Axel Birkmann

Der tote Hund in der Dachrinne


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konnten, denn sonst hätte sie schon längst die Mordkommission München in Beschlag genommen. Bei Mordfällen im Landkreis Freising wurde immer gerne auf ihr Fachwissen Rücksicht genommen. Mordfälle waren eher selten in Freising und Umgebung. Die Kriminalitätsrate ging von Jahr zu Jahr zurück. Die letzten belegten Verbrechen waren ein Familiendrama im Lerchenfeld und der Mord an einer Kassiererin in einem Supermarkt. Ein Ladendieb hatte die Frau nieder gestochen, nachdem sie ihn nach bestem Wissen und Gewissen stoppen und zur Rede stellen wollte. Dafür hatte sie mit dem Leben bezahlt. Der 24 jährige Ladendieb hatte sie mit einer Klinge direkt ins Herz gestochen. Und vor zehn Jahren war ein junger Mann wegen seiner Kündigung Amok gelaufen, hatte zwei ehemalige Kollegen in Eching erschossen, dann in der Wirtschaftsschule in Freising den Direktor getötet, einem Lehrer ins Gesicht geschossen und sich anschließend selbst gerichtet. Doch das war zu einer Zeit, als Kreithmeier noch in Regensburg Dienst hatte. Er war erst 2003 nach Freising gezogen. Und das wegen seiner Frau.

      Und er hatte es nicht bereut. Es war eine relativ kriminalistisch ruhige Stadt, und die sollte es auch bleiben, dafür wollte er schon sorgen. Und jetzt diese Geschichte. Ein toter Dackel in einer Dachrinne in einer herrschaftlichen Villa in Tuching. Das war an sich schon ein recht ungewöhnlicher Fall. Und vor allem kein Fall für die Mordkommission. Und jetzt dieser spektakuläre Leichenfund auf dem Flughafengelände. Er konnte sich schon vorstellen, wie die morgigen Schlagzeilen lauten würden, denn zu verheimlichen war die Geschichte nicht. Heute früh hatte sicher jemand aus der Nachbarschaft Bilder oder ein Video von ihm aufgenommen, als er über die Feuerwehrleiter auf das Dach hinauf geturnt war. Und Bilder von dem Toten auf dem Rollfeld konnte jeder der hier Anwesenden gemacht haben, um sie anschließend teuer an die Presse zu verkaufen. Dem Huber war nicht zu trauen und der Einwinker, dieser Jürgen Tischler, machte auch nicht gerade den intelligentesten Eindruck auf ihn.

      »Mensch!», sagte Kreithmeier leise, »den Tischler habe ich ganz vergessen, der sitzt ja immer noch in dem Bus. Der muss warten. Zuerst mal zu den Jungs der Spusi.«

      »Und was habt ihr für uns?«, fragte er die beiden dann.

      Schurig blickte auf, kam auf ihn zu und stellte sich vor ihm auf: »Eine männliche Leiche, Anfang 40 bis maximal 45 Jahre alt.«

      »43 Jahre alt. Um es genau zu sagen«, unterbrach ihn der Kommissar.

      »Ääh! Woher???«

      »Steht in seinem Ausweis. In der Brieftasche.«

      »Wenn wir davon ausgehen, dass der Tote mit den Personalien in der Brieftasche identisch ist.«

      »Wieso gehen wir denn nicht davon aus, Schaurig, äh entschuldige Schurig?«

      »Solange wir keinen Abschlussbericht erstellt und abgegeben haben.....«

      »Jetzt hör auf mit deinem Gequassel. Das ist der Löbinger. Hundertprozent. Aber mach weiter.«

      »Also noch mal von vorne: eine männliche Leiche, 43 Jahre alt. Erschossen. Mit drei Schüssen. Wahrscheinlich Kaliber 7,65. Keine Hülsen, keine Kugeln. Also nur eine Schätzung.«

      »Ja, ja. Weiter.«

      »Der Tod trat etwa vor fünf Stunden ein, plus minus eine Stunde.«

      »Es ist jetzt 23 Uhr. Also gegen 18 Uhr.«

      »Plusminus eine Stunde. Genaueres nach der Obduktion.«

      »Weiter!«

      »Der Fundort ist nicht der Tatort. Keine Blutlache. Überhaupt kein Blut. Wenn dann nur sehr wenig. Der Leichnam ist hier abgelegt worden. Das ist jetzt schon sicher.«

      »Irgendetwas Besonderes. Von einem Raubmord kann ja nicht ausgegangen werden?«

      »Nein. In der Brieftasche befinden sich neben einem Personalausweis, Kreditkarten und auch 500 Euro in bar.«

      Kreithmeier pfiff leise durch die Zähne. Viel Geld für einen Unternehmer, dessen Geschäfte nicht mehr so gut laufen.

      »Und sonst? Habt ihr sein Handy gefunden?«

      »Nein, nur die Brieftasche. Aber etwas ist mir aufgefallen. Das muss aber nichts bedeuten.«

      »Und was?«

      »Die Einschüsse in der Brust.«

      »Was ist mit denen?«

      »Sie sind eigenartig angeordnet.«

      »Bitte was?«

      »Alle drei Schüsse bilden zusammen den Buchstaben V. Und das kommt mir spanisch vor. Wenn ich auf jemanden schieße, und bin ich noch so ein guter Schütze, kann ich solch eine Anordnung fast niemals hinbekommen, denn nach dem ersten Schuss bewegt sich das Opfer, der Einschlag der Kugel in den Körper wirft das Opfer zurück. Das heißt ich müsste theoretisch das Opfer zwingen, sich wieder gerade hinzustellen, damit ich den zweiten Schuss platzieren kann. Das geht nicht. Denn der Erste könnte ja auch schon tödlich sein. Es waren insgesamt drei Schüsse, einer direkt unter dem Bachnabel, ein Bauchschuss, von dem stirbt das Opfer nicht sofort, aber die Wunde tut höllisch weh und das Opfer würde sich unter den Schmerzen krümmen und zusammen sacken. Der zweite Schuss ging vom Schützen aus gesehen links durch den linken Lungenflügel. Auch keine sofort tödliche Wunde, würde aber das Opfer umwerfen, und zwar nach hinten. Und der dritte Schuss war tödlich. Er ging direkt durchs Herz.«

      »Das heißt also, dass der Mörder in genau dieser Reihenfolge auf den Löbinger geschossen hat? Ja?«

      »Ja! In etwa. Zuerst Bauch, dann Lunge, dann Herz.«

      »Und er konnte nicht die Schüsse in schneller Folge so abgefeuert haben?«

      »Nein. Erstens ist es fast unmöglich auf ein lebendiges Ziel so genau zu treffen. Und die Schüsse bilden zusammen ein gleichseitiges Dreieck. Ich habe es abgemessen. Nur ein paar Millimeter Differenz. Und zweitens hat der Schütze mit der Reihenfolge etwas bezweckt. Er hat das Opfer spüren lassen, wie es langsam aber sicher stirbt. Der Herzschuss war sozusagen die Erlösung. An den beiden anderen Wunden wäre es ohne ärztliche Hilfe ein paar Minuten später gestorben. Ich habe gelesen, dass man mit einem Bauchschuss sogar bis zu zwei Stunden überleben kann.«

      »Wer plant und macht so was?«

      »Sicher nicht im Affekt. Das sieht nach Berechnung, nach Rache aus. Jemand wollte sich am Löbinger rächen. Aber das ist eure Aufgabe das herauszufinden.«

      »Wenn ihr hier fertig seid, denkt daran, wir müssen die Landebahn bis Fünf Uhr geräumt haben, schaut’s mal bei der Enteisungsanlage herum und an dem Löschteich dahinter. Und macht ein paar Abdrücke der Reifenspuren. Die Sohlenabdrücke stammen von unserem lieben Herrn Huber. Sagt er wenigstens. Trotzdem, macht auch hier ein paar Gipsabdrücke. Wir sehen uns dann morgen. Wo lasst ihr die Leiche hinbringen?«

      »In die Pathologie nach Freising.«

      »Gut dann beeilt euch, bevor die Kasper aus München hier auftauchen.«

      »Mögen Sie die nicht so?«

      »Nein, die haben’s immer so wichtig, die Herren der Mordkommission. Für die sind wir nur Landeier. Bei uns passiert zu wenig. Doch den Fall lasse ich mir nicht wegschnappen. Und noch mal Danke für die Arbeit in Tuching. Die Arbeit an dem toten Zamperl war doch nicht ganz umsonst. Zuerst der Hund, jetzt sein Herrchen. Also bis morgen, Schaurig.«

      »Schurig!«

      »Ja, ja. Ich weiß schon, Sorry, bis morgen Schurig. Servus Zeidler. Kommen Sie Frau Schütz. Im Moment gibt es hier für uns nichts mehr zu tun. Gehen wir ein wenig schlafen. Es wird Zeit und morgen ist auch noch ein Tag.«

      Es hatte immer noch nicht geschneit. Es war wieder wärmer geworden und die Blätter hatten sich durch die Feuchtigkeit in eine dunkelbraune glitschige Masse verwandelt. Der morgendliche Spaziergang mit Gizmo war nicht so wie sonst. Obwohl Gizmo sich freute, nach einer recht kurzen Nacht draußen auf dem Damm in den Isarauen herumzuspringen und seine Morgenzeitung zu lesen, in dem er an allem herumschnupperte, spürte er, dass sein Herrchen nicht bei der Sache war. Keine aufmunternden Worte, kein Stöckchen werfen, keine Leckerli mal zwischen durch und keine Streicheleinheiten.