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Helle und dunkle Tage


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in aller Ruhe dort sein Abendessen einnahm. Neugierig, wie Kinder sind, pirschten wir uns an den Fremden heran, der uns seinerseits freundlich beobachtete. Dann fragte er uns lächelnd, ob wir ihm Gesellschaft leisten wollten. Sofort krabbelten wir rechts und links auf die Stühle und, nachdem wir uns alle bekannt gemacht hatten, ging er auf unsere Fragen ein. Er erzählte uns, sein Minensuchboot läge am Brückenkopf vor Anker und er sei gerade von einer Weltumseglung mit der „Gorch Fock“ zurückgekehrt. Ich fragte: „Um die ganze Welt? Um Amerika und Afrika und Indien?“ „Ja“, sagte er, „und wir haben ein Jahr dafür gebraucht.“ Als wir fragten, wo es denn am schönsten gewesen sei, meinte er: „Indien“. Und dann erzählte er von Indien, von den Palästen der Maharadschas, von den Elefanten, die reich geschmückt über die Straße zogen, von den Frauen in ihren bunten Gewändern und den Fakiren, vor deren Flöte Schlangen tanzten. Wir hörten mit roten Wangen und strahlenden Augen zu und wollten lange nicht ins Bett gehen. Auch später haben mich selbsterlebte Geschichten immer am meisten fasziniert. Wir sahen am andern Morgen das Meer mit ganz andern Augen, die verheißungsvolle Weite, hinter der irgendwo Indien lag, und ganz tief drinnen war schon die Sehnsucht nach der Ferne geweckt.

      In den nächsten Jahren wechselten unsere Quartiere, aber die Hauptsache: der Strand mit unserm Strandkorb und unserer Burg, blieben dieselben. Wir lernten es lieben: das Rauschen der Wellen, den warmen Sand unter unsern Füßen, den Geruch von Salzwasser und Tang und natürlich das Schweben im bewegten Wasser. Bald durften wir an Segeltörns teilhaben und auch selber im kleinen Boot rudern. Die Welt am Wasser wurde uns vertraut und ein Teil unseres Lebens.

      Am 30. März 1930 wurde unsere kleine Schwester Renate geboren. Ich war schon neun Jahre, Hans sieben und unsere Mutti 39 Jahre alt. Wir freuten uns natürlich über das niedliche kleine Wesen, das auch weiterhin recht pflegeleicht war. Nur, nach Dahme konnten wir in diesem Sommer nicht und verlegten daher unsere Ferienaktivitäten auf die Munterley. Zusammen mit meiner Freundin Maria und ihrer Schwester Gertrud zogen wir jeden Morgen an den „Möllenborn“, der hinter der Papenkaule entspringt. Immer dabei war eine 3 - Liter-Kanne, die Weyands mit geweihtem Wasser von Lourdes mitgebracht hatten, und die mit entsprechenden Bildern geschmückt war. Wir versuchten auf einfache Art, mit Blätterbetten und offenem Feuer, wie Höhlenmenschen zum Beispiel im „Buchenloch“ zu leben, das ganz in der Nähe lag. Unser Vater war in seiner Freizeit mit Ausgrabungsarbeiten am Caivatempel beschäftigt, und wir halfen manchmal dabei. Der Tempelbezirk wurde 124 AD von einem ansässigen Römer namens Marcus Victorius Polentinus zu Ehren der gallischen Göttin Caiva gespendet. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wieviele Weihfigurinen der Göttin mein Vater dort fand und an das Trierer Römisch-Germanische Museum weitergab.

      An die See kamen wir erst wieder im übernächsten Jahr, im Sommer 32, als wir „Großen“ den Keuchhusten gerade überstanden hatten, die kleine Renate sich aber angesteckt hatte. Mutti hoffte, dass der Klimawechsel die Krankheit verkürzen würde. Nun wollten uns die „Dahmer“ nicht gerne aufnehmen wegen der Ansteckungsgefahr. Die Bedingung war schließlich, dass wir eine Wohnung in einem abgesonderten Haus mieten sollten, und dass der Strandkorb am Fischerstrand etabliert würde. Mutti erklärte sich zu allem bereit und nahm dann noch Tante Hilde zur Hilfe mit. Wir schliefen alle in demselben Zimmer, außer Tante Hilde natürlich, und konnten zusehen, wie Mutti bei jedem Hustenanfall Renate hochnahm und ihr half. Das Kinderbettchen stand gleich neben ihr am Fenster. Erst nach einer Woche ging es etwas besser, und nach drei Wochen konnten wir aus der Isolation wieder unter andere Menschen, woran Hans und ich uns erst wieder gewöhnen mussten; denn wir waren in den drei Wochen ganz zufrieden gewesen, aber richtig verwildert. Da wir ja nur im Familienkreis aßen, brauchten wir uns kaum zum Essen umzuziehen und liefen nur im Badeanzug herum, bis eine Dame mir auf dem Heimweg voller Abscheu sagte: „Igittigittt, kannst du dich denn nicht wenigstens am Sonntag anständig anziehen?“ Hans und ich hatten keine Probleme mit der Isolation: das Gelände am Meer mit den hohen Steilwänden bot vielen Vögeln Unterschlupf. Im Wasser gab es Seesterne und Krebse, im Tang lagen viele schöne Muscheln – wir hatten immer zu tun.

      In früheren Jahren hatte ich alle „Nesthäkchen-Bücher“ gelesen. Jetzt waren wir bei Karl May angekommen. Onkel Rudi, der mich ein paar Tage mit nach Hamburg nahm, hatte das gesehen und gab mir nun „Winnetou“ zu lesen. Das war ja nun das Größte, und als mich Mutti mit dem Taxi und zwei seekranken Kindern abholen wollte, rief ich zum Fenster hinaus: “Ich kann noch nicht kommen, Winnetou stirbt gerade!“ Onkel Rudi trennte mich kurz entschlossen von „Winnetou“ und wir konnten mit der ganzen Familie in Hamburg den Ferienzug nach Hause erreichen.. Dieser Zug war eine neue Einrichtung bei der Bahn und ersparte uns das Umsteigen. Dafür waren die Plätze numeriert, und die Züge fuhren meistens nachts. Auch jetzt ging es in den Abend, und wir halfen uns, indem wir Renate im Gepäcknetz schlafen legten und den Koffer herunternahmen, um darauf Karten zu spielen. Vati war froh, uns gesund wieder zu Hause zu haben – und für Mutti begann wieder der arbeitsreiche Alltag.

      Als wir älter wurden, freuten wir uns jeden Sommer auf die Ferien in Dahme, umso mehr, weil wir viele liebe Bekannte dort trafen. Im Sommer 1935 kamen sogar noch Freundinnen unserer Mutti mit, sodass es auch für sie viel Abwechslung gab. Ich fühlte mich mit meinen 14 Jahren stark und unternehmungslustig – ich hatte sogar meine Hohner-Ziehharmonika mitgebracht, um zu üben und zu musizieren. Da wir durch den allgemeinen Aufschwung und die Westwallarbeiten mehr Geld in der Apotheke hatten, wurde ich von Mutti eingekleidet: ich bekam einen Strandanzug mit weiter roter Hose und einem Jäckchen mit Matrosenkragen, was sehr dekorativ aussah. Auch mein dunkelblau-weiß gestreifter Badeanzug, mit roter Kordel und schulterfrei, sah sehr gut aus.

      Hans und ich liebten jetzt besonders die Segelpartie mit „Onkel Julius“, einem echten Seemann, der aber typischerweise nicht schwimmen konnte. Ich saß gewöhnlich vorn auf dem Bug, hoch über Wellentälern und Wogen und ließ mir den Wind um die Nase wehen. Manchmal durfte ich das Boot auch steuern, was den Dutzend Mitfahrenden manchmal zu abenteuerlich vorkam. Wenn dann die Wellen zu hoch wurden, nahm „Onkel Julius“ Hans und mich mit zur Schleuse, wo wir ihm beim Segeleinholen halfen. Wir nahmen jede Gelegenheit wahr, uns seemännisch zu betätigen. Als wir mit Mutti und unsern Freunden Sietas mit dem Motorboot nach Burg auf Fehmarn fuhren, wechselten wir uns am Steuer ab. Es war etwas anderes, mit einem Steuerrad nach dem Kompass zu steuern, als den Steuerknüppel beim Segeln festzuhalten. Damals war Burg noch ein Städtchen mit Fachwerkhäusern, Kopfsteinpflaster und einer alten, verträumten Kirche. Der Strand war schmal, aber das Seewasser deutlich wärmer als in Dahme, wegen der günstigen Südlage. Von den drei Türmen der Hotelbauten, die wir Jahre später als Silhouette von Dahme aus am Horizont sehen konnten, war noch keine Spur. So wanderten wir ein bisschen durch den Ort, aßen Eis, besichtigten die Kirche und fuhren wieder nach Dahme zurück.

      Renate, die ja nun schon fünf Jahre alt war, war am Strand geblieben, weil sie leicht seekrank wurde. Wir waren aber jetzt viel mit ihr zusammen, wir brachten ihr das Schwimmen bei, indem wir sie vom Bootssteg aus an der Leine hielten, wobei sie noch ziemlich viel Wasser schluckte; aber ein Meer ohne Wellen gibt es nun mal nicht. Wir zeigten ihr auch, wie man rudert, und bald kurvte sie allein im Boot um die Stege. Dann war noch Sport angesagt: wir sprangen dann von der Promenade mit Anlauf in den Sand.

      Als dann unsere Dortmunder Freunde mit ihren Müttern ankamen, hatten wir wieder weniger Zeit für sie. Günter, genannt „Sonny“ (sein Nachname war „Sohn“),war in Dortmund bei der Marine H.J. und er hatte dort das Morse-Alphabet sowie die Flaggensprache gelernt. Wir zogen uns dann auf den alten Fischerstrand zurück, wo wir vor allem das Flaggenalphabet mit je zwei kurzen Fahnen auf Entfernung üben konnten. Zum Morsen mussten wir den Abend abwarten, weil man die Morsezeichen dann auf das Blinken von Taschenlampen übertragen konnte. Schön war es auch, abends auf der Deichmauer zu sitzen, Ziehharmonika zu spielen und zu singen, während der Mond sein Licht auf die Wellen warf. Wir haben dort alles erlebt, die romantische Weite des Meeres, aber auch das stürmische, dunkle Brausen der Wogen, ganze Nächte lang

      Als wir eines Morgens, im noch dunstigen Frühnebel, an den Strand kamen, lag in fast greifbarer Nähe, wie uns schien, ein großes Schlachtschiff der Kriegsmarine. Für mich war es das erste Mal, dass ich so etwas sah, und ich empfand es in erster Linie als Bedrohung. Günter aber war ganz begeistert und machte Hans und