Axel Birkmann

Der tote Hund in der Dachrinne


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Alois.

      »Das heißt mein Mann Tobias, mein Sohn David und meine Tochter Hannah. Und unser Dackel Joschi. Der jetzt leider tot auf dem Dach liegt.«

      »Wo ist im Moment Ihr Mann?«

      »Mein Mann ist auf einer Dienstreise. Er muss in Salzburg sein. Ich habe ihn noch nicht angerufen. Das sollte ich vielleicht noch tun?«

      »Später. Sicher!«, beschwichtigte sie Alois Kreithmeier, »Erzählen Sie uns doch bitte, was passiert ist.«

      »Gut!«, sagte Frau Löbinger, »es war so gegen halb sieben oder auch etwas früher. Sie müssen wissen, Joschi schläft immer im Zimmer meiner Tochter, er hat dort ein Körbchen, manchmal schläft er auch in ihrem Bett, was ich natürlich nicht so gern sehe, also heute früh, wachte meine Tochter Hannah auf und suchte ihren Joschi. Doch der war nicht im Zimmer. Das ist nicht unbedingt ungewöhnlich. Der läuft auch mal des Nachts durchs Haus. Er ist ein Jagdhund. Dackel sind doch Jagdhunde, oder?«

      »Ja, morgens um sechs, die Tochter wacht auf und dann? Bitte Frau Löbinger!« Kommissar Kreithmeier wirkte ungeduldig.

      »Konzentrieren Sie sich bitte«, beruhigte Melanie Schütz die Frau, »nur das Wichtigste, bitte!«

      »Joschi war nicht im Zimmer und auch nicht im Haus. Hannah meinte, er sei in der Nacht aus dem Zimmer gerannt. Sie dachte, er müsse vielleicht Gassi. Das macht er oft ganz alleine. Wir haben in der Haustüre eine Art Katzenklappe in seiner Größe. Durch die kann er sich hindurch zwängen, pieselt dann in der Nacht in den Garten und kommt wieder zurück.«

      »Nur heute Nacht nicht?«

      »Nein, er war nicht im Haus. Während Hannah und ich Joschi suchten, entdeckte mein Sohn David ein Loch in einem der Fenster zur Terrasse hin. Hier bitte schauen Sie. Und die Tür stand offen.«

      Kreithmeier stand auf und ließ sich das Loch im Glas der Terrassentür zeigen.

      »Saubere Arbeit«, pfiff er durch die Zähne, »mit einem Glasschneider hat man ein Loch hineingeschnitten, um dann die Türe am Griff von innen zu öffnen. Wie von Profihand sieht es aus. Was haben die Täter mitgenommen? Was ist gestohlen worden?«

      Kreithmeier sah sich im Raum um. Es gab zwar ein paar moderne nicht ganz billige Möbel, aber für normale Diebe nichts zum Mitnehmen. An der Wand hingen ein paar übergroße moderne Bilder. Farbkleckse. Bunte Farbkleckse. Aber alle Bilder hingen noch an ihrem Platz. Es gab keine Silberleuchter oder andere wertvolle Miniaturen im Raum, die Diebe an einen Hehler verkaufen hätten können.

      »Das weiß ich nicht. Hier im Erdgeschoss sieht es so aus als ob alles an seinem Platz ist. Das Silberbesteck ist in der Küche. Alles noch da. Die Stereoanlage, der Fernseher, alles da. Und Schmuck und Bargeld haben wir nicht im Erdgeschoss. Mein Schmuck liegt in einer Schublade im Schlafzimmer. Alles vollzählig.«

      »Eigenartig«, sagte Melanie Schütz und blickte Frau Löbinger streng an, als ob sie ihr die Geschichte nicht abnehmen wolle.

      »Und Ihr Dackel? Wer hat den gefunden?«

      »Meine Tochter.«

      »Und wie? Der tote Dackel kann nicht von unten gesehen werden.«

      »Aus dem Dachfenster. Ich weiß nicht wieso. Nun Hannah hatte mal eine Katze, die war immer aufs Dach geklettert und von dort nicht ohne fremde Hilfe heruntergekommen. Unbewusst hat sie daran gedacht, hat nach der Katze gesucht, nicht wissentlich daran gedacht, dass ein Rauhaardackel nicht aufs Dach klettern kann. Und dann wird sie ihn gefunden haben. Aus dem Dachfenster kann man die Dachrinne sehen. Sie muss geglaubt haben, er lebt noch, sonst hätten wir nicht die Feuerwehr gerufen.«

      »Haben Sie die Feuerwehr benachrichtigt?«

      »Ja. Ich wusste noch zu Zeiten der Katze, dass sie schnell da sind und uns helfen könnten.«

      »Wo ist die Katze jetzt?«

      »Weg. Ganz einfach weg. Von einem Auto überfahren, vom Katzenfänger für Tierversuche geschnappt. Ich weiß es nicht. Sie kam eines Tages nicht mehr nach Hause. Vielleicht lebt sie jetzt bei einer anderen Familie. Es heißt doch, wer eine Katze füttert, dem gehört sie, oder?«

      »Ja. So ähnlich.« Kreithmeier war sauer. Zuerst eine dumme Katze, dann ein dummer Hund, und jedes Mal wurde die Feuerwehr geholt, um das Tier zu retten. Wer hat die Einsätze bezahlt? Familie Löbinger, der Steuerzahler, die Stadt Freising? Er wollte diese Frage nicht stellen. Jetzt noch nicht.

      »Was meinen Sie, wie kam der Hund auf das Dach?«

      »Nicht von alleine. Unser Joschi hätte nicht aufs Dach klettern könne. Er ist keine Katze. Oder ein Affe.«

      »Aber wie kommt ein Rauhaardackel in eine Dachrinne und dazu noch tot?«, dachte der Kommissar laut nach. Es klingelte an der Haustür. Frau Löbinger sprang auf, kam aber nach wenigen Sekunden wieder in den Wohnbereich.

      »Es ist für Sie, ein paar Herren von der Polizei. Kommen Sie bitte!«

      »Das wird die Spusi sein«, sagte Kreithmeier zu seiner Kollegin, »lassen Sie nur, ich kümmere mich darum, ich war ja auch zuerst am Tatort.«

      »Servus Kreithmeier, wo liegt die Leiche?«, tönte es von der Türe lautstark durch den Flur.

      »Ganz ruhig. Es ist etwas anders als ihr denkt. Wir haben keine menschliche Leiche. Das Ganze ist verdreht. Ungewöhnlich. Bisschen verrückt. Also bitte Ruhe und Zurückhaltung. Diskretion.«

      Die beiden Männer, die vor der Haustür auf ihn warteten, waren Rainer Zeidler und Josef Schurig, zwei unsensible Gestalten der Spurensicherung. Das Wort Diskretion existierte leider nicht in ihrem Vokabular. Jeder stand mit einem Koffer in der Hand vor dem Haus. Sie staunten nicht schlecht, als ihnen Kreithmeier den Tatbestand erläuterte. Und wie es so ihre Art war, kamen immer wieder bissige und spöttische Bemerkungen über ihren Mund: »Beim nächsten unnatürlichen Ableben eines Wellensittichs müssen wir dann in den Käfig klettern um Spuren zu finden.« Und »ob in der Pathologie eine Obduktion stattfinden solle, weil dann müsste ja jemand den Dackel rasieren« und »über die Mordkommission Thalkirchen, eine Spezialeinheit in Hellabrunn, des Münchner Zoos.« Und »wer wohl den Igel auf der Bundestrasse überfahren hat. Fahrerflucht sei dabei nicht ausgeschlossen.« Und so weiter, und so weiter.

      Kreithmeier ließ sie reden, es hatte sowieso keinen Sinn. Das ganze war verzwickt und er war mitten drin. Melanie sah alles viel gelassener. Er ärgerte sich nur darüber, dass er ans Handy gegangen und hier nach Tuching gefahren war ohne sich zusätzliche Informationen einzuholen.

      »Der tote Hund in der Dachrinne. Die Kommissare Kreithmeier und Schütz ermitteln.« Diese Schlagzeile im Freisinger Tagblatt auf der ersten Seite würde seine Karriere beenden. Er würde zum Spott der gesamten bayerischen Polizei werden. Könnte nur noch Auswandern und den Dienst quittieren. Damit es nicht soweit kam, musste er alles nach Vorschrift machen. Und es durfte nicht den geringsten Anschein geben, dass sie umsonst hierher beordert worden waren. Also musste die Spusi ihre Arbeit machen. Mal sehen, was dabei herauskam, vor allem im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Einbruch, bei dem angeblich nichts abhanden gekommen war.

      »Benehmt euch, ihr beiden Kasperl. Mir ist Ernst dabei. Es hat einen Einbruch gegeben. Und es kann sein, das der Zamperl die Täter entdeckt hat und dabei sterben musste. Also keine blöden Witze mehr. Ich will wissen, wie der Hund gestorben ist und wann. Und ich brauche alle möglichen Spuren. Auf dem Haus und auch im Haus. Die Veranda ist ausgehebelt worden. Mit einem Glasschneider zuerst das Glas aufgeschnitten, dann die Tür geöffnet. Das waren Profis, keine Amateure. Und es leben reiche Leute hier im Haus. Also keine Fehler und keine blöden Bemerkungen. Habt’s ihr mich verstanden?«

      Zeidler und Schurig stellten ihre Koffer ab, legten ihre linke Hand an die Hosennaht und salutierten mit der Rechten: »Jawoll Herr Obersturmbannführer, Jawoll.« Dann drehten sie sich ab, nahmen ihre Koffer wieder in die Hand und marschierten im Stechschritt lachend davon.

      Kreithmeier rief ihnen hinterher: »Arschlöcher, verdammte Arschlöcher, macht euren Job, und nichts anderes.«

      Es war hoffnungslos.