Karl Michael Görlitz

Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3


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Ili-Kino seine Pforten geschlossen, aber damals in den Achtzigern siechte es munter vor sich hin in diesem Viertel voller Merkwürdigkeiten.

      Unsere Sonnenallee war eine Allee voller Fachgeschäfte. Vom Hermannplatz bis zum Hertzbergplatz reihte sich Fachhandel an Fachhandel, der immer ein bisschen aus der Zeit geraten schien. Der Möbelhändler zeigte seinen Sachverstand an Modellen, die fast museumsreif waren, der Tapetenspezialist klebte Muster, die schon bei Kriegsende als veraltet galten, und in den Modegeschäften hingen Nylonkittel, in denen sich unsere Putzfrau daheim geniert hätte.

      Vor allem Spezialgeschäfte zur Verschönerung des Heims waren in der Sonnenallee heimisch. Tapeten und Farben wurden abgelöst von Teppichböden und Farben, und die wiederum von Heimwerkerbedarf zum Ablösen der Tapeten. Ein Viertel im Umbruch, allerdings mehr innen, denn draußen wurde mit Farbe gespart. Es rechnete sich nicht für den Hausbesitzer, und viele waren dazu übergegangen, nur noch die allernötigsten Reparaturen durchführen zu lassen. Viele Kapitalisten waren längst nach Westdeutschland abgewandert und ließen ihren Besitz von Fachleuten verwalten, die darauf bedacht waren, profitabel zu arbeiten.

      Von Besitzerstolz am Ererbten, oder der Maxime: Besitz verpflichtet, wie es so schön heißt, weit und breit keine Spur mehr.

      Irgendwie war das Viertel in den 60er Jahren steckengeblieben. Einer Zeit des Aufbruchs. Nur wohin? In der Karl-Marx-Straße reihten sich dicht an dicht die Schuhgeschäfte. Jedes größere Handelshaus hatte hier seine Filiale, dabei sah man nicht mehr Fußgänger als anderswo. Seltsamer Volkssport! Ein Altberliner erklärte: Bis zum Mauerbau hatte die U-Bahn massenhaft Kunden aus Ostberlin herangekarrt, weil das die schnellste Verbindung ins westliche Konsumparadies gewesen war. Tatsächlich wirkte der Fernsehturm mit der aufgespießten Kugel, vom Hermannplatz aus gesehen, ziemlich nah, und in stillen Nächten hörte man das Gekreisch der S- Bahn vom Treptower Park.

      Oft dachte ich an die Schwester dabei, die Fahrt damals, vom Bahnhof Friedrichstraße bis zur Helmholtzstraße, war mir endlos erschienen und ich hatte das Gefühl gehabt, weit draußen in der Pampa gelandet zu sein. In Wirklichkeit wohnten wir jetzt praktisch um die Ecke und befanden uns immer noch mittenmang der Stadt. Aber Treptower Park mit Ehrenmal, Rummelplatz (der sich hochstaplerisch Kulturpark nannte) und der stolzen Weißen Flotte am See hätten genau so gut auf einem fremden Planeten liegen können. Ein Planet, von dem nächtens gespenstisch herüberschallte, und der besonders im Winter seinen Mief von Braunkohle und Zweitaktgemisch mit freundlichen Grüßen zu uns wehen ließ. Über den Kanal, der gleichzeitig auch Grenze war, zu einem Land voller Abenteuer.

      Seit der Grenzverkehr praktisch zum Erliegen gekommen war, war es vorbei mit den guten Geschäften im Viertel, und das sah man leider auch an den Auslagen. Soviel Teppichböden in längst aus der Mode gekommenen Braun- und Grüntönen lagen in den Fachgeschäften um uns herum, was die Gegend immer ein bisschen herbstlich aufmunterte, auch wenn in Schöneberg gerade Mai war.

      Nach soviel Lokalkoloratur sollte vielleicht wieder die Handlung einsetzen, aber beim Stichwort Lokal muss ich noch schnell anfügen, dass um den Hermannplatz herum einige Schwulenbars lagen, in welchen das nicht ganz so toughe Vorstadtpublikum verkehrte, das man in der City, mit ihren anerkannten Schönheiten wie David Bowie, praktisch nie antraf. Die City-Hautevolee fuhr gelegentlich zu uns aufs Land, um sich über die schlichten Gemüter zu amüsieren, die immer noch mit toupierten Haaren und dem Herrenhandtäschchen am vom Cartier gebrochenen Handgelenk zu Marianne Rosenberg die Tanzfläche stürmten. Slumming nannte man hochnäsig diese Ausflüge und sie wurden zumeist von jenen unternommen, die auch in unserem Vorstadtidyll niemanden abkriegten. Leute, die höchstens in Ostberlin noch einen Jüngling fanden, der für eine Westjeans bereit war, beide Augen und einiges mehr zuzudrücken. Männer, deren Verfallsdatum längst abgelaufen war, oder jene, die nie eine Chance auf dem Markt der Begehrlichkeiten bekommen hatten.

      Dabei gab es durchaus ganz nette Burschen, die gern in ihrem Viertel blieben, weil sie weite Wege scheuten, und lieber eine Tränke in der Nachbarschaft aufsuchten, um in trüber Beleuchtung zu fischen.

      Es war wirklich etwas umständlich, mit dem Nachtbus aus der City nach Hause zu fahren, der gemächlich erst einmal durch halb Kreuzberg kreuzte, bevor er über den Kottbusser Damm den Endhaltepunkt Hermannplatz ansteuerte.Von dort mussten wir entweder laufen, oder in ein Taxi umsteigen, denn die Sonnenallee zog sich.

      Klar, dass wir gern noch einen Abstecher zu einem Schlummertrunk machten, waren wir erst einmal am Hermannplatz angelangt, bevor uns die Beine in die Hand nahmen. Bald waren wir oftmals auch zu träge, die weite Reise in die City anzutreten und blieben samstags im Kiez bei Kreuzberger und Neurheinischen Schwestern. Vier Jahre Vorstadt - det prägt!

      DER ERSTE TAG

      Man kennt es ja. Der erste Arbeitstag ist doof. Man kennt die Leute nicht, man weiß nicht, welche Arbeit wartet und wie man sich am besten nützlich macht. Man hat das Gefühl, überall im Weg zu stehen und mit seinen Fragen die eiligen Arbeitsabläufe zu blockieren. Eines war schon vorab telefonisch geklärt worden: Ich wollte keinesfalls ein eigenes Büro, so wie es eigentlich geplant war. Nö! Allein in einem Hinterzimmer zu sitzen, ohne menschliches Miteinander und niemanden für ein Gespräch, das war absolut nicht mein Ding. Das kannte ich schon von diversen Arbeitsstätten, wo ich aus purer Langeweile fleißig geschafft hatte. Ganz normal im Atelier zwischen Kollegen wollte ich sitzen, ganz besonders zu Anfang, wo viele Fragen zu beantworten sind.

      Ja, mit Vorzimmer-Cerberus, der lästige Besucher abbremst und mit Kanapee für die kreative Pause, hätte ich es schon gern gemacht. Aber so? Immer auf der Hut sein, dass jemand ohne anzuklopfen hereinstürmt und dich beim Nasenpopeln überrascht. Ach nö, Herr Butterbeck, das lassen sie mal. Keine Umstände bitte!

      Anscheinend hatte genau das besondere Umstände bereitet, denn das ganze Atelier war frisch renoviert worden, für die Ankunft des großen Spezialisten aus der Werbemetropole.

      Die neuen Kollegen waren genötigt worden, selbst mit Hand anzulegen, beim Weißen der Rauhfasertapete und anderen niederen Arbeiten, und entsprechend war die Stimmung der drei Mitarbeiter, aus denen die gesamte Atelierbelegschaft bestand.

      So kannte die Begeisterung keine Grenzen, als ich in Begleitung des Werbeleiters erschien, um vorgeführt zu werden. - Aha, der Neue, sehr angenehm, hrmm – erfreut! Waren die Eisblumen am Fenster und der Rauhreif auf dem Tesafilmabroller nicht wunderschön? Und erst die Dahlien auf dem Balkon vor Frau Müllers Fenster, die in voller Blüte standen an diesem warmen Spätsommertag.

      Meine neue Hinrichtungs- äh - Wirkungsstätte war in einem Altbau gleich neben dem großen Kaufhaus untergebracht, der äußerlich so schäbig war, dass niemand eine Verbindung zur Glitzerwelt der Ladenräume vermutete. Gut getarnt, denn unten gab es nur eine ganz normale Haustür, die leicht überwunden werden konnte.

      War das nicht hier gewesen, wo sich während des Queen-Besuches einige unternehmungslustige Herren hatten einschließen lassen, für ein verlängertes frohes Wochenende? Um in aller Ruhe die damals noch üblichen Lohntüten zu öffnen, die dringend umgepackt werden mussten. Eine Sisyphosarbeit, die ganzen entwendeten Kleingeldbeträge auf einer Registrierkasse zu addieren. Schließlich will man ja wissen, wieviel man erbeutet hat, und das braucht seine Zeit, die Pausen für einen erfrischenden Schlummer in der Campingabteilung nicht mitgerechnet. »Noch nie in meinem Leben hab ich so viel und hart arbeiten müssen!«, soll einer von ihnen bei der Vernehmung gesagt haben, denn leider hatte man sie geschnappt, auf Grund von Prahlsucht! Blödmänner aber auch, müssen die denn auch gleich mit ihrem genialen Coup die falschen Ohren vollabern. Prahle nie ein Ding zum Scherz.......

      »Wir haben die Wände in ihrem Raum extra weiß gelassen, damit sie die Flächen selbst gestalten können«, drang plötzlich die Stimme von Herrn Butterbeck an mein Ohr. »Richten sie sich hier im Atelier ganz nach ihrem Geschmack ein!«

      Wie denn, was denn? Ganz nach meinem Geschmack? Ja, für die Breitseite gegenüber der Flügeltür mit mattgeätzten Scheiben wäre Platz für einen großen Aubusson-Wandbehang, und über der Tür zum Flur ein Kandinsky. Ein Überkandinsky! Aber vor allem würde ich den Pittoresken Herrn am Nebentisch auswechseln, der sich schon wieder eifrig über seine Arbeit beugte, nachdem er kurz von mir Notiz genommen hatte. Streber! Die anderen Beiden