Karl Michael Görlitz

Sandburgen & Luftschlösser - Teil 3


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darauf vorbereitet, endlich mit Gleichgesinnten zusammenzuarbeiten, und dann das! Herr Fritsch strahlte Seriosität aus, schwarz gewandet von der Brille bis zur Sohle. Merinopullover mit Kragen und Knopfleiste, weißes Hemd mit dezenter Krawatte, teuer und unaufdringlich. Gepflegte Frisur, Naturlocke, noch einigermaßen winterfest. Aber diese Hornbrille über dem flotten, akkurat gemähten Schnäuzer im rundlichen Gesicht hätte nie eine Tunte getragen, so wahr mir Gott helfe!

      Am nettesten schien mir noch diese Frau Müller. Von vorn war sie hübsch, auch wenn die Seitenansicht ein wenig den vorteilhaften Eindruck schmälerte, da ein klein wenig fehlendes Durchsetzungsvermögen in der Kinnpartie von ihrem Schöpfer angelegt worden war. (Also, vorsichtiger kann ich es jetzt nicht sagen, liebe Paula, auch wenn du mir ans Herz gewachsen bist. Dass der Fritsch dich immer als Henne karikiert hat, oder Milbenhuhn rief, ist wirklich nicht mir anzulasten. Und wenn wir schon bei dem unschmeichelhaften Vergleich bleiben wollen, bist du höchstens eine Glucke, unter deren Flügel sich gut sitzen lässt.)

      Frau Müller mit i, also Mieler ausgesprochen, da sie aus der Tschechei stammte, wenn auch leider nicht verwandt mit dem bekannten Haushaltsgerätehersteller. Auch wenn sie sich jetzt in Zurückhaltung übte, so war ihre Gutmütigkeit unschwer zu erkennen. Freundlich sah sie aus. Sie wäre eine Alternative zu dem Modell neben mir gewesen, aber leider saß sie hinter der Flügeltür zum Balkonzimmer, in dessen Erker sich Kollege Fritsch breitgemacht hatte. Sie pflegte auch die Pflanzen in den Blumenkästen und saß ein wenig verschanzt hinter den halbhohen Materialschränken, die den Raum teilten, und der raumhohen Schrankwand, hinter welcher eine Art Notflur in ein weiteres Büro führte, das jeder passieren musste, der die Werbeleitung aufsuchte, die bereits in der Nachbarwohnung lag. Die Türen zum Treppenhaus waren versiegelt und nur als Notausgang nutzbar, das machte den Slalom zu den Büros der herrschenden Kaste notwendig.

      Der Chefdekorateur hatte hier sein Reich, zusammen mit der Sekretärin in einem Raum. Sehr intim. Sein Vorgesetzter dagegen hatte gleich drei Vorzimmerdamen. Zwei männliche, Werbeassistenten geheißen, und eine Sekretärin, deren Bluse eindeutig weibliche Sekundärmerkmale durchschimmern ließ. Dahinten saßen sie also, die Werbeassistunten! Ebenfalls halb verborgen durch Geschränk, der Meister hatte durch die meist geöffnete Flügeltür freien Blick auf die attraktive Arbeitskraft hinter der Schreibmaschine, die zudem als zarter aber energischer Prellbock zwischen Herrscher und hungriger Meute diente. Ganz am Ende seines riesigen Zimmers mit Blick zum Hof thronte der Boss wie Hitler in der Reichskanzlei, nur moderner. Später musste ich feststellen, dass er auch genau so gern brüllte wie der Irrwisch aus Austria, aber vorhin beim Begrüßungsgespräch hinter verschlossener Tür hatte er sich äußerst jovial gezeigt.

      Ein wenig theatralisch hatte sein Büro auf mich gewirkt mit den aufgestapelten Mustern und Versatzstücken, die in scheinbarem Durcheinander höchst abgezirkelt umherstanden. Sie standen allesamt auf der linken Seite, sozusagen als Work in Progress, während rechterhand ein flaches Regal in die Tiefe des Raumes führte, gefüllt mit Kunstbänden und Schöner Wohnen-Periodika rund um den Globus, und die selbstverständlich nach Farbe sortiert. Einige lagen natürlich wie rein zufällig herum, halb aufgeschlagen und erst wieder zu, wenn die Staubschicht störte.

      Ein großer Konferenztisch in der Mitte, zusammengeschoben aus vier normalen Resopaltischen, aber Charles Eames-Stühle drumrum. Und ein Designerschreibtisch als Schanze, als letzte Hürde sozusagen, denn von einer Schanze hatte er auch gesprochen, vorhin, bei dem vertraulichen Gespräch, welches wir miteinander geführt hatten.

      Von einer Schanze für mich hatte er gesprochen, vorausgesetzt, ich ergriffe nicht die Chance, um an seinem Stuhl zu sägen. Natürlich hatte er es etwas blumiger umschrieben und von Sprungbrett auf seinen Rücken gesprochen. Diesbezüglich hatte ich ihn beruhigen können, so karrieregeil wie er war ich schon lange nicht, und von Meuchelmord hielt mich meine Erziehung ab.

      Er sähe es gerne, wenn ich Anweisungen aus dem Schatz meiner Erfahrungen gäbe, aber direkt weisungsbefugt war einzig er. Er hatte das letzte Wort, und das Vorwort auch, und meine Anweisungen erhielt ich ausschließlich von ihm. Und schon lange nicht von Chefdekorateur, der sich immer wieder ungefragt einmischte und ausdrücklich nicht befugt war, mir Anweisungen anzuweisen, in diesem ganzen Weisenhaus. Dieser gewisse Herr mit dem Namen, na, sagen wir mal: Herr Bukett, sei ohnehin eine Pfeife, vorsichtig ausgedrückt. Und überhaupt herrschte hier im allgemeinen ein rauher Ton, der vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig sein könnte.

      Mit den Namen ist es immer so eine Sache, mancher fühlt sich auf den Schlips getreten, deshalb versichere ich sie und ihnen: Was ich erzähle ist reine Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und die Handlung ist allein der Phantasie des Autors entsprungen. Das einzige, was sich nicht wegdiskutieren lässt, sind die neuneinhalb Jahre als Angestellter dieses hohen Hauses, und das der Autor auch schon zuvor unter einer Persönlichkeitsstörung litt.

      Danach hatte sich mein neuer Boss noch einem anderen wichtigen Thema zugewandt und mich regelrecht beschworen, nur ja nicht über mein Gehalt zu reden. Mit niemanden! Am Besten auch nicht mit der Ehefrau (hoho), oder dem Finanzamt (hihi - wusste der Blödmann nicht, dass die Steuern direkt von der Buchhaltung abgeführt wurden?) und nicht unter Folter. Er hatte bereits größte Mühe gehabt, die Summe durchzusetzen, und mein Lohn sei nur durch ein Grundgehalt mit allerlei Funktionszulagen ermöglicht worden, und darüber zu reden käme einer Art Hochverrat gleich. (Mit wahrscheinlich tödlichen Folgen, so dramatisch wie er geklungen hatte.) Lohn blieb ein Geheimnis, und ich war der Mann mit geheimer Mission. Woraus die bestehen sollte, war mir allerdings ein wenig unklar geblieben.

      Danach hat er mir noch viel Erfolg gewünscht. Und nun standen wir vor der jungfräulichen weißen Wand und ich überlegte, was ich hinhängen sollte, während der Typ neben mir unermüdlich einen Bogen Transparentpapier bekritzelte. Am Besten wohl mich selbst, dann wäre die Belegschaft noch am ehesten zufrieden gewesen – jedoch von diesem Gedanken nahm ich wieder Abstand. Da nehme ich doch lieber Andy. Andy Warhol mit Marilyn Monroe als Gruppenbild im Halbkreis aufgestellt. Vielfarbig, dynamisch, am besten in echt.

      »Bestellen Sie, was Sie brauchen«, unterbrach mein neuer Boss den kreativen Moment. Tatsächlich? Ich brauchte Schönheit um mich herum. Am besten männliche. Der eine von den beiden Werbeassistenten hätte mir zugesagt, nur flüchtig waren wir bekanntgemacht worden, aber oho. Das war doch wohl das Schönste, was mir seit Jahren untergekommen war. Da verblasste ja selbst mein Ami mit dem Schelmenblick. Den blonden Adonis könnte ich schon gut gebrauchen, wäre er auch noch so doof. Allein sein Anblick würde mich erheitern, zu früher Morgenstund und auch gern am Abend. Doof war der bestimmt nicht, mit dem schnellen Blick, mit welchem er mich taxiert hatte, um dann freundlich loszulächeln. Der andere, na ja, war nicht ganz so schön gewesen, mit der Brille auf den karottenroten Sommersprossen der Nase. Oder war das Akne gewesen? Irgendwie hatte ich gar nicht so genau hingeschaut, geblendet von so viel Anmut des schöneren Werbeassistenten. Mann, war das ein Mann!

      »Frau Müller hier, nimmt ihre diesbezüglichen Wünsche entgegen«, fuhr Butterbeck fort. Na toll! Weg mit dem Ding am Nachbartisch und her mit den jungen Franzosen.

      Vorhin hatte ich ihn höflich interessiert gefragt, was er denn da mache, denn der Riesenstapel Transparentpapieres mit irgendwelchen Kritzeleien darauf hatte mich neugierig gemacht. Kreuze hier, Kreuze da. Wahlnacht war auch nicht, und da erkundigt man sich schon mal.

      »Ick mach in Teletext!«, hatte er mir verdrossen geantwortet.

      Aha, davon hatte ich andeutungsweise etwas gehört. Die Post unternahm einen Feldversuch in Berlin in überschaubaren Rahmen. Berlin, der beliebte Testmarkt unter uns Werbefachleuten Nansen1 genannt, wurde in ein neuartiges Kommunikationsprogramm eingebunden, von welchem wahre Wunderdinge zu vernehmen waren. Per Teletext wurden Bestellungen aufgegeben, die Hebamme gerufen, die Steuererklärung ausgefüllt und mit dem Hund Gassi gegangen, und alles im Fernsehen.

      »Und was sind das für Kreuzchen, die sie da machen?« wagte ich noch einmal nachzuhaken.

      »Det sin Pixel. Allet Pixel!«

      Danach hatte er sich sofort wieder über die Arbeit gekrümmt, verärgert darüber, dass ich seinen demonstrativen Eifer mit einer Frage unterbrochen hatte.

      Pixel??? - Was meinte