mit seinem reich geschnitzten barocken Rahmen das Entree zierte und bis zum Boden reichte.

      - Isabelle kontrollierte ihre Frisur und den Sitz ihres Kleides: Wie gefällt dir mein Kleid?

      - Er betrachte sie aufmerksam und musste nicht schwindeln, denn sie sah wirklich bezaubernd aus: Es steht dir ausgezeichnet, sagte er.

      Er erfreute sich an dem Anblick ihrer tadellosen Figur, die durch das gewagte Abendkleid besonders vorteilhaft zur Wirkung kam. Er fand, dass sie sich im Laufe der letzten Jahre durchaus zu ihrem Vorteil verändert hatte. Sie hatte leicht zugenommen und war weiblicher geworden.

      Sie lächelte selbstbewusst, denn sie kannte ihre Wirkung auf Männer, wendete sich ihm zu und rückte die Fliege an seinem Smoking-Hemd, die etwas nachlässig auf halb acht zeigte, noch ein wenig zurecht. Zufrieden wandten sie sich zum Gehen und verschlossen die Tür sorgfältig hinter sich. Niemand sollte sich Zugang zu den persönlichen und vertraulichen Beratungsunterlagen verschaffen können. Das allerdings war eher unwahrscheinlich, denn alle Beschäftigten in dem Schloss waren auf Verschwiegenheit und Loyalität gegenüber dem Gastgeber und seinen Gästen verpflichtet. Eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme, auf die Konselmann nirgends und zu keiner Zeit verzichtete.

      Also auf in den Kampf! Ein Kampf? Nein, eher ein Wettstreit um die beste Präsentation der eigenen Stärken. Darum ging es. Zu gewinnen war kein Preis, aber soziale Anerkennung und Prestige.

      Isabelle führte den Gast die Treppe hinab in den großen Salon mit der Ahnengalerie, in dem schon fast alle Gäste versammelt waren. Graf Ebersbach, schlank, gepflegt und mit leicht graumelierten Schläfen, begrüßte ihn an der weit geöffneten Flügeltür mit einer leichten Verbeugung.

      - Herr Konselmann, willkommen in meinem Haus. Ich betrachte es als eine Ehre, Sie in meiner bescheidenen Hütte als Gast empfangen zu dürfen. Ich hoffe, Sie werden das Wochenende in guter Erinnerung behalten. Treten Sie ein und lassen Sie sich verwöhnen.

      Der Graf sagte es mit einem leichten, fast nicht zu bemerkenden ironischen Lächeln. Er repräsentierte ein alt-ehrwürdiges Adelsgeschlecht, das in diesem Schloss seit vielen Generationen residiert hatte. Er spielte seine Rolle mit unaufdringlicher Herzlichkeit. Man konnte sich seiner Führung kaum entziehen. Fast wirkte er wie ein alter General. Vielfach geübt, seinen Gefolgsleuten Befehle zu erteilen, von denen er erwartete, dass sie unverzüglich und widerspruchslos ausgeführt wurden.

      Der Berater beobachtete ihn genau. Er war es gewohnt, Menschen zu beurteilen und sorgfältig zu unterscheiden nach solchen, die ihm von Nutzen sein konnten und solche, die für ihn nur Zeitverschwender waren und um die er sich nicht bemühen musste. Zeit war sein kostbarstes Gut. Und Geld natürlich. Und Ansehen. Und Macht, aber darin unterschied er sich nicht von den anderen, die jetzt im gräflichen Schloss versammelt waren. Der Graf war eindeutig der ersten Kategorie zuzurechnen. Er war eine einflussreiche Persönlichkeit, weit über Deutschlands Grenzen bekannt, und er hatte Geld, viel Geld und vor allem Einfluss in gehobenen Kreisen.

      - Konselmann verneigte sich dezent. Vielen Dank. Ich bin Ihrer Einladung sehr gerne gefolgt, entgegnete er verbindlich und begann sich unauffällig nach den anderen Gästen umzusehen. Schließlich war er hier, um möglichst viele einflussreiche Menschen kennenzulernen, mit denen er künftig Geschäfte machen wollte.

      Die Gäste standen in kleinen Gruppen beieinander und waren, wie es schien, in angelegentlichen Gesprächen vertieft. Der Berater überlegte, in welche Gruppe er sich einordnen sollte, als Graf Ebersbach sich den neu eintretenden Gästen zuwandte und sie auf gleiche Weise begrüßte, wobei er dieselben Worte benutzte. Fast schien es wie ein perfekt einstudiertes Theaterstück. Hunderte Mal inszeniert: Gleicher Ort, gleicher Auftritt, gleiche Beleuchtung, gleiche Regie, jedoch jedes Mal mit etwas anderen Gästen. Und darauf kam es an: Möglichst viele einflussreiche Menschen zu erreichen, um sie als sichere Multiplikatoren für die gehobenen Konsum-Produkte des Hauses zu gewinnen und sie fest an sich zu binden. Ein gutes Essen, erlesene Getränke und ein paar kleinere Aufmerksamkeiten konnten dabei nur hilfreich sein.

      Isabelle nahm Guido am Arm und führte ihren Gast in den Kreis der anderen Gäste, die mit einem Glas Champagner in freundlich lockerem Gespräch beisammen standen,