Eva Link-Nagel

Auf der Suche nach dem Ich


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      Auf der Suche nach dem Ich

      Biographie der Susanne Link

      Éva Link-Nágel

      Impressum

      Texte: © Copyright by Dr. Éva Link-Nágel

      Unter Mitarbeit von Axel Frerk

      Umschlag: © Copyright by Dr. Éva Link-Nágel

      Fotos: Dr. Franz Link

      Titel: „Schlafender Tourist an der spanischen Treppe“

      Aufnahme von Dr. Franz Link symbolisch in verdrehter Form

      Gestaltung: Axel Frerk

      Dortmund 2018, 1. überarbeitete Auflage

       Inhalt

       Vorwort

       Die Anfänge

       Studentenzeit, stürmische Jahre.

       Das Versagen

       Zwischen dem Klopfen eines Reflexhammers und dem eines Herzens

       Geheimnis und die Folgen

       Fillinges, Grossman, Amalgam

       Kampf und Zuversicht

       Vor dem Sterben versuchen das Leben zu genießen

       Epilog

       Anlagen

       Fotonachweis

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      Sie lag neben mir, die Neugeborene. Ihre kleinen Finger klammerten sich fest an meinen kleinen Finger. Sie hatte einen runden Kopf.

      Als sie starb, ihr Schädel war kahl, hielt ich ihre Hand.

      Sie, Susanne und ich - ihre Mutter - werden Ihnen über 48 Jahre ihres Lebens erzählen. Es ist kein Roman und kein Gedicht-Band, es ist eine Krankengeschichte. Es war lange eine Krankengeschichte ohne Diagnose.

      Für mich ist es eine schwierige Aufgabe im Greisenalter, als Nicht-Psychiater eine psychiatrische Krankengeschichte zu schreiben, als Nicht-Literaturwissenschaftlerin Gedichte und Texte zu präsentieren und last not least als Mutter die tragische Geschichte der Tochter zu bearbeiten.

      Eigentlich musste ich nur ein Versprechen einlösen. Ein Versprechen, das ich meiner schwerkranken Tochter gegeben habe. Ihr lag sehr daran, dass ihre Gedichte veröffentlicht werden. Ich versprach es Susanne. Zum Verständnis dieser Gedichte sind eine Lebens- und Krankengeschichte

      nötig - und eine Diagnose, die da war, aber an der ich stets zweifelte.

      Zwei Fragmente ihrer Lebensgeschichten kannte ich, im ersten erzählte sie den Anfang ihres Lebens, das zweite schrieb sie am Ende ihres Lebens, als sie an Krebs erkrankte. Ich hatte die ungefähr dreißig Tagebücher nie angerührt. Jetzt war es nicht einfach sie zu lesen. Ich fand das Lesen dieser Tagebücher als Wühlen in ihrem Leben und ihren Gefühlen. Ich fand das inkorrekt, schmerzhaft und geschmacklos. Doch ich wollte verstehen, warum sie krank war. Ich fand, was ich von Anfang an geahnt hatte. Die Tagebücher enthüllten heimlich, verabreichte Drogen, Kuppelei und Vergewaltigung. Sie verheimlichte es, und das hatte schwere gesundheitliche Folgen. Sie nahm ihr Geheimnis mit ins Grab.

      Das Schicksal eines Menschen ist so vielschichtig eingebettet in etwas, was man Zeitgeist nennt, man muss zum Überleben feste Wurzeln, einen Kompass haben. Beides hatte sie verloren. Warum? Wie komplex die Ursachen sein können, wie viele pathogene Faktoren zusammenkommen in einer Krankengeschichte, ist schwierig zu eruieren. Das Ergebnis ist Tragik, geschrieben in Prosa und Gedichten. Die Diagnostik ist komplex, es spielen verschiedene Ursachen zusammen. Bei ihr spielte vermutlich auch die Toxikologie eine Rolle, die oft belächelte Amalgamtoxikologie, dafür sprechen wesentliche Laborergebnisse.

      In den folgenden Seiten wird der Leser Bekanntschaft machen mit Susanne. Sie war ein ungewöhnlicher und begabter Mensch, dessen hoffnungsvoller Lebensanfang abrupt verändert wurde. Als Ärztin kam ich lange nicht von der Frage weg, was die Ursache ihres Krankheitsbildes war, die in den üblichen Beschreibungen der psychischen Erkrankungen nicht richtig eingereiht werden konnte. Die Entdeckung und wissenschaftliche Bearbeitung der Krankengeschichten von vergewaltigten Kindern und Frauen brachte Beweise über Hirnveränderungen bei den Traumatisierten.

      Zum besseren Verständnis der pathologischen Veränderungen bei dem posttraumatischen Stress-Syndrom muss ich auf die evolutionäre Entwicklung des zentralen Nervensystems zurückgreifen. Der älteste Teil des Gehirns in der Evolution sind der Hirnstamm, bestehend aus dem oberen Teil des Rückenmarks, aus dem Kleinhirn und die basalen Ganglien. Diese drei Teile formen das sogenannte Reptiliengehirn, weil es vom Aufbau identisch ist mit dem der Vögel und Reptilien. Funktionsmäßig beherrscht das Stammhirn die wichtigsten Lebensfunktionen wie Atmung, Blutdruck, sexuelle Funktionen mittels vorprogrammierter Regulatoren und Reflexe.

      Die nächste Stufe der Entwicklung entspricht dem des primitiven Säugerhirns. Es befindet sich in der mittleren Region des Gehirns, umringt von oben das Stammhirn und hat deshalb den Namen Limbisches System (Limbus lat. Ring). Teil des Systems sind

      a.) der Hypothalamus (Seepferdchen genannt durch seine Form) speichert die Erinnerungen und erkennt Strukturen,

      b.) der Mandelkern (Nucleus Amygdala), doppelseitig angelegt an der Unterseite des limbischen Rings. Er ist der Sitz der negativen Emotionen, impulsiven Gefühle wie Wut und Angst, bewahrt die Erinnerung an massive emotionale Reaktionen. Der Mandelkern hat Verbindung zum

      c.) Thalamus, aber auch direkte Verbindungen zur Zentrale in der Hirnrinde. Der Thalamus (griechisch Kammer) ist die Verbindung und Umschaltzentrale von den sensitiven Organen zur Cortex-rinde.

      Die Rinde gehört zum Neocortex, in der Evolution der jüngste Teil des Gehirns, es ist die äußere Schicht von grauer Substanz, vier paarige Lappen, die sensorische Signale verarbeiten. Der Stirnlappen liegt hinter der Stirn, dessen vorderer Teil, der präfrontale Cortex, ist verantwortlich für logisches Denken, bewertet Informationen, urteilt, entscheidet, beherrscht. Er entwickelt sich vom Kleinkind- bis ins Erwachsenenalter, deshalb ist er bei Jugendlichen durch Traumata sehr verletzbar.

      Ich erwähne nur kurz die Beschreibung des posttraumatischen Stress-Syndroms (PTSD) nach Goleman: Es ist die aufdringliche Erinnerung an das zentrale gewaltsame Geschehen.

      Tatsächlich sind die Symptome Anzeichen eines übererregten Mandelkerns. Die Spur des Grauens im Gedächtnis und die daraus resultierende Überwachsamkeit hält sich manchmal ein Leben lang. Das PTSD ist auf Veränderungen in den limbischen Schaltungen zurückzuführen, in dessen Mittelpunkt der Mandelkern steht. Die Erinnerungen können im Mandelkern gespeichert werden und zu Flashbacks (Rückblenden),