Else Ury

Nesthäkchen und ihre Enkel


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ich zwischen euch wählen soll. Oder findest du, daß er mit einem von uns Ähnlichkeit hat?« Ihr Lachen wirkte so ansteckend, daß sogar Marietta einstimmen mußte. Anita hatte wieder mal gewonnenes Spiel.

      Jimmy wurde mittels einer Banane von seinem hohen Auslug herabgelockt. Und als er so possierlich die Banane mit Händen und Zähnen abzuschälen begann und die Schalen dann der unglücklicherweise zunächst sitzenden Miß an den Kopf warf, die erschreckt aufkreischte, hatte Marietta die eigene Furcht schon ein wenig überwunden. Obwohl Jimmy sich so unehrerbietig gegen Miß Smith benahm, ward er gnädig in den Tavaresschen Familienkreis aufgenommen.

      Aus dem Garten klang die Stimme der alten Rosita: »Juan – Juan – wo steckst du?« Und gleich darauf ihr empörter Ausruf: »Nein, dieser Junge! Nun hat Rosita ihn von Kopf bis Fuß frisch angezogen, und jetzt ist er pitschnass. Juan, willst du wohl aus dem Springbrunnen heraus!«

      Die Familie eilte zum Garten hinab. Nur die Miß und Jimmy blieben zurück. Erstere, weil sie so leicht nichts aus der Ruhe zu bringen vermochte, letzterer, weil ihn die Reste des reichen Frühstückstisches lockten. Beide betrachteten sich mit gegenseitigem Mißtrauen.

      Inzwischen hatte Frau Ursel, deren Schritte Muttersorge beflügelte, als erste den Springbrunnen erreicht. Dort bot sich ein merkwürdiges Bild. In dem großen Steinrund, das von dem niederstäubenden Wasserbogen des Springbrunnens gefüllt wurde, jagte der kleine Juan wie ein Zirkuspferd herum, jedesmal laut aufjuchzend, wenn ihn der nasse Strahl durchweichte. Hinter ihm her – allerdings außerhalb des Steinbassins – die alte Mulattenkinderfrau, rufend und bittend. Vergeblich bemühte sie sich, ihn herauszuangeln. Immer wieder entwischte ihr der kleine Bursche. Hinter den Bäumen und aus dem Buschwerk lugte, vor Vergnügen grinsend, die farbige Dienerschaft hervor.

      Frau Ursel wußte nicht, ob sie über das eigenartige Bild lachen oder schelten sollte. »Juan – gleich kommst du heraus. Du wirst dich erkälten. Ganz naß sind deine Locken. Und den schönen, neuen Anzug verdirbst du obendrein.«

      »Ach, Mammi, herrlich ist es unter der Brause. Komm doch auch herein.« Der kleine Wassergott begann die großen Schwestern, die nun auch auf ihn Jagd machten, übermütig zu bespritzen. Das gab ein Lachen, Jauchzen und Kreischen, daß die Papageien droben in den Baumzweigen ihre runden Äuglein erstaunt aufrissen. Wo war ihre vielmonatige Ruhe hin?

      »Juan, jetzt ist es genug des Übermuts. Jetzt kommst du heraus«, befahl der Vater. Heimlich hatte er seine Freude an dem Streich seines Jungen, der ihm oft nicht forsch genug war.

      »Bekomme ich auch das kleine Pony, Papi? Und darf ich mit dir ausreiten?« leitete der Kleine die Verhandlungen ein.

      »Das wird sich später finden.«

      »Nein, das soll sich gleich finden, das kleine Pony«, verlangte der Kleine, der ziemlich verzogen war.

      »Ich habe etwas viel Schöneres für dich, Juan, als das Pony – ein süßes, kleines Äffchen, Jimmy heißt es«, versuchte ihn Anita zu überreden.

      »Juan, sieh nur, wie traurig die Mammi ist, weil du ungehorsam bist«, stellte Marietta zu gleicher Zeit dem kleinen Bruder vor.

      Was nun mehr Eindruck auf Juan machte, das Äffchen Jimmy oder die traurige Mammi, das ließ sich schwer ergründen. Er war sich wohl selber darüber nicht ganz klar, was ihn veranlaßte, dem kühlen Bade zu entsteigen und sich von der atemlosen Kinderfrau greifen zu lassen.

      »Wenn du dich brav abreiben und umkleiden läßt, Hansi, hat dich die Mammi wieder lieb.« Frau Ursel strich dem Kleinen die triefenden Haare aus dem Gesicht.

      »Erst den Affen sehen«, verlangte Juan.

      »Der Vater zeigt dir das Äffchen. Dann aber gehst du gleich artig mit Rosita in die Kinderstube.«

      Als man die Terrasse betrat, bot sich dort ein ähnliches Schauspiel, wie vorhin am Springbrunnen. Nur daß die Schauspieler andere waren. Jimmy, das Äffchen, jagte die Miß. Rings um den Tisch jagte er die steife Engländerin, die sich atemlos mit Bambusstühlen vor ihrem Verfolger zu verbarrikadieren suchte. Vergebens. Mit einem Satz hatte Jimmy das Hindernis genommen.

      » Dreadful indeed!« – Die atemlose Miß konnte nicht weiter.

      »Werfen Sie doch die Orange fort, Jimmy will ja nur die Orange, die Sie in der Hand halten, Miß Smith«, rief Anita, als sie vor Lachen wieder sprechen konnte.

      Marietta überwand sich so weit, trotz der eigenen Scheu der armen Miß zu Hilfe zu kommen. Aber Jimmy hatte sich bereits in den Besitz der Orange gesetzt und ließ nun von seinem Opfer ab.

      Die Miß war halb ohnmächtig. Man mußte ihr Brausepulver bringen und die Stirn mit erfrischenden Essenzen einreiben. Eine starke Migräne war die Folge der Aufregung. Leider hatte sie auf die böse Anita nur den Erfolg, daß diese Jimmy, das Äffchen, noch mehr in ihr Herz schloß. War man doch für diesen Tag die Miß mit ihren Anstandsregeln glücklich los.

      3. Kapitel

      Samariterin

      Vor dem Hause scharrten ungeduldig die Pferde. Es waren prachtvolle Tiere. Der Rappe war der Lieblingsgaul der Donna Tavares, während die jungen Mädchen kleinere Silberfüchse als Reitpferde besaßen. Pedro, der Mulatte, hielt sie am Zügel. Er war es gewöhnt, daß man auf sich warten ließ. Langsam schritt er mit den Tieren unter den Olivenbäumen hin und her.

      Endlich erschienen die Damen. In ihren kleidsamen, hellen Reitkostümen, große Tropenhüte zum Schutz gegen die Sonne auf dem Kopf, schwangen sie sich graziös in den Sattel. Milton Tavares hielt seiner Gattin den Steigbügel. Diesen Dienst überließ er keinem anderen.

      »Sobald ich die telefonische Verbindung mit Santos habe, komme ich euch nach. Grüßt inzwischen die Mutter und Margarida. Sollte es länger dauern, so reite ich euch den Weg durch den Olivenhain entgegen.«

      Er blickte den drei anmutigen Reiterinnen, die grüßend davonsprengten, mit stolzfreudigen Empfindungen nach.

      Unter Oliven und Orangenbäumen führte der Weg zu strauchartigen Anpflanzungen, die sich bis an die blauen Berge in endlosen dunkelgrünen Wellen dehnten. Das waren die Kaffeeplantagen. Immergrüne, lederartige Blätter verbargen die duftenden, rötlich-violetten Blüten. In regelmäßigen Abständen waren die mannshohen Sträucher angelegt. Sie gaben der Gegend etwas Einförmiges. War das Auge doch gerade im Tropenlande an bizarre Formen von Pflanzen, an üppigste Vegetation und buntesten Farbenreichtum gewöhnt.

      »Wie ich die Plantagen zum erstenmal vor Jahren erblickte, haben sie mich traurig gestimmt«, sagte Frau Ursel sinnend. »Sie erschienen mir wie ein gewaltiges Meer, das Tausende von Menschen verschlingt, um einzelnen seine Schätze zu spenden.«

      »Papi sagt, unsere Plantagen seien ein Segen für viele, die sonst keine Arbeit hätten«, meinte Marietta nachdenklich.

      »Der Vater hat recht. Seitdem die netten Siedlungshäuser entstanden sind, empfinden wohl auch die Arbeiter den Segen ihres schweren Tagewerks.« Liebevoll blickte Frau Ursel auf einen weißen Komplex von kleinen Häusern, der aus dem dunkelgrünen Blättermeer wie eine weiße Insel herausragte.

      »Weißt du, Mammi, wie die Plantagen, so denke ich mir den deutschen Wald«, sagte Marietta sinnend. Ihre dunklen Augen bekamen etwas Träumerisches.

      »Unseren lieben deutschen Wald? Nein, mein Herz, der ist ganz, ganz anders. Den kann man sich nicht vorstellen, ohne ihn gesehen zu haben. Wie ein lichtgrüner Dom wölben sich die Baumkronen der Buchen und Eichen. Anemonen, Waldveilchen und Vergissmeinnicht umkränzen den murmelnden Bach. Singvögel, nicht so bunt wie die hiesigen, aber mit ungleich süßerem Wohllaut, jubilieren im grünen Blätterhaus. Auf samtweichem Moos ruht es sich herrlich am Herzen der lieben, deutschen Muttererde.« Immer sehnsuchtsvoller wurde die Frauenstimme.

      »Solche Riesenfarren, solche üppigen Schlingpflanzen und so hohe Palmen wie bei uns gibt es im deutschen Wald sicher nicht. Und auch nicht so herrliche Obstbäume. Du hast uns selbst erzählt, Mammi, du hättest niemals früher so große Orangen und Pfirsiche gesehen wie hier. In Europa