Mitschüler und necken sie aufgrund ihrer ausufernden Fantasie, welche ihr im Deutschunterricht zum Vorteil gereicht und sich oft in langen Aufsätzen niederschlägt.
In ihrem Ort auf der Hallig ist alles ordentlich und geregelt, da gibt es nichts Ausschweifendes. Das Außergewöhnlichste ist der alte rotbärtige Hanussen, der eine dicke Warze auf der Nase hat und bei Wind und Wetter eine abgenutzte durchlöcherte Wollmütze trägt, unter der seine störrischen roten Haare hochragen und an manchen Stellen hindurchwuchern wie wilde stachlige Brombeerbüschel. An den Füßen trägt er derbe, bis zum Knie gebundene Lederstiefel, „schützen vor Feuchtigkeit und Kälte“, pflegt er zu sagen, knispert mit den Augen und stopft sich seelenruhig sein Pfeifchen.
Mit ihm verbindet Elke eine seltsame Freundschaft. Er kann Geschichten erzählen von ungewöhnlichen und geheimnisvollen Dingen, die seit der Zeit, als der Hauke Haien Vogt gewesen war und das schlimme Unglück geschah, umgingen. Dann nimmt er seine Pfeife aus dem Mund und weist mit ihr auf den Deich und darüber hinaus aufs Meer und befindet:
„Die sind stärker, die Naturgewalten, als wir Menschen. Wer keine Achtung vor der Natur und ihrer niemals zu bändigenden Kraft hat, wird eines Tages, immer und immer und ohne Ausnahme, die Quittung erhalten. So wird es sein.“
Sie nimmt manchmal ihr Notizbuch mit und zeichnet den alten Tom, oft schreibt sie dazu gleich eine seiner Geschichten auf. Mit der Zeit ist ein richtiges kleines Büchlein daraus geworden.
„Du wirst noch einmal berühmt“, sagt er dann, klopft seine Pfeife aus, hebt ihr Kinn mit seinen knotigen Fingern an. „Gicht“, erklärt er, „kommt von der ewigen feuchten kalten Luft hier“, und blickt ihr mit seinen wasserblauen, etwas triefenden Augen ins Gesicht, „und lass dich nicht irre machen von den Leuten hier. Sie sind alle ein wenig beschränkt.“
Elke weiß, dass die Leute das von Hanussen ebenfalls denken. Sie wundert sich immer, dass der alte Mann, der nie, wie er behauptet, aus dem Dorf herausgekommen war, so vieles weiß, von dem die anderen keine Ahnung haben.
Hanussen benutzt seine Pfeife, einerlei ob sie brennt oder kalt ist, immer wie einen Zeigestock und weist sich an die Stirn: „Alles hier drin, Wind und Meer haben mir alles zugetragen. Die Zugvögel, die von weither kommen, haben mir das Lied von den Weiten des Ozeans und der Unendlichkeit des Himmels gesungen. Ich höre alles, was andere nicht hören. Ich höre sie reden, wenn auch kein Wort ihren Mund verlässt. Jaha, sie sagen, der spinnt, der alte Hanussen. Das ist gut so. Ich lasse sie gerne in dem Glauben.“
Hanussen war Leuchtturmwärter gewesen, jetzt war er schon lange im Ruhestand und er sagt, dass er froh darüber sei, denn heute ist alles anders.
Eines Tages beugte er sich tief zu ihr hinüber, mit einem langen, etwas gekrümmten Rücken, reckte den Hals weit vor und starrte ihr eindringlich in die Pupillen, während er die Pfeife an den Mund legte und dann „Psst“ sagte:
„Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis. Es ist sehr wichtig, dass du es weißt. Es gibt Dinge, die niemand erklären kann; ich weiß, wie du weißt, um solche Sachen. Aber eines habe ich dir noch niemals erzählt.“
Hanussen kam ins Stocken, er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, räusperte sich umständlich, obwohl keine Notwendigkeit zu bestehen schien, senkte seine Stimme um Nuancen, bevor er fortfuhr:
„Der Schimmel von Hauke Haien galoppiert in manchen Nächten wieder einsam über den Deichschart. Es wurde gesagt, es stecke der Teufel in ihm, aber das ist dummes Zeug. Der Schimmel ist der beseelte freie Geist, der ihm von einem weisen, die Halligbewohner sagen von einem fragwürdigen alten Mann geschenkt wurde. Wer der alte Mann war, hat nie jemand herausgebracht. Vielleicht ein Vorfahr von mir, ein Hanussen“, zwinkerte er, „oder ich war es gar selbst“, lächelte er verschmitzt und geheimnisvoll.
Elke notierte fleißig in ihr Büchlein.
„Einen freien Geist, den brauchst du, wenn du eines Tages da draußen in die Welt gehst und den Menschen etwas bringst, das sie einst besaßen, etwas, das ihnen fast völlig abhanden gekommen ist, und das sie mehr als je zuvor benötigen. Gehe in einer dieser Nächte an den Strand, du wirst wissen in welcher. Du wirst das weiße Pferd sehen, und der freie Geist wird von da an immer mit dir sein.“
Elke wunderte sich wirklich über nichts, was Hanussen sagte.
Aber so ist es geschehen: Es war in dieser Nacht, und es war Vollmond. Bleich stand er am Himmel. Das Zimmer war ganz hell und lichte breite Streifen fielen trotz des Vorhanges auf ihr Bett. Sie trat ans Fenster, es war, als hörte sie ein Rufen, dem sie blind, ohne zu zögern, folgte, bis sie am Strand am abgelaufenen Ufer im Watt das weiße Tuch sah.
Plötzlich steht die welt auf dem kopf
Dabei hat er sich nicht vom fleck bewegt
seine ruhe und gelassenheit waren sprichwörtlich
im schneckentempo krochen seine abgelegten
gedanken über den rand der tageszeitung hin −
im glas der blankgewienerten mahagony˗
tischplatte spiegelte sich die kristallvase,
das sofakissen war verrutscht
und der noppenteppich begann
sich zu heben und an der decke zu schweben
das oberste wurde zu unterst gekehrt
und die glocke an der haustür
schrillte in einem anderen ton.
Hinter der balustrade fingen hunde an zu kläffen
das gartentor stand offen − auf der geschniegelten
rasenfläche tobten kleine bunte munter hüpfende
gummibären − der golfball lag verlassen – aus
dem loch kam ein maulwurf angriffslustig
mit blinden augen rollend
und riesige schaufelhände rotierten.
Es kam auch unruhe in die gute stube, es kam
auch die frau zurück von der einkaufsmeile
in der ein durchgeknallter wachtposten
alle passanten zum spargelessen einlud
während die kassiererin aus kasserolle
kleine papierkügelchen formte
und in die warteschlange warf,
ein lustiges kind mit roter mütze schoss
mit der wasserpistole omas nass
alles in allem lauter kleinigkeiten, die nicht
auf dem einkaufszettel standen!
Das gab mir zu denken, sagte die frau mit unterschwellig drohendem kehllaut ... hinterließ einen absatz auf der treppenstufe, als sie mit fliegender miene und aufgerissenen augen das haus verließ auf nimmerwiedersehen --->
Er schüttelte mit dem kopf und blätterte die seite um
Mutter und Kind
Der Tag neigt sich dem Abend zu. Eine Mutter eilt mit ihrem Kind an der Hand durch die menschenleere Straße, erste Laternen werden entzündet. Das kleine Mädchen stolpert hinterher, seine kleinen Füße können mit denen der Mutter nicht Schritt halten, die es gewaltsam und rücksichtslos hinter sich her zieht, den Kopf schüttelnd und vor sich hin murmelnd. Au, Mann, sie hatte sich in der Zeit vertan, er würde stinksauer sein, wenn er von der Arbeit kam und sie und das Kind nicht vorfand.
„Gut, dass ich noch die Kartoffeln von gestern habe, dazu ein paar Zwiebeln in die Pfanne und den Rotkohl aus der Dose, dann kann er wenigstens nicht meckern, dass es nichts zu essen gibt.“
Sie hegt die Hoffnung, dass er vielleicht noch in der Kneipe an der Ecke ein Feierabendbierchen trinkt, aber das kam selten vor.
Die Mutter zerrt das Kind am Arm: “Verdammt noch mal, nun trödel nicht so!“
Blöd,