Renato Salvi

Verrat


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      Renato Salvi

Verrat

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      Verrat

       Renato Salvi

      Published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de Copyright: © 2016 Renato Salvi www.renatosalvi.net

      Lektorat: Erik Kinting | www.buchlektorat.net Covergestaltung: Erik Kinting E-Book Konvertierung: sabine abels | www.e-book-erstellung.de

      Das Vervielfältigen, Kopieren oder Verwenden der Idee oder einzelner Textpassagen ist untersagt und nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erlaubt.

      Peter Etter war über 25 Jahre erfolgreich als Kriminalkommissar in Basel tätig. Ein schwerer Schicksalsschlag änderte sein Leben für immer, bis zu dem Tag, als ihn sein junger Nachfolger um einen Rat bittet: Ein 13-jähriges Mädchen ist spurlos verschwunden und die Polizei steht vor Rätseln.

      Der Schicksalsschlag

      Samstagabend. Anstrengende Wochen mit wenig Schlaf lagen hinter Peter Etter. Dieser Raubmord an einer Taxifahrerin beschäftigte ihn schon länger als üblich. Weder ihm noch seinem Team war es bislang gelungen, den entscheidenden Hinweis zu finden, der den Täter dingfest machen würde. Als Hauptkommissar der Basler Polizei vermied er es, Fehler zu machen. Zu groß war die Angst, zu versagen. In den letzten 25 Jahren als Ermittler, löste er die meisten Fälle mit Links. Auf seinen Spürsinn und seine Geistesblitze konnte er sich stets verlassen. Doch war diese Glückssträhne nun vielleicht am Ende. Sackgasse!

      Auf seinem Schreibtisch stapelten sich die Akten. Berge von Papier mit Informationen, die er und seine Mitarbeiter in monatelanger Kleinarbeit zusammengetragen hatten. Fakten, die die Schlinge um den Täter immer enger zogen. An einer großen Pinnwand klebten unzählige Zettel mit kleinen Notizen. Etter überflog sie im Eiltempo. Seine müden Augen brannten und er kniff sie immer wieder zusammen, um klar sehen zu können. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, die vielen Hinweise, die wie Puzzleteile an der Wand klebten, in der richtigen Reihenfolge zusammenzuführen. Wenn es ihm gelänge, würde wieder ein Täter seine gerechte Strafe erhalten.

      Die Zeit war knapp. Etter biss nervös auf seiner Unterlippe herum und las seine aktuellen Notizen leise vor sich hin: »Eintritt des Todes: 20:45 Uhr. Telefonanruf via Handy: 20:52 Uhr. Betreten des Tankstellenshops: 21:10 Uhr. Samstagabend, Musicalbesuch: 20:15 Uhr.«

      Musicalbesuch! – Etter spürte, wie kalter Schweiß auf seine Stirn trat. Er blickte auf seine Armbanduhr. »Zehn Uhr. Scheiße!«

      Hastig griff er nach seiner Jacke, die über der Rücklehne seines Bürostuhls hing. Er tastete seine Hosentaschen nach dem Autoschlüssel ab – Gott sei Dank, gefunden – und eilte aus seinem Büro, ohne den Computer auszuschalten oder das Licht zu löschen.

      An der Tür, die zu den Fahrstühlen führte, stand in großen, mahnenden Lettern: Lösch das Licht, wenn du gehst!

      Ohne diesen Aufruf zu befolgen zischte Etter böse: »Ich geh ja nicht, ich renne!«

      Er selbst hatte diesen Zettel an die Tür gehängt, denn er hasste es, wenn Strom verschwendet wurde. Heute war es ihm aber egal, denn es gab Wichtigeres. Er hatte tatsächlich den gemeinsamen Abend mit seiner Frau Helen und seiner Tochter Katrin vergessen.

      Schon lange hatte sich seine Familie auf diesen Musicalbesuch gefreut. Selten fanden sie Zeit, etwas Gemeinsames zu unternehmen. Helen sagte oft, dass er den Beruf mehr liebe als seine Familie. Da tat sie ihm unrecht. Etter hätte gerne mehr Zeit mit ihr und Katrin verbrach, aber die Arbeit brauchte ihn – und er brauchte die Arbeit. Er war von ihr besessen.

      Helen verstand das nicht. »Irgendwann begehe ich ein Verbrechen, damit du dich auch mal um mich kümmerst«, sagte sie im Zorn. Darum hatte Etter die Musicalkarten besorgt. König der Löwen. Ein beliebtes Musical als Gastspiel in Basel. Katrin wünschte sich schon lange, die Bühnenversion des Disneyfilms zu sehen. Ein gemeinsamer Kulturgenuss würde die allgemeine Stimmung heben, dachte Etter.

      Seine Tochter freute sich sehr auf diesen Abend. Mit 13 Jahren hatte sie ihren Vater nötiger, als dieser sich vorstellen konnte. Dieser Musicalbesuch war mehr als nur Unterhaltung – er war für die Familie ein bedeutender Moment.

      Bei seinem Wagen angekommen, kramte Etter sein Handy aus der Tasche und wählte. Das Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, stieg er ein und raste Richtung Kleinbasel los.

      »Helen, nimm ab«, flehte er, ohne dabei auf irgendwelche Geschwindigkeitsbegrenzungen Rücksicht zu nehmen.

      Helen ging nicht ran, aber ihre Mailbox meldete sich.

      Etter nahm sich zusammen, um die Wut, die er auf sich selber hatte, nicht hörbar zu machen. »Hallo Schatz, ich bin’s. Es tut mir leid, ich habe die Zeit total vergessen. Aber ich komme euch abholen. Bitte wartet vor dem Theater auf mich und danach gehen wir noch etwas trinken, okay?«

      Wütend warf er sein Handy auf den Beifahrersitz und trat das Gaspedal durch. Mit 80 Stundenkilometern jagte er über die Mittlere Brücke in die Falknerstraße. So was würde nur ein Krimineller auf der Flucht vor der Polizei tun – oder Etter.

      Etter bog mit quietschenden Reifen in die Erlenstraße ein und stellte sein Auto gegenüber dem Theatereingang ab. Er stieg hastig aus. Weder Helen noch Katrin waren zu sehen. Im Foyer standen nur noch wenige Gäste herum, die entweder dabei waren ihre Mäntel anzuziehen oder noch zusammenstanden und etwas tranken. Ein Mitarbeiter war gerade damit beschäftigt, Programmhefte zu stapeln. Offensichtliche Vorbereitungsarbeiten für die nächste Vorstellung.

      »Läuft das Stück noch?«, fragte Etter den Mann. Er hoffte, dass dieser sagen würde: Ja, wir hatten Verspätung und haben eben erst angefangen.

      »Ja, es läuft noch …«, sagte dieser tatsächlich und Etter fiel ein Stein vom Herzen.

      »… bis nächste Woche. Täglich um 20:15 Uhr. Es gibt noch ein paar Plätze, aber die Kasse ist erst wieder morgen geöffnet.«

      »Was soll das heißen?« Etter musste sich beherrschen.

      »Feierabend«, sagt der Mann ruhig und widmete sich wieder den Programmheften.

      Das tat weh. Die Wut und die Schuldgefühle. Wieso musste er die, die er liebte, immer enttäuschen?

      Als er Helen vor ein paar Wochen den geplanten Musicalbesuch angekündigt hatte, bemerkte er ihr Misstrauen. Sie glaubte nicht daran, dass die Familie Etter es wirklich schaffen würde, gemeinsam einen Abend zu verbringen. Etter wollte es Helen beweisen. Triumphierend wäre er mit seinen beiden Frauen in das Musicaltheater geschritten, als König der Familie den König der Löwen genießen. Sie hätten gemeinsam gelacht und geklatscht und wären dann nach Hause gefahren.

      Stattdessen saß er nun alleine im Auto und fuhr zu dem kleinen Reihenhaus in der Eisenbahngasse in Riehen, in dem sie seit ein paar Jahren wohnten. Er parkte sein Auto in der blauen Zone gegenüber. Das Licht im Wohnzimmer schimmerte durch die Vorhänge und eine kribblige Angst kroch plötzlich in ihm hoch. Der Mann, der üble Verbrecher zur Strecke brachte, der mit den brutalsten Killern zu tun hatte, fürchtet sich nun, das eigene Haus zu betreten.

      Da musst du durch, sagte er sich, öffnet das Zauntor und ging, schwer ein- und ausatmend, zur Wohnungstür.

      Helen und Katrin waren gerade erst nach Hause gekommen. Etter versuchte so zu tun, als ob nichts geschehen wäre. Vielleicht hatten die beiden ihn gar nicht vermisst?

      »Hallo. Wie war’s im Theater?«

      Helen blickte ihren unzuverlässigen Mann mit versteinerter Mine an. Ihr Gesicht widerspiegelte Wut, Enttäuschung und Trauer. Sie ging wortlos an Etter vorbei und verschwand in der Küche.

      Katrin saß auf dem Sofa und wischte sich eilig einige Tränen aus dem Gesicht. »Hallo Papi.« Es war ihr unangenehm, dass er sie so sah, denn sie wusste ja, dass ihr Vater