Else Ury

Nesthäkchen und ihre Enkel


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Blüten öffneten ihre Kelche in jubelnder Farbenfreude dem neuen Sonnenlichte. Schmetterlinge, wie geflügelte Riesenblumen anzuschauen, durchschaukelten die Luft. Papageien und Kolibris in lachender Buntheit wiegten sich hoch oben in Palmenwedeln.

      Auf der Terrasse, über deren gläsernes Dach rieselndes Wasser zur Kühlung herabsickerte, war die Familie beim Morgenfrühstück versammelt. Der Hausherr war selbst in den Ferien ein Frühaufsteher. Er hatte seinen Morgenritt bereits hinter sich, während seine Damen Langschläferinnen waren, wie er sie scherzend nannte.

      »Milton, sieben Uhr ist es erst. Bei uns daheim in Deutschland würden die Eltern mir einen Preis zuerkannt haben, wenn ich so zeitig aus den Federn gefunden hätte«, setzte Frau Ursel den Neckereien des Gatten entgegen.

      »Bei uns daheim – ja, Ursel, wo bist du denn daheim?« Milton Tavares zog die Augenbrauen hoch.

      »Im Tropenlande, mein Herr Tyrann, wenn meine Gedanken auch manchmal, all deiner Eifersucht ungeachtet, in ein kleines deutsches Haus, das jetzt in Schneebetten vergraben liegt, entwischen. Gedanken sind zollfrei, wie du weißt.«

      »Nein, solche Gedanken kosten Zoll.« Dabei schlang Milton Tavares den Arm um die Schulter der Nebenihmsitzenden und nahm sich den Zoll von ihren frischen Lippen.

      Miß Smith, die englische Governess, die gerade in ihre dick mit Honig bestrichene Weißbrotschnitte biß, machte dazu ein Gesicht, als hätte sie Wermut auf der Zunge.

      »Oh, Miß Smith, Sie werden sich verschlucken«, meinte Anita mit teilnehmendem Gesicht.

      »Wieso, Anny?« fragte die Miß kauend.

      »Sie haben bestimmt eben ein shocking hinuntergeschluckt. Ist es Ihnen nicht in der Kehle stecken geblieben?«

      Die Engländerin machte ein unnahbares Gesicht. Es sah so steif und zugeknöpft aus wie der weiße Leinenkragen, den sie ungeachtet der Tropentemperatur trug. Sie blickte von den scheinheilig ernsten Mienen ihres Zöglings zu dessen Eltern, hoffend, daß von dort der notwendige Tadel ausgesprochen würde.

      Frau Ursel sagte denn auch pflichtschuldigst: »Anita, du vergißt stets, mit wem du deinen Scherz treiben darfst.« Obgleich es ihr schwer wurde, ihre Heiterkeit zu verbergen. Ihr Gatte aber wandte sich lachend an die Erzieherin: »Nur ein Kuss, Miß Smith, – a little kiss. Der gehört zu solchem herrlichen Morgen auf dem Lande. Meinen Sie nicht auch?«

      Die Miß verbeugte sich höflich zustimmend.

      Da aber platzte Anita los. Sie lachte – lachte – und steckte mit ihrem silberhellen Lachen auch ihre Zwillingsschwester an. Es war aber auch zu komisch – die Miß und a kiss, das waren zwei Dinge, die wirklich nichts miteinander zu tun hatten. Wirkte sie doch mit ihren strengen Zügen, dem straff zurückgestrichenen Haar und den eckigen Bewegungen mehr wie ein Mann, als wie ein weibliches Wesen. Auch aus ihrem Alter konnte man nicht klug werden. Sicher war Miß Smith mit zwanzig Jahren schon genau so alt gewesen, wie mit fünfzig. Jetzt wandte sie sich mißbilligend an Marietta, die ihr sonst ihr Amt nicht allzu schwer machte. »Mary, auch du! Du darfst dich nicht von deiner Schwester Anny zu ungehörigem Benehmen verleiten lassen, sondern mußt versuchen, günstig auf dieselbe einzuwirken.« Miß Smith sprach stets englisch.

      Marietta machte ein bestürztes Gesicht. Ihrem guten Herzen tat es sofort leid, daß sie die Miß ausgelacht hatte. Anita aber, die unverbesserliche, rief: »Wirke auf mich ein, Jetta, es tut dringend not.«

      »Es tut not, daß ihr jetzt Schluß macht und eure ausgelassene Ferienstimmung, der Miß Smith gewiß manches zugute halten wird, nicht auf die Spitze treibt. Habt ihr fertig gefrühstückt? Schön, dann könnt ihr zur Großmutter hinüberreiten und ihr guten Morgen wünschen«, machte die Mutter der unbotmäßigen Lustigkeit ein Ende.

      »Erst unsere Überraschung, Papi. Du hast uns auf heute vertröstet. Wo bleibt die Überraschung?« bestürmte Anita den Vater.

      »Kleine Ungeduld! Pedro wird sie sogleich bringen.« Der Mulatte eilte auf einen Wink seines Herrn davon und kam mit einem Bambuskörbchen, das rosenrot abgefüttert war und eine Seidendecke in derselben Farbe besaß, zurück.

      »Ein Kind?« fragte Anita zweifelnd und zog fürwitzig die Decke herab. »Ach, ein Äffchen, ein süßes Äffchen – gehört es mir, ja, Papi? Mir ganz allein?«

      »Euch beiden – ihr seid doch Zwillinge. Nun, Jetta, freust du dich auch über den neuen kleinen Hausgenossen?«

      »Nein, gar nicht!« Marietta war unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen. »Ich mag Affen nicht.« Sie mochte nicht gestehen, daß sie sogar eine Scheu vor ihnen hatte.

      »Aber der hier ist doch süß! Ein ganz junges Äffchen, nicht wahr, Papi? Und so zahm ist er! Ich werde ihn Jimmy nennen.« Anita reichte ihm ihre schlanke Hand hin, in die der Affe seine braune, langfingerige legte.

      » Marovilhosa – er ist wundervoll! Ein entzückendes Tierchen! Alle vornehmen Damen besitzen ein zahmes Äffchen. Vielen, vielen Dank, Papi.« Begeistert küsste Anita dem Vater beide Wangen.

      »Nun, und wo bleibt dein Dank, Marietta? Willst du den kleinen braunen Burschen nicht auch bewillkommnen?«

      Marietta legte die Hände auf den Rücken und trat in deutlicher Abneigung noch einen weiteren Schritt zurück.

      »Sie hat Angst! Unsere große Jetta hat Angst vor dem kleinen Äffchen«, lachte Anita sie aus.

      »Eine Tavares hat keine Angst«, sagte der Vater in bestimmtem Tone. »Geh, schau dir das Tierchen mal näher an, Marietta. Es tut nichts.«

      Anita hatte den braunhaarigen Gesellen aus seinem rosigen Bettchen genommen und hielt ihn der Schwester entgegen. »Sei lieb, Jimmy, komm, streichle die Jetta.«

      Mit der braunen Affenhand wollte sie Mariettas zarte Wange berühren. Aber schreiend wich diese zurück. Der Affe, erschreckt über ihren Schrei, machte einen Satz auf das junge Mädchen zu und versetzte ihm ein paar Ohrfeigen. Marietta schrie wie am Spieß. Der Affe sprang die Terrassenstufen auf allen vieren hinab, hast du nicht gesehen den schlanken Schaft einer Palme hinauf und sah nun von dort oben der Weiterentwicklung der Dinge zu.

      Anita hielt sich die Seiten vor Lachen. Auch der Vater stimmte in ihr Lachen ein. Der Anblick war unglaublich komisch. Bei Frau Ursel überwog das mütterliche Mitleid. Sie zog das erschreckte Mädchen zu sich heran und beruhigte es zärtlich.

      »Jetta, Mädelchen, wer wird denn so ängstlich sein. Das Äffchen tut nichts, wenn du es nicht reizt. Obgleich ich gestehen muß, daß mir der vierhändige Familienzuwachs auch nicht gerade sympathisch ist.«

      »Gräßlich unsympathisch ist er – horrible indeed!« Die Miß, die ganz versteinert dagesessen, zeigte wieder Leben.

      »Wenn du den Affen nicht magst, verschenken wir ihn, Ursel«, stimmte ihr Mann sofort bereitwillig bei.

      »Nein – nein, das tust du mir nicht an, Mammi. Ich bin ganz selig über ihn. In Europa halten sich die Damen ein Schoßhündchen oder einen Papagei oder einen Vogel im Käfig. Laß mir doch auch meinen Affen. Tante Margarida hat auch einen«, bat Anita lebhaft.

      »Nun, hier draußen auf der Fazenda mag er meinetwegen bleiben. Aber in das Haus darf er nicht.« Die Mutter wollte jedem ihrer Kinder gerecht werden. Man konnte Anitas tiefblauen Strahlenaugen nur schwer etwas abschlagen.

      »Ich mag keine nervöse junge Damen, Marietta«, äußerte sich der Vater. »Für dich ist es mir besonders lieb, daß die Mutter dem neuen Hausgenossen ein Plätzchen auf der Fazenda gestattet. Du mußt dir die kindische Furcht abgewöhnen. Amerikanische Mädchen dürfen keine zartbesaiteten Nerven haben.«

      Anita schlang den Arm um die Schwester. »Du wirst dich schon an Jimmy gewöhnen, Jetta. Er ist ja so niedlich. Er soll dich auch ganz gewiß nicht mehr streicheln, wenn es dir unangenehm ist.«

      Marietta machte sich aus dem sie umfangenden Arm frei. »Der abscheuliche Affe verdirbt mir den ganzen Ferienaufenthalt hier in Ribeirao Preto. Wenn du mich lieb hast, Nita, verzichtest du auf ihn. Wähle zwischen ihm und mir!« Anita lachte hellauf. Auch die Eltern