Stefan Zweig

Marie Antionette


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und durch das festlich bekränzte des neuen Herrscherpaares ersetzt: Le roi est mort, vive le roi.

      Viel Schmeichelkunst ist für einen geübten Medaillenschneider gar nicht nötig, um dem braven Biedermannsgesicht Ludwigs XVI. etwas Cäsarisches aufzuprägen. Denn abgesehen von dem kurzen festen Nacken kann man den Kopf des neuen Königs keineswegs unedel nennen: eine ebenmäßig zurückfliehende Stirn, ein starker, beinahe kühner Schwung der Nase, eine vollsaftig sinnliche Lippe, ein fleischiges, aber wohlgeformtes Kinn ergeben, rundlich geeint, ein stattliches, ein durchaus sympathisches Profil. Verschönender Nachhilfe bedarf am ehesten der Blick, denn ohne Lorgnette erkennt der außergewöhnlich Kurzsichtige schon drei Schritte weit keinen Menschen; hier muß der Stichel des Graveurs schon ziemlich viel Korn und Tiefe nehmen, um diesen schwerlidrigen, blaßschwimmenden Kuhaugen etwas Autorität zu verleihen. Schlecht steht es bei Ludwig, dem Schwerfälligen, auch mit der Haltung; ihn im Ornat wirklich aufrecht und imposant erscheinen zu lassen, das bereitet allen Hofmalern arge Not, denn frühzeitig verfettet, unbeholfen und durch seine Kurzsichtigkeit bis zur Lächerlichkeit linkisch, macht Ludwig XVI., obwohl fast sechs Fuß hoch und gerade gewachsen, bei allen offiziellen Anlässen unglückliche Figur (la plus mauvaise tournure qu'on pût voir). Er geht über das blanke Parkett von Versailles plump und mit schaukelnden Schultern »wie ein Bauer hinter dem Pflug«, er kann weder tanzen noch Ball spielen; wenn er bloß hastig ausschreitet, stolpert er schon über seinen eigenen Degen. Dieser körperlichen Ungeschicklichkeit ist sich der arme Mann genau bewußt, sie macht ihn verlegen, diese Verlegenheit steigert neuerdings seine Tapsigkeit: so hat jeder zunächst den Eindruck, in dem König von Frankreich einen kläglichen Tölpel vor sich zu sehen.

      Aber Ludwig XVI. ist keineswegs dumm und beschränkt; nur wie im Auftreten durch seine Kurzsichtigkeit, ist er geistig durch seine Schüchternheit (die im letzten wahrscheinlich auf seiner sexuellen Unmännlichkeit beruht) arg gehemmt. Eine Unterhaltung zu führen, bedeutet für diesen krankhaft scheuen Herrscher jedesmal eine seelische Anstrengung, denn weil er weiß, wie langsam und schwerfällig er denkt, hat Ludwig XVI. eine unsagbare Angst vor klugen, witzigen und gescheiten Leuten, denen das Wort rasch auf die Lippe springt; schamvoll fühlt der ehrliche Mann im Vergleich zu ihnen die eigene Linkischkeit. Läßt man ihm aber Zeit, seine Gedanken zu ordnen, drängt man ihn nicht zu schnellen Entscheidungen und Antworten, so überrascht er selbst skeptische Partner wie Joseph II. oder Pétion durch seinen zwar niemals hervorragenden, aber doch redlichen und geradlinigen gesunden Menschenverstand; sobald seine nervöse Scheu einmal glücklich überwunden ist, wirkt er durchaus normal. Im allgemeinen liest und schreibt er aber lieber, statt zu sprechen, denn Bücher sind still und bedrängen nicht; Ludwig XVI. (man würde es nicht glauben) liest gern und viel, er hat gute Kenntnisse in Geschichte und Geographie, verbessert unablässig sein Englisch und Latein, wobei ihn ein ausgezeichnetes Gedächtnis unterstützt. In seinen Akten und Haushaltungsbüchern hält er tadellose Ordnung; jeden Abend verzeichnet er in seiner klaren, runden, fast kalligraphisch saubern Schrift die armseligen Nüchternheiten seines Lebens (»sechs Hirsche geschossen«, »mich purgieren lassen«) in ein Tagebuch, das durch ein ahnungsloses Übersehen alles welthistorisch Wichtigen geradezu erschütternd wirkt – im ganzen das Musterbild eines mittelmäßigen, unselbständigen Intellekts, von Natur aus etwa zu einem verläßlichen Zollrevisor oder Kanzleibeamten bestimmt, zu irgendeiner rein mechanischen und subalternen Tätigkeit im Schatten der Geschehnisse, – zu allem und allem, nur zu einem nicht: zu einem Herrscher.

      Das eigentliche Verhängnis im Naturell Ludwigs XVI. aber ist: er hat Blei im Blut. Etwas Stockiges, Schweres versulzt seine Adern, nichts wird ihm leicht. Immer muß dieser redlich bemühte Mann einen Widerstand der Materie, eine Art Schlaftrunkenheit in sich überwinden, um etwas zu tun, zu denken oder bloß zu fühlen. Seine Nerven können, wie schlaff gewordene Gummibänder, sich nicht straffen, nicht spannen, nicht schwingen, sie sprühen nicht von Elektrizität. Diese angeborene Nervenstumpfheit schaltet Ludwig XVI. von jeder starken Gefühlsleistung aus: Liebe (im geistigen wie im physiologischen Sinn), Freude, Lust, Angst, Schmerz, Furcht, alle diese Elemente des Gefühls dringen bei ihm nicht durch die Elefantenhaut seiner Gleichmütigkeit, und nicht einmal unmittelbare Lebensgefahr kann ihn aus seiner Lethargie aufrütteln. Während die Revolutionäre die Tuilerien stürmen, geht sein Puls nicht eine Sekunde rascher, auch die Nacht vor der Guillotine kann keine der beiden Säulen seines Wohlbehagens, Schlaf und Eßlust, erschüttern. Nie wird dieser Mann, selbst die Pistole vor der Brust, erblassen, nie Zorn aus seinen stumpfen Augen aufleuchten, nichts kann ihn erschrecken, nichts aber auch ihn begeistern. Nur allergröbste Anstrengung, wie Schlosserei und Jagd, bringt wenigstens äußerlich seinen Körper in Bewegung; alles Zarte, Feingeistige, Graziöse, also Kunst, Musik, Tanz, ist dagegen seiner Gefühlswelt überhaupt nicht zugänglich; keine Muse und kein Gott vermögen seine trägen Sinne in Schwingung zu versetzen, selbst Eros nicht. Nie hat in zwanzig Jahren Ludwig XVI. eine andere Frau begehrt als die ihm sein Großvater als Gattin bestimmt hat; er bleibt mit ihr glücklich und zufrieden, wie er mit allem zufrieden ist in seiner geradezu aufreizenden Bedürfnislosigkeit. Darum war es eine teuflische Böswilligkeit des Schicksals, gerade von einer solchen stockigen und stumpf animalischen Natur die historisch wichtigsten Entscheidungen des ganzen Jahrhunderts zu verlangen, einen so durchaus auf das Beschauliche angelegten Menschen vor die fürchterlichste Weltkatastrophe zu stellen. Denn eben dort, wo die Tat beginnt, wo der Muskel des Willens in Zugriff oder Abwehr sich straffen soll, wird dieser körperlich robuste Mann auf die jämmerlichste Weise schwach: jede Entscheidung bedeutet für Ludwig XVI. jedesmal die allerschrecklichste Verlegenheit. Er kann nur nachgeben, nur tun, was andere wollen, weil er selbst nichts will als Ruhe, Ruhe, Ruhe. Bedrängt und überrascht, verspricht er jedem, was er verlangt, und ebenso schlapp und bereitwillig dem nächsten das Gegenteil; wer an ihn herankommt, hat ihn schon überwältigt. Durch diese namenlose Schwäche wird Ludwig XVI. immer wieder schuldlos schuldig und bei ehrlichster Absicht unehrlich, Spielball seiner Frau, seiner Minister, ein Bohnenkönig ohne Heiterkeit und Haltung, glücklich, wenn man ihm seinen Frieden läßt, verzweifelt und zum Verzweifeln in den Stunden, da er wirklich herrschen sollte. Hätte die Revolution diesem arglosen dumpfen Menschen, statt ihm ein Fallbeil in den kurzen dicken Hals zu treiben, irgendwo ein kleines Bauernhäuschen mit einem Gärtchen und einer unbedeutenden Pflicht gegönnt, sie hätte ihn glücklicher gemacht als der Erzbischof von Reims mit der Krone Frankreichs, die er ohne Stolz, ohne Lust und ohne Würde zwanzig Jahre hindurch gleichgültig trug.

      Einen solchen gutmütig unmännlichen Mann als großen Imperator zu preisen, hat auch der höfischste aller Hofbarden nie gewagt. Die Königin dagegen in allen Formen und Worten zu verherrlichen, in Marmor, Terrakotta, Biskuit, Pastell, in zierlichen Elfenbeinminiaturen und graziösen Gedichten nachzubilden, wetteifern alle Künstler, denn ihr Antlitz, ihr Gehaben spiegelt geradezu vollendet das Zeitideal. Zart, schlank, anmutig, liebreizend, spielerisch und kokett, wird die Neunzehnjährige von der ersten Stunde an die Göttin des Rokoko, der vorbildliche Typus der Mode und des herrschenden Geschmacks; wenn eine Frau als schön und anziehend gelten will, bemüht sie sich, ihr ähnlich zu sein. Dabei hat Marie Antoinette eigentlich weder ein bedeutendes, noch ein besonders eindrucksvolles Gesicht; ihr glattes, feingeschnittenes Oval mit kleinen pikanten Unregelmäßigkeiten wie der habsburgischen starken Unterlippe und einer etwas zu flachen Stirn, bezaubert weder durch geistigen Ausdruck, noch durch irgendeinen persönlich-physiognomischen Zug. Etwas Kühles und Leeres wie von glattfarbenem Email geht von diesem unausgeformten, noch auf sich selbst neugierigen Mädchengesicht aus, dem erst die späteren fraulichen Jahre eine gewisse majestätische Fülle und Entschlossenheit hinzutun. Einzig die weichen und im Ausdruck sehr wandelhaften Augen, die leicht in Tränen überströmen, um dann sofort wieder in Spiel und Spaß aufzufunkeln, deuten auf Belebtheit des Gefühls, und die Kurzsichtigkeit gibt ihrem seichten, nicht sehr tiefen Blau einen schwimmenden und rührenden Charakter; nirgends aber zeichnet Willensstraffheit eine harte Charakterlinie in dies blasse Oval: man spürt nur eine weiche, nachgiebige Natur, die von der Stimmung sich führen läßt und, durchaus weiblich, immer nur den Unterströmungen ihres Empfindens folgt. Dieses Zärtlich-Anmutige ist es auch, was alle an Marie Antoinette vor allem bewundern. Wahrhaft schön ist an dieser Frau eigentlich nur das wesentlich Weibliche, das üppige, vom Aschblonden ins Rötliche schimmernde Haar, das Porzellanweiß und die Glätte ihres Teints, die füllige Weichheit der Formen, die vollendeten Linien ihrer elfenbeinglatten und zartrunden Arme, die gepflegte Schönheit