Stefan Zweig

Marie Antionette


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immer lauter, näher und näher brandet von Zimmer zu Zimmer eine unverständliche Wortwoge. Jetzt, als ob ein Sturm sie groß aufgerissen hätte, öffnet sich die Tür, Madame de Noailles tritt ein, sinkt in die Kniee und grüßt als erste die Königin. Hinter ihr drängen die andern, mehr, immer mehr, der ganze Hof, denn jeder will rasch heran, seine Huldigung darzubringen, jeder sich zeigen, unter den ersten Glückwünschenden sich bemerkbar machen. Die Tamboure wirbeln, die Offiziere schwingen die Degen, und von Hunderten von Lippen braust der Ruf: »Der König ist tot, es lebe der König!«

      Als Königin schreitet Marie Antoinette aus dem Zimmer, das sie als Dauphine betreten. Und während man im verlassenen Hause mit einem Aufatmen der Erleichterung den blauschwarzen unkenntlichen Leichnam Ludwigs XV. rasch in den längst vorbereiteten Sarg packt, um ihn mit möglichst wenig Aufsehen zu verscharren, rollt die Karosse einen neuen König, eine neue Königin durch die vergoldeten Parktore von Versailles. Und an den Straßen jubelt das Volk ihnen zu, als sei mit dem alten König das alte Elend zu Ende und mit den neuen Herrschern beginne eine neue Welt.

      Die alte Schwätzerin Madame Campan erzählt in ihren bald honigsüßen, bald tränennassen Memoiren, Ludwig XVI. und Marie Antoinette seien, als man ihnen die Kunde vom Tode Ludwigs XV. überbrachte, in die Kniee gesunken und hätten schluchzend ausgerufen: »Mein Gott, schütze uns und bewahre uns, wir sind zu jung, viel zu jung, um zu regieren.« Das ist eine sehr rührende Anekdote und, weiß Gott, geeignet für eine Kinderfibel; schade nur, daß sie, wie die meisten Anekdoten um Marie Antoinette, den kleinen Nachteil hat, höchst ungeschickt und unpsychologisch erfunden zu sein. Denn solche bigotte Rührung paßt herzlich schlecht zu dem fischblütigen Ludwig XVI., der gar keinen Grund hatte, über ein Ereignis erschüttert zu sein, das der ganze Hof seit acht Tagen mit der Uhr in der Hand stündlich erwartete, und noch weniger zu Marie Antoinette, die sorglosen Herzens dies Geschenk der Stunde wie jedes andere entgegennahm. Nicht daß sie herrschgierig gewesen wäre oder schon ungeduldig, die Zügel zu fassen; nie hat Marie Antoinette davon geträumt, eine Elisabeth, eine Katharina, eine Maria Theresia zu werden: dazu war ihre seelische Energie zu gering, die Spannweite ihres Geistes zu eng, ihr Wesen zu träge. Ihre Wünsche reichen, wie immer bei einem mittleren Charakter, nicht weit über die eigene Person hinaus; diese junge Frau hat keine politischen Ideen, die sie der Welt aufprägen will, keinerlei Neigung, andere zu unterjochen und zu demütigen; nur ein starker, ein trotziger und oft kindischer Instinkt der Unabhängigkeit ist ihr von Jugend her eigen, sie will nicht herrschen, aber auch von niemand sich beherrschen und beeinflussen lassen. Herrin sein, heißt für sie nicht mehr als selbst frei sein. Jetzt erst, nach mehr als drei Jahren Bevormundung und Bewachung, fühlt sie sich zum erstenmal ungehemmt, seit niemand mehr da ist, ihr Halt zu gebieten (denn die strenge Mutter wohnt tausend Meilen weit, und dem unterwürfigen Gemahl lächelt sie seine ängstlichen Proteste verächtlich weg). Um diese eine entscheidende Stufe von der Thronfolgerin zur Königin erhöht, steht sie endlich über allen, niemand untertan als ihrer eigenen kapriziösen Laune. Zu Ende ist es nun mit den Quengeleien der Tanten, zu Ende mit Erlaubnisbitten beim König, ob sie auf den Opernball fahren dürfe oder nicht, vorbei die Anmaßung ihrer verhaßten Gegnerin, der Dubarry: morgen wird die »créature« für immer in die Verbannung gestoßen sein, nie mehr werden ihre Brillanten bei den Soupers blitzen, nie mehr in ihrem Boudoir sich die Fürsten und Könige zum Handkuß drängen. Stolz, und ohne sich ihres Stolzes zu schämen, greift Marie Antoinette nach der ihr zugefallenen Krone: »Obwohl mich Gott schon in jenem Rang zur Welt kommen ließ,« schreibt sie ihrer Mutter, »den ich jetzt bekleide, so kann ich doch nicht umhin, die Güte der Vorsehung zu bewundern, die mich, das jüngste Ihrer Kinder, für das schönste Königreich Europas erwählt hat.« Wer in dieser Ankündigung nicht den Oberton der Freude mitschwingen hört, hat ein hartes Ohr. Gerade weil sie nur die Größe ihrer Stellung fühlt und nicht auch ihre Verantwortung, besteigt Marie Antoinette sorglos und heiteren Hauptes den Thron.

      Und kaum hat sie ihn bestiegen, so rauscht ihr aus der Tiefe schon Jubel entgegen. Noch haben sie nichts getan, nichts versprochen und nichts gehalten, und doch begrüßt schon Begeisterung die beiden jungen Herrscher. Wird nicht jetzt ein goldenes Zeitalter anbrechen, träumt das ewig wundergläubige Volk, da die markaussaugende Mätresse in die Verbannung geschickt, der alte gleichgültige Lüstling Ludwig XV. verscharrt ist, da ein junger, einfacher, sparsamer, bescheidener, frommer König, eine entzückende, lieblich-junge und gütige Königin über Frankreich herrschen? In allen Schaufenstern prangen die Bildnisse der neuen, mit noch ganz unverbrauchter Hoffnung geliebten Monarchen; Begeisterung grüßt jede ihrer Handlungen, und auch der in Angst erstarrte Hof beginnt sich zu freuen: jetzt kommen wieder Bälle und Paraden, Heiterkeit und neue Lebenslust, die Herrschaft der Jugend und der Freiheit. Ein Aufatmen begrüßt den Tod des alten Königs, und die Sterbeglocken auf den Türmen ganz Frankreichs klingen so frisch und freudig, als läuteten sie zu einem Fest.

      Wahrhaft ergriffen und erschrocken, weil von düsterem Vorgefühl bewegt, ist in ganz Europa nur ein Mensch beim Tode Ludwigs XV.: die Kaiserin Maria Theresia. Als Monarchin kennt sie aus dreißig mühseligen Jahren die Last einer Krone, als Mutter die Schwächen und Fehler ihrer Tochter. Aufrichtig gern hätte sie den Augenblick der Thronbesteigung noch hinausgeschoben gesehen, bis dieses leichtköpfige und hemmungslose Geschöpf ein wenig mehr herangereift und vor den Versuchungen ihrer Verschwendungssucht geschützt gewesen wäre. Das Herz wird ihr schwer, der alten Frau, düstere Vorahnungen scheinen sie zu bedrücken. »Ich bin davon sehr ergriffen«, schreibt sie beim Empfang der Nachricht an den getreuen Gesandten, »und noch mehr mit dem Schicksal meiner Tochter beschäftigt, das entweder ganz großartig oder sehr unglücklich werden muß. Die Stellung des Königs, der Minister, des Staates zeigen mir nichts, was mich beruhigen könnte, und sie selbst ist ja so jung! Sie hat niemals ein ernsteres Streben gekannt und wird es auch nie oder kaum jemals haben.« Melancholisch antwortet sie auch der Tochter auf ihre stolzbewußte Ankündigung: »Ich mache Dir keine Komplimente über Deine neue Würde, die teuer erkauft ist und noch teurer sein wird, wenn Du Dich nicht entschließen kannst, dasselbe ruhige und unschuldige Leben zu führen, das Du dank der Güte und der Nachsicht dieses guten Vaters während dieser drei Jahre geführt hast und das Euch beiden die Zustimmung und die Liebe Eurer Nation eingetragen hat. Dies bedeutet einen großen Vorteil für Eure gegenwärtige Stellung; aber nun heißt es, sie zu bewahren wissen und recht anzuwenden zum Wohl des Königs und des Staates. Ihr seid beide noch so jung, und die Last ist groß; ich bin deshalb in Sorge, wirklich in Sorge ... Alles, was ich Euch jetzt raten kann, ist, nichts zu übereilen; seht Euch alles mit Euren eigenen Augen an, ändert nichts, laßt alles sich entwickeln, sonst wird das Chaos und die Intrige unendlich sein, und Ihr würdet, meine teuren Kinder, in solche Verwirrung geraten, daß Ihr Euch kaum mehr würdet heraushelfen können.« Von fern, aus der Höhe ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, übersieht die erprobte Regentin mit ihrem Kassandrablick die unsichere Lage Frankreichs viel besser als jene aus der Nähe, eindringlich beschwört sie die beiden, vor allem die Freundschaft mit Österreich und damit den Frieden der Welt zu wahren. »Unsere beiden Monarchieen brauchen nur Ruhe, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Wenn wir im engen Einvernehmen weiterhandeln, wird niemand unsere Arbeit stören und Europa sich des Glückes und der Ruhe erfreuen. Nicht nur unser Volk wird glücklich sein, sondern auch alle anderen.« Aber am dringendsten warnt sie ihr Kind vor der persönlichen Leichtfertigkeit, vor ihrem Hang zur Vergnügungssucht. »Ich fürchte diesen mehr als alles andere bei Dir. Es ist durchaus notwendig, daß Du Dich mit ernsten Dingen befaßt und vor allem Dich nicht zu außerordentlichen Ausgaben verleiten läßt. Alles hängt davon ab, daß dieser glückliche Anfang, der alle unsere Erwartungen übertrifft, fortdauere und Euch beide glücklich mache, indem Ihr Eure Völker beglückt.«

      Marie Antoinette, von der Sorge ihrer Mutter ergriffen, verspricht und verspricht. Sie bekennt ihre Schwäche aller ernsten Betätigung gegenüber und gelobt Besserung. Aber die Sorge der alten Frau, prophetisch bewegt, läßt sich nicht beruhigen. Sie glaubt nicht an das Glück dieser Krone, nicht an das ihrer Tochter. Und während die ganze Welt Marie Antoinette umjubelt und beneidet, schreibt sie ihrem vertrauten Botschafter den mütterlichen Seufzer: »Ich glaube, ihre schönsten Tage sind vorbei.«

      Bildnis eines Königspaares

      In den ersten Wochen nach einer Thronbesteigung haben immer und überall die Kupferstecher, Maler, Bildhauer