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Helle und dunkle Tage


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stellen.“ – stellte er ihn auf besagten Busen. Einen betroffenen Augenblick hielten die Gäste den Atem an, bevor sie in großes Gelächter ausbrachen; aber Mutti wäre am liebsten in den Boden versunken.

      Hans hatte seinen eigenen Kopf: so gab er nie jemandem zur Begrüßung sein Händchen, aber noch weniger gern sagte er Gedichte auf, auch nicht für seine Mutti. Als unsere Mutti Geburtstag hatte, sollten wir beide ein kleines Gedicht aufsagen, was für mich kein Problem war, aber Hans sah brummig vor sich hin und sagte kein einziges Wort. Als man ihn dann drängte, sagte er nicht:

      Du liebes liebes Mütterlein,

      ich wünsch Dir heut viel Glück!

      nein, er sagte: „Du böses, böses Mütterlein“

      Mutti nahm den kleinen Trotzkopf auf den Arm und nie wieder hat ihn jemand aufgefordert, ein Gedicht aufzusagen. Für mich war er eine gute Aufgabe, und wir haben uns nie gestritten – aber viele Jahre habe ich noch Alpträume von meinem neunmonatigen Gipsgefängnis gehabt, und da war es gut, dass ich nicht allein war.

      Als ich in die Schule kam, kannte ich keines der Kinder und war die einzige Protestantin in einer katholischen Umgebung. Da sich erst nach und nach herausstellte, dass ich kurzsichtig war und nicht sehen konnte, was die Lehrerin an Tafel schrieb, war ich auch keine gute Schülerin. Das änderte sich bald, da ich in Rechtschreibung und vor allem Gedichtvortrag besser als alle andern war. Die andern Mädchen konnten mich offenbar gut leiden; denn ich durfte beim Spielen auf dem Hof immer die Prinzessin sein, bis sich die Lehrerin mal einmischte, um mich aus dem Kreis der andern zu entfernen, sodass ich weinend abseits stand. Erst als ich mich dann mit der allgemein beliebten Maria Weyand anfreundete, die wie die andern katholisch war, war der Bann gebrochen.

      Nur im Fach „Religion“ wurde ich als eine Art Antichrist dargestellt, sodass ich mich zu den drei jüdischen Kindern in unserer Klasse gesellte, Außenseiter wie ich, die mich dann zum Matzenessen mit nach Hause nahmen. Maria hatte eine evangelische Großmutter, sodass im Hause Weyand Toleranz herrschte. Als Maria zur Kommunion ging, durfte ich zur Nacht und zur Kissenschlacht bei Weyands bleiben, was für uns Mädchen der größte Spaß war, da Maria noch zwei Schwestern hatte und das Ganze zu viert noch viel schöner war. Obwohl Weyands wegen ihres kleinen Elektrogeschäfts wenig Platz hatten, fühlten Hans und ich uns dort genauso wohl wie umgekehrt die Mädchen bei uns. Unsere Freundschaft hat ein ganzes Leben gehalten.

      Meine schönsten Kindheits- und Jugenderinnerungen stammen aus den Jahren 1927–1935. Sie bewegen sich zum einen natürlich um Unternehmungen mit Freunden, insbesondere Fahrradtouren, die wir gemeinsam gemacht haben, und zum andern um unsere alljährlichen Sommerferien mit Mutti an der Ostsee. Ich habe die beiden Themenkreise getrennt erzählt, weil beide eine Einheit für sich bilden, obwohl sie sich natürlich chronologisch überschneiden,. Für die „Ferien an der Ostsee“ bin ich zum Jahr 1927 zurückgegangen, für die „Freiheit auf zwei Rädern“ zum Jahr 1932, in dem wir unsere Fahrräder zu Weihnachten bekamen.

      Als ich in die Schule kam, begannen für Hans und mich auch die Ferien an der Ostsee; nachdem ich seit meinen neun Monaten in Gips immer noch appetitlos war, empfahl der Kinderarzt die gute Seeluft. Bis wir in Dahme aber so heimisch waren, dass wir uns am Strand und auf dem Meer befreit von allen Zwängen fühlten, verging noch ein Jahr. Die Bahnfahrt von Gerolstein nach Travemünde war für uns Kinder schon recht weit, aber dann begann ja noch die Seefahrt mit dem Bäderdampfer, die wir später besonders genossen und schon als einen Teil der Ferien ansahen. So aber beschloss unsere Mutti, uns erst einmal eine Woche bei Opa und Oma in Hagen einzuquartieren.

      Wir Kinder waren gern in Hagen, weil die Oma uns verwöhnte und der Opa gutmütig zusah. Die Wohnung lag, von der lebhaften Elberfelder-Strasse abgeschirmt, am ruhigen Humboldplatz, wo wir Kinder mit den Nachbarskindern ungestört spielen konnten. Die begrüßten uns auch freudig, und dieses Mal konnte ich ihnen etwas Neues bieten: ich zeigte ihnen, auf dem Bauch auf dem Bürgersteig liegend, meine Schwimmkünste, die sie dann nachahmten. Danach mussten die Sommerkleidchen in die Wäsche! In der Mitte des Platzes stand eine dreiarmige eiserne Laterne, die ich zur Mutprobe als Klettergerüst auswählte. Auch das war keine gute Idee.

      Und so kam Oma zu dem Entschluss, dass Opa mit uns etwas unternehmen müsse. Auf diese Weise kamen wir mitsamt unserer Nachbarskindern mit Opa in die „Deschenhöhle“, die voll ist von Stalaktiten und Stalakmiten. Es waren außerdem eine Bahnfahrt, eine Wanderung und ein Picknick damit verbunden, sodass alle glücklich waren. Jetzt war Oma an der Reihe. Da sie nicht wanderte, setzte sie sich mit uns in die Straßenbahn und wir fuhren zusammen durch ganz Hagen bis zur Endstation, wo es ein Waldcafé gab, das uns mit Kakao und Mohrenköpfen verwöhnte. Mohrenköpfe waren ein Gebäck so zwischen sahnegefüllten Windbeuteln und Negerküssen. Oma hoffte, dass ich damit etwas an Gewicht zunähme. Opa sagte nur:“Wie die Backen, so die Hacken.“ Er meinte damit, wer tüchtig isst, der arbeitet auch gut.

      Nun wohnte in der unteren Etage des Hauses eine liebe, alte Frau, die uns einlud, in ihre Wohnung zu kommen, wo wir mit Zuckerglasur überzogene Zwiebäcke bekamen, die wir noch nicht kannten, die uns aber gut schmeckten. Oma sagte, das sei eine arme Frau, und wir sollten sie nicht besuchen. In Gerolstein gab es auch eine arme Frau, die Mutti gerade deshalb oft mit uns besuchte; also blieben wir dabei und merkten, dass wir der alten Dame Freude machten.

      Dann kam Mutti, um mit uns weiterzufahren an die See; aber sie musste im Schnellverfahren unsere Kleider waschen, bevor wir starten konnten. Die Fahrt verlief ganz angenehm, bis der Zug von Hamburg nach Lübeck Verspätung hatte und Mutti befürchtete, dass wir den Zug nach Travemünde versäumen würden; aber als wir auf den Bahnsteig kamen, stand der Zug noch da, und der Schaffner wollte gerade das Zeichen zur Abfahrt geben, als er Mutti mit dem Koffer und den Kindern sah. Er riss schnell noch eine Tür auf und reichte Mutti den kleinen Hans nach. Dann fuhr der Zug davon. Als er sich umdrehte, stand da noch ein kleines Mädchen und sah tränenüberströmt dem Zug nach. Nun hatte der Schaffner ein schlechtes Gewissen und ein gutes Herz. Er nahm mich also mit in sein Schalterhäuschen und tröstete mich: gleich käme noch ein Zug nach Travemünde, und er würde dort anrufen, dass ich damit käme. Er vertraute mich dann zwei netten Damen an, die mich mit Schokolade und Zureden beruhigten. Mutti nahm mich dankbar in Empfang und die erste Seereise unseres Lebens führte uns nach Dahme.

      Wir staunten über die lange Landebrücke, auf der wir später viel spazieren gingen und vom Brückenkopf ins Wasser sprangen. Am Ende der Brücke, wo sie auf den Sandstrand traf, saßen viele sonnengebräunte Urlauber, die einen Sprechchor anstimmten, als sie die ersten Neuankömmlinge erblickten:

      „Die Sonne scheint uns auf den Bauch,

      soll sie auch, soll sie auch!

      Oh, wie blaaaaaß.....“

      Wir fanden, dass dies kein schöner Willkommensgruß sei. Aber wie oft haben wir später mit allem Übermut daran mitgewirkt! Auf der Promenade erwarteten die Dienstmänner mit ihren Transportwägelchen die Reisenden. Bei unserm stand auf dem Mützenrand: „Hotel Reshöved“. Wir hatten noch einen ziemlich weiten Weg bis zu unserem Hotel, das ganz am Ende der Promenade hinter dem Deich lag. Es war ein 3-Sterne-Hotel, das sicher unsere Großeltern bezahlt hatten, weil die Apotheke zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel einbrachte. In den nächsten Tagen erkundeten wir den Strand und die Wiesen hinter dem Deich, wo überall Sport getrieben wurde, aber immer freuten wir uns auf den Abend, wenn wir mit den andern Kindern aus unserer Pension draußen spielen konnten.

      Es dauerte auch nicht lange, bis ich meinen ersten, richtigen Freund hatte: es war ein Blondschopf im roten Trainingsanzug, Hänschen Seifert aus Essen, der mich seinerseits ins Herz geschlossen hatte. Wir waren bald unzertrennlich und er nannte mich sein „kleines Schokoladenmännchen“; in dem Alter spielt offenbar das Geschlecht noch keine Rolle. Meistens spielten wir mit dem Ball, aber manchmal schauten wir auch dem Hausmeister zu, der Gemüse und anderes für den nächsten Tag vorbereitete. So waren wir an einem Abend ganz entsetzt, als ein Huhn ohne Kopf an uns vorbeiflatterte. Der Grund war, dass die Hühner für den andern Tag getötet und gerupft wurden. Der Mann erklärte uns, dass die Hühner nichts mehr merkten, aber die Reflexe oft noch arbeiteten. Unsere Mütter sorgten aber dafür, dass solche Aktionen nicht