Matthias Hell

Local Heros 2.0


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Spitze eines der größten weltweiten E-Commerce-Unternehmen und hat dabei Einblick in die neuesten digitalen Trends und Entwicklungen. Stephan Zoll ist deshalb bestens geeignet, die Veränderungen, vor denen sich der Einzelhandel befindet, aus Online-Sicht genauer zu beleuchten.

      Herr Zoll, als die Local Heroes vor drei Jahren an den Start gingen, war die Suche nach kanalübergreifenden Händlern noch eine immense Herausforderung. Heute geht es bei der großen Menge an Omnichannel-Cases dagegen vor allem um das Herausfiltern der am besten geeigneten Beispiele. Würden Sie zustimmen, dass in den deutschen Einzelhandel Bewegung gekommen ist?

      Stephan Zoll: Auf jeden Fall. In den Handel ist Momentum gekommen. Begriffe wie Multichannel oder Omnichannel geistern ja schon seit einigen Jahren herum, aber ernst genommen und wirklich strategisch umgesetzt werden sie aus meiner Sicht erst seit etwa zwei Jahren. Das liegt zum einen daran, dass der E-Commerce inzwischen einen relevanten Anteil von zehn Prozent und mehr am Einzelhandelsvolumen erreicht hat. Wir wissen, dass aktuell 60 Prozent der Online-Händler mobil aktiv sind – davon 28,6 Prozent über eine Präsenz auf einem Online-Marktplatz. Es hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt: Das geht nicht mehr weg. Die Konsumenten – und zwar die breite Masse – kaufen wirklich nachhaltig online ein. Mehr als 70 Prozent der deutschen Bevölkerung zwischen 14 und 69 Jahren kaufen laut ACTA mittlerweile online ein, und in den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Intensivkäufer mehr als verdoppelt. Diese Einsicht war für viele Händler ein Weckruf und der Startschuss für das ernsthafte Anpassen ihrer Geschäftsstrategien.

      Zum anderen gibt es inzwischen eine steigende Anzahl an Beispielen aus dem Ausland, die zeigen, wie der Handel erfolgreich seine Zukunft gestalten kann. Ich denke hier beispielsweise an die Warenhauskette Macy’s in den USA, die mit viel Aufwand und beträchtlichen Investitionen große Schritte in Richtung Multichannel gemacht hat.

      Beobachten Sie beim deutschen Handel einen generellen Meinungswandel oder ist das Bild noch recht uneinheitlich und geht die Neuausrichtung je nach Branche und Segment unterschiedlich schnell voran?

      Stephan Zoll: Natürlich gibt es Branchen, die schneller oder langsamer sind, wenn es um die Ausrichtung auf die digitale Entwicklung geht. Zum Beispiel liegt die Unterhaltungselektronikbranche mit mehr als 20 Prozent Online-Anteil am Umsatz des Gesamtmarktes weiter vorne in der Neuausrichtung als beispielsweise der Möbelhandel, wo der Online-Anteil noch im einstelligen Prozentbereich liegt. Und auch innerhalb der Branchen gibt es Unterschiede. Ein Beispiel ist im Fashion-Bereich der Erfolg von Zalando. Das hat in der Branche zu einem Aufwachen geführt und dafür gesorgt, dass das Thema Online mittlerweile voll im Fokus steht. Solche Beispiele setzen Zeichen. Sie zeigen, welche Erfolge möglich sind, und sorgen bei den Händlern für Beschleunigung, die noch nicht so weit entwickelt sind.

      Gleichzeitig ist heute bei vielen Online-Unternehmen die Aufmerksamkeit für den stationären Handel größer. Das zeigt sich in der steigenden Anzahl an Online-Händlern, die stationäre Filialen eröffnen, sowie in der wachsenden Menge an digitalen Diensten und Lösungen für den klassischen Handel. Und auch bei eBay findet man heute immer mehr Händler mit einem eher traditionellen Background ...

      Stephan Zoll: Wir verstehen uns bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr in erster Linie als E-Commerce-Unternehmen, sondern ganz allgemein als Partner des Handels. Denn uns ist wichtig, dass das Warenangebot, das Kunden bei eBay finden, im Internet einzigartig ist. Dabei hilft es, wenn wir auch verstärkt stationäre Händler in unseren Online-Marktplatz integrieren. Diese Händler können nämlich mit Produkten, Preisen und auch Warenvolumina aufwarten, wie es sie sonst im Online-Bereich nicht gibt. Zudem liegt die Ware bereits bei den Kunden vor Ort. So sind Fortentwicklungen möglich wie die Abholung von Online-Bestellungen im Laden um die Ecke. Das führt auch für uns zu einer Differenzierung, und wir können damit eine Nutzererfahrung bieten, die noch besser ist als bisher. Bei diesen Entwicklungen sind wir in den letzten Jahren auf einige Händler getroffen, mit denen wir unsere Partnerschaft immer mehr vertiefen. Dadurch ergeben sich Win-win-Situationen, wie es sie nicht allzu häufig gibt.

      Stationäre Händler bieten ihre Waren bei eBay an, der Kunde kauft diese zum Beispiel mobil per Smartphone und holt seine Bestellung schließlich per Click & Collect in der nächsten Filiale ab – damit befinden wir uns bereits mitten im schönsten Omnichannel-Szenario. Was ist aus Ihrer Sicht der entscheidende Vorteil, der sich aus diesem Entwicklungssprung für die Kunden ergibt?

      Stephan Zoll: Ich denke, das sind drei Aspekte: Zum einen kauft der Kunde heute jederzeit über alle ihm zur Verfügung stehenden Kanäle. Zweitens wird er in seinen Entscheidungen immer spontaner und drittens in seiner Erwartungshaltung immer anspruchsvoller. Wer heute auf den Bus wartet, nutzt diese Zeit vielleicht, um mit seinem Smartphone ein Geschenk online zu kaufen und dieses auf dem Rückweg von der Arbeit im Geschäft abzuholen. Dieser Verhaltenswandel bedeutet, dass die Händler den Kontext ihrer Kunden ins Kalkül ziehen müssen. Der Händler muss sich darin einklinken und die richtigen Technologien und Prozesse bereitstellen. Das ist ein Paradigmenwechsel, der hier stattfindet: Der Händler muss heute die Erwartungen des Kunden bedienen und ist dabei in den Kontext des Kunden eingebunden. Sich darauf einzustellen, bedeutet sehr viel Umdenken bei den Händlern.

      Vor allem ist es nicht mit isolierten Online-Einzelmaßnahmen getan. Omnichannel bedeutet vielmehr eine ganzheitliche Herangehensweise an die veränderten Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden von heute. Wie gut hat das der Handel aus Ihrer Sicht heraus bereits verstanden?

      Stephan Zoll: Leider werden Omnichannel-Maßnahmen oft noch sequenziell umgesetzt. Viele Händler denken nicht in Fünfjahreszeiträumen, sondern sie agieren eher kurzfristig. Der Handel ist hier ein Stück weit getrieben und setzt sich erst mit E-Commerce auseinander, dann mit Mobile und schließlich mit der Integration dieser Kanäle. Aber es gibt auch Beispiele, die deutlich visionärer sind. Dazu zählen Händler, die verstanden haben, wie Kunden dazu angeregt werden können, ihren Kaufimpulsen nachzugehen. Allerdings erfordert das Investitionen: in die Technologie, in die Prozessanpassung und auch in die Entwicklung des Teams und der darin vorhandenen Kompetenzen. Für viele Händler ist eine sequenzielle Vorgehensweise besser verdaubar. Doch läuft man damit Gefahr, im schlechtesten Fall immer nur aufzuholen. Überhaupt wird es für viele klassische Händler eine Herausforderung sein, die fortlaufenden Entwicklungen nachzuholen. Hier kann es sinnvoll sein, sich mit den richtigen Partnern zusammenzutun. Mit Partnern, die die technische Kompetenz, die Reichweite und die Marketingleistung mitbringen, die nicht jeder Händler alleine aufbauen kann. Deshalb macht es Sinn, auf die Kraft von Aggregatoren zu vertrauen, zu denen auch wir uns zählen: eBay ist Technologie-, Vertriebs- und Vermarktungspartner des Handels und steht niemals im Wettbewerb mit den Händlern – denn wir selbst betreiben keinen Handel, sondern führen auf unserem Marktplatz das Angebot der Verkäufer mit der Nachfrage der Konsumenten zusammen.

      Sie bieten an, den Handel auf seinem Weg in die Zukunft zu unterstützen. Wie stellen Sie sich den Handel in fünf Jahren vor?

      Stephan Zoll: Technisch müssen wir beispielsweise sehen, welche Rolle Wearables spielen werden. Die Apple Watch ist erst vor Kurzem auf den Markt gekommen. Vielleicht werden Wearables ein neuer Kanal, der eine Rolle spielen wird. Aber genau wissen wir das heute alle noch nicht.

      Was wir jedoch bereits sagen können, ist, dass es bei den Kunden eine noch stärkere Personalisierung geben wird. Der Lebenskontext wird eine noch größere Rolle spielen. Also: Was kaufe ich wann und wo ein? Geht es um Dinge des alltäglichen Gebrauchs, wird die Entwicklung dahin gehen, dass diese immer dann da sind, wenn man sie braucht. Das kann zum Beispiel der Kühlschrank sein, der selbstständig online geht und automatisiert für Nachschub sorgt. Geht es dagegen um Sachen, die man impulsgetrieben für sich kauft, wird das Kundenverhalten noch kontextbasierter werden. Egal ob man auf dem Weg zur Arbeit von etwas inspiriert wird oder auf einer Modenschau ist – die Möglichkeit, den gesehenen Artikel sofort spontan zu kaufen , wird sehr wichtig sein. Und das vollkommen flexibel und bequem: Soll die Ware geliefert werden? Und wenn ja, wohin? Oder will der Kunde die Bestellung lieber irgendwo abholen? Wer weiß, vielleicht wird ein Teil der Waren in fünf Jahren ja auch über einen 3-D-Drucker zu Hause ausgedruckt …

      Ein Zukunftsszenario, das die Leute je nach Geschmack wünschenswert oder – im wahrsten Sinne des Wortes – ziemlich abgehoben