Axel Birkmann

Der tote Hund in der Dachrinne


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sehen Sich das alles höchst persönlich an. Ihre Kollegin ist auch schon auf dem Weg. Wir stehen Feichtmayr Ecke Tuchinger. Wir warten. Nicht schwer zu finden. Ein rotes Auto.«

      »Aber.....?«

      Der Feuerwehrmann hatte aufgelegt.

      Kreithmeier stand wie vom Blitz getroffen mitten im Wald. Was war denn das, fragte er sich. Die Feuerwehr rief ihn an wegen einer Leiche? Wo waren denn die Uniformierten, die Spurensicherung, das ganze Aufgebot? Und seit wann entdeckte die Feuerwehr Leichen und sicherte den Tatort? Und seine Kollegin war schon auf dem Weg dort hin. Eigenartig, eigenartig, ging es ihm durch den Kopf.

      Seine Kollegin Melanie Schütz kam aus Gera. Sie war erst seit zwei Jahren in Freising bei der Kriminalpolizei. Er selbst kam aus Regensburg und war wegen der Liebe nach Freising gezogen. Sie war dagegen freiwillig nach Oberbayern gekommen. In Bayern verdiente sie ihrer Meinung nach mehr. Doch Freising war kriminaltechnisch gesehen tot, toter als der Münchner Nordfriedhof. Und jetzt eine Leiche. Und das in Tuching, einem der renommierteren Stadtteile von Freising. Ungewöhnlich. Und von Fremdeinwirkung hatte der Mann am Telefon nichts gesagt. Das war noch zu früh. Aber die Spusi, die Spurensicherung, war sicher unterwegs. Na ja, dann mal los, sagte er zu sich und zu seinem Hund:

      »Gizmo, komm! Herrchen muss zum Dienst. Wir müssen umdrehen. Herrchen muss arbeiten. Und du kommst mit.«

      Gizmo rannte auf ihn zu, wedelte mit dem Schwanz und schnappte mit einem lauten Bellen nach der Hundeleine, die Kreithmeier provozierend baumeln ließ. In der Rechten die Leine, in der Linken ein Hundeleckerli zur Bestechung, weil sie ihren Spaziergang so kurzfristig abbrechen mussten. Gizmo schnappte nach der Leine, das sollte so viel heißen wie, ich will noch nicht, pack die blöde Leine wieder ein, wir bleiben noch, mein Gassi ist noch nicht zu Ende. Doch das Leckerli in der anderen Hand ließ ihn schwach werden, er ließ sich kaufen und sein Herrchen band die Hundeleine an sein Halsband. Gizmo kaute an einem getrockneten Wildtierzopf und ließ sich bereitwillig zurück zum Parkplatz führen. Jeder Hund hat seinen Preis.

      Kurze Zeit später waren sie beide unterwegs zum Stadtteil Tuching. Unterwegs zu einem Toten.

      Alois Kreithmeier dachte nach. Wann hatte es das letzte Mal einen Toten, geschweige denn einen Mord in der Domstadt gegeben? Vor Jahren gab es einen Mord an einer Supermarktkassiererin, etwas später ein Familiendrama in Achering. Freising war aus der Sicht der Kriminalpolizei eine ruhige und ordentliche Stadt. Die Kriminalpolizei hatte ihren Dienstsitz in Erding. Eine eigene Mordkommission gab es nicht. Wenn es mal einen Mord gab, dann bekamen sie meistens Hilfe aus der Landeshauptstadt München oder aus Ingolstadt. Er war mit Melanie Schütz in Freising ansässig. Beide gehörten diensttechnisch aber zur Polizeiinspektion in Erding. Bis jetzt hatte es keinen Grund gegeben die Kriminalpolizei in Freising weiter auszubauen.

      Außer ein paar Schlägereien, vor allem während der Volksfeste in der Luitpoldanlage, ein paar Drogendelikten, Prostitution auf einigen Autobahnparkplätzen, war Freising ein unbescholtenes Blatt, ganz im Gegensatz zu München oder Augsburg. In Augsburg war vor wenigen Wochen ein Polizist bei einer wilden Verfolgungsjagd getötet worden. Kreithmeier schüttelte es. Bis heute keine Spur von den Tätern. Da war Freising kriminelle Diaspora. Und das war gut so. Seine Arbeit war mitunter langweilig, aber nicht gefährlich. Langeweile gegen Gefahr. Für ihn gewann immer die Langeweile. Und heute ein Toter. Und dann alles so geheimnisvoll. Feuerwehr, noch keine Polizei vor Ort. Seltsam. Seltsam.

      Als er von der Tuchinger in die Feichtmayr fuhr, sah er schon das rote Feuerwehrauto mitten auf der Straße stehen. Seine ausziehbare Leiter ragte wie eine filigrane Brücke über die Straße und endete auf dem Dach einer der Villen, die hier in diesem Teil Freisings häufiger anzutreffen waren. Um den Wagen standen einige Leute herum: Feuerwehrmänner in ihrer Uniform und Zivilisten, wahrscheinlich Anwohner, dachte er, aber kein Polizist, niemand in weißem Overall, und auch seine hübsche Kollegin Melanie Schütz konnte er noch nicht entdecken. Er parkte den Wagen etwas abseits, zündete sich eine Zigarette an und stieg aus. Gizmo wedelte mit dem Schwanz.

      Er wollte mit, war neugierig, wo es denn hinging, doch Kreithmeier streichelte ihn am Genick und sagte nur: »Gizmo, du bleibst da, das ist nichts für dich, zu viele Menschen, und ich kann mich nicht um dich kümmern. Außerdem knurrst und bellst du nur wieder alle an. Das mag nicht jeder. Bleib schön hier. Herrchen ist bald wieder da. Mein Klient ist ja schon tot. Sei schön brav!«

      Ein letztes Mal streichelte er seinen Hund, gab ihm ein weiteres Leckerli und Gizmo gab sich kauend in sein Schicksal.

      Gemächlich schlenderte Kreithmeier auf die Gruppe von Menschen vor dem Haus zu. Der Feuerwehrwagen wirkte deplatziert in dieser Gegend. Ein rotes Monstrum mitten zwischen hübschen Stadtvillen und entlaubten Bäumen. Die Feuerwehr rückte normalerweise bei Feuer, Hochwasser und Katzen auf Bäumen aus. Warum war sie jetzt hier? Wer hatte die Leiche entdeckt und wer hatte die Feuerwehr alarmiert? Es würde sich schon alles aufklären.

      »Wer ist hier denn der Chef?«, fragte Kreithmeier einen der Männer in Uniform.

      »Und wer will das wissen?«

      »Alois Kreithmeier, Kriminalpolizeiinspektion Erding, Dienststelle Freising.« Er hielt dem Behelmten seinen Dienstausweis vor die Nase.

      »Also wer ist hier der Chef?«, wiederholte er seine Frage mit etwas mehr Nachdruck.

      »Zugführer Adldinger, Joseph Adldinger. Dort steht er, neben der Leiter.«

      »Aha! Geht doch.« Kreithmeier steckte seinen Ausweis wieder in die Tasche und schritt auf den vermeintlichen Zugführer zu.

      »Sie sind der Mann von der Kripo?«, fragte dieser ohne sich vorzustellen.

      »Ja, und Sie sind der Einsatzleiter hier?«

      »Ja, Joseph Adldinger, Feuerwache 1.«

      »Schön. Kreithmeier, Alois, Kriminalpolizeiinspektion Erding, Dienststelle Freising«, wiederholte er sein Verslein.

      »Und wo ist jetzt die Leiche?«, fragte er kühl.

      »In der Dachrinne!« Der Zugführer drehte sich um die eigene Achse und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf das Dach der Villa, auf dem die Leiter angelegt war.

      »Dort oben? Wo dort?«

      »In der Dachrinne.«

      »In der Dachrinne?«

      »Ja. Wenn Sie die sehen wollen, müssen Sie die Leiter hochklettern. Wir haben nichts angefasst. Es ist alles so, wie es aufgefunden wurde.«

      Alois Kreithmeier blickte ungläubig an der Aluminiumleiter in die Höhe auf den Dachfirst. Ein Toter in einer Dachrinne. War das überhaupt möglich? Würde die Dachrinne, falls ein Mensch dort überhaupt hinein passte, unter dem Gewicht nicht aus der Verankerung reißen und mitsamt dem Toten zu Boden krachen?

      Der Zugführer kam mit einem Feuerwehrhelm auf ihn zu, drückte ihm den Helm in die Hand und sagte: »Safety First. Wenn Sie ihn bitte aufsetzen wollen, Herr Kommissar. Dann können wir.«

      Der Kommissar blickte verdutzt auf den Helm in seiner Hand, dann wieder auf sein Gegenüber.

      »Was soll ich damit und was können wir?«

      »Den Helm natürlich aufsetzen und dann klettern wir beide die Leiter aufs Dach hinauf. Dort oben ist der Tote.«

      Alois Kreithmeier drehte den Helm in seiner Hand. Musste das sein? Sollte er nicht lieber auf die Schütz warten? Die war jünger und scheute sich vor nichts. Sollte doch lieber sie dort hinauf klettern.

      Der Feuerwehrmann nahm ihm den Helm wieder aus der Hand. Ohne zu fragen setzte er ihn ihm auf den Kopf, verschloss den Lederriemen und schob den Mann Richtung Leiter.

      »Da geht es hinauf. Gehen Sie voran, Herr Hauptkommissar, ich folge Ihnen.«

      Widerwillig kletterte Kreithmeier die Stufen zum Feuerwehrwagen hinauf um von einer Plattform aus, die ersten Sprossen der Leiter zu erklimmen. Sein Blick schweifte Hilfe suchend über die Anwesenden, in der Hoffnung doch noch jemanden zu entdecken, der ihn aus der prekären Lage befreien konnte. Doch kein Polizist, keine Spusi, und schon gar