Justine la Mour

Meditatives Schießen


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Puderdöschen, Kämme und Geldscheine einzusammeln, die sie grundsätzlich nur lose bei sich trug.

      Stillos diese Leute, pflegte sie zu sagen, quetschen ihre Geldscheine in viel zu enge winzige Lederbörsen, die sie Portemonaie nennen, was für ein Unfug. Geld muss frei sein, frei zum Ausgeben, dazu ist es da, es muss atmen, sich entfalten, Zug um Zug durchatmen, flattern im Wind. Geldscheine sind wie Schmetterlinge, bunt müssten sie sein, zitronengelb, rosarot, lindgrün, azurblau und durch die Lüfte fliegen. Sieh mal, mein kleiner Pinsel. Und noch ehe er antworten konnte hatte sie schon einige Scheine hochgeworfen, ein Frühlingswindstoß wirbelte sie auf und trug sie davon. Peggy, die Frau ohne Angst, die Frau, die sich in einem einzigen Lachen erschöpfte, ein großer Mund mit rotbemalten Lippen an seinem Ohr. Er wurde taub davon, taub für die Zwischentöne des Lebens.

      Wie anders dagegen Leonora, die Windsbraut, die wahre Liebende und zugleich die Verräterin, die ewig Ängstliche, die ihn bedrängte mit etwas, was ohnehin unausweichlich war, für das er um Aufschub bat, nur Zeit, nur noch etwas Zeit für das Malen und Lieben, bitte. Ich habe Angst, es wird etwas geschehen, sie werden dich internieren, sie werden dich fangen und töten. Les Milles, weißt du, was das bedeutet? Die Flüsse werden über die Ufer treten, es wird Überschwemmungen geben, wir werden alle sterben, sie konnte nicht aufhören, davon zu sprechen. Es wird wahr, wenn du darüber redest, du redest es herbei.

      Und endlich kam der Morgen, an dem sie ihn abholten, fast eine Erleichterung, die Frist war rum, als hätte ihr eindringlich flüsternde Stimme sie herbeigelockt, als hätte sie es nicht nur zuvor gesehen, gefürchtet, geredet, sondern als sei es durch ihre Ahnungen erst wahr geworden. An den Abschied erinnerte er sich nicht mehr, ein Kuss, ein schwarzes Loch, ein Nichts, in dem er versunken war.

      Und jetzt war sie da, sie war in Lissabon. Die Dame mit dem rosa Hut kam näher, sie lief mit leichten fedrigen Schritten, fast wie eine Balletttänzerin, als schwebe sie über dem Asphalt. Wie klein ihre Füße waren, ihre Füße waren immer winzig gewesen, er konnte sie in den Mund nehmen und ablutschen, Zeh um Zeh, er spielte gern mit ihren Füßen. Mädchenfüße, Puppenfüße, so winzig, zu klein für diese Welt, sie lebte auf zu kleinem Fuß. Und doch würde sie sie alle überleben, sehr bald würde sie in Mexiko sein und dort leben, wer weiß wie lange noch.

      Peggys Füße waren riesig, die Füße einer Millionärin. Peggy, die Frohnatur, sie lachte, sie lachte über alles, sie lachte immer, Peggy, der rotbemalte lachende Mund, das Gegenteil von Leonora. Mach` dir keine Gedanken, Honey sagte sie, Don` t think, think pink. Smile now, cry later. Sie lebte in einer Gegenwart, die nichts anderes kannte als den immerwährenden Versuch, das Vergnügen, in dem sie sich gerade befand, zu steigern, es bis zum Äußersten zu treiben, es sich auf der Spitze eines immerwährenden Hochgenusses auf der Zunge zergehen zu lassen.

      Er hasste es, wenn sie ihn Honey nannte. Es war fast schlimmer als „mein kleiner Pinsel“. Hörte er das Wort Honey, sah er gleich goldgelben klebrigen Honig wie er auf ein weißes Baguette tropfte, wie er an den Fingern hängenblieb, wie übersüß er den Mund zukleckste. Gelbgoldenes Gift, dachte er. Wie schön dagegen die Erinnerung an Leonora, wie sie sich honiggelben glänzenden Senf auf die nackten Füße geschmiert hatte, eine Paste, scharf und streng, der Geruch, ein schöner Kontrast zur Farbe. Wie sie die Schuhe ausgezogen hatte, damals, in dem kleinen Restaurant, sie war erst Anfang zwanzig, eine Wahnsinnige der Kunst und des Lebens, beides war für sie eins und beides war ihr gleichermaßen ernst.

      Wir müssen die Ufer befestigen, sie überfluten, Wassermassen drängen nach, siehst du es nicht, hatte Leonora gesagt, und die Überschwemmungen ihrer Fantasien gemeint, die Bilderfluten, die sie tags und nachts quälten, wir müssen sie eindämmen, sonst läuft alles über, wir überschwemmen jeden Tag in der Kunst und jede Nacht an uns selbst.

      Er hatte verstanden, aber er wollte nicht. Sein Pinsel war die Begrenzung, seine Malerei, seine Kunst, sollte sie sich eine andere suchen. Er liebte sie als Frau, als Künstlerin musste sie sich selbst lieben. Er schwieg tagelang und malte. In den Nächten waren sie einander näher, als ob die Ufer nicht befestigt werden müssten, die überschwemmenden Gedanken, Gefühle und Pläne sie nicht ängstigten, ihre Körper versanken ineinander, die Dunkelheit brachte Frieden. Sie schwammen in einem Meer von Farben und Formen, von Worten und Tönen, der Wind heulte um das kleine Haus herum, sie fürchtete sich nicht mehr.

      Morgens übermalte er einen Werbeprospekt für einen Liegestuhl mit verschiebbarer Rückenlehne, er ließ ihn im Meer schwimmen, setzte einen Leuchtturm in den Hintergrund, ließ Wasser hochspritzen. Später taufte er das Bild „Seelenfrieden“. Er wünschte sich Frieden, den Frieden, der den ruhenden älteren Herrn auf der Liege umgab, der in einem stürmischen Meer seelenruhig schwamm, nicht einmal die Augen öffnete, träumte und sich nicht erschrecken ließ, auch nicht von den nackten Armen der Frau unter ihm, deren Hand sich zu einer Vogelkralle auswuchs. Das Wasser schoss von allen Seiten übers Meer, es sprühten Fontänen in den Himmel, der drohend wolkenverhangen und düster war, der Wellengang hatte zugenommen, doch nichts konnte den Schlafenden wecken: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, hatte er gelacht als Leonora beim Anblick der Collage geschrien hatte. Du fürchtest dich wirklich vor allem. Es ist ein Bild! Es ist ein Alptraum. Warum musst du sowas malen, warum? Ich habe es nicht gemalt, es ist eine Collage. Und was willst du damit? Nichts, meine Liebe nichts.

      Dann Frieden, wieder Frieden, immer wieder, endlich. Die Landschaft um sie herum so weit und ruhig als wäre die Zeit stehengeblieben mit ihnen, als hielten sie sie an und wären glücklich. So friedlich, aber auch ein wenig bedrohlich, nichts lenkt ab, sie sind allein, sich selbst und ihren Träumen, ihren Bildern überlassen. Er steht vor ihr, sie muss ihn umarmen und küssen, wie langsam er sich ihr nähert, als dauere es Minuten, sie kann die winzigen Härchen auf der Haut seiner Wange spüren, seinen Atem, den weißen Hauch, den er erzeugt in der eisigen Morgenluft, seine Augen, stahlblau, was für ein Wort, Stahl ist nicht blau, Stahl ist silbrig oder grau, aber seine Augen sind stahlblau, sie leuchten kühl und blau wie Stahl leuchten müsste. Der Atem vor ihm an frühen Wintertagen, die weiße Fahne, die aufsteigt wie ein Rauchzeichen des Sieges über den Tod. Dann ist er da, spürt sie, er ist wirklich da. Seine Zunge, ein Flattern in ihr, als suche sie noch den Ort, an dem sie verweilen könnte, seine Hände sanft und warm. Vor ihr die Tasse von Meret Oppenheim, pelzverbrämt wie Max Ernst in der Eislandschaft auf einem ihrer späteren Bilder, er nimmt sie und trinkt einen Schluck Tee. Zum Aufwärmen, sagt er.

      Das Bauernhaus in Saint-Martin-d` Ardèche, Südfrankreich, 1938 gekauft, später würde Leonora es verkaufen und fliehen, fliehen vor ihm, vor dem Krieg, vor ihrem gemeinsamen Leben, er wird interniert, entlassen, interniert und entlassen, sie flüchtet mit Freunden nach Spanien, nach Portugal, verkauft das Haus mit der gesamten Einrichtung an den Besitzer des Hotel des Touristes von Saint Martin, nimmt seinen Pass mit, hält sich daran fest, an dem letzten Beweisstück seiner Existenz. Er weiß nicht, dass sie die Erinnerung aus ihrem Körper herausbrechen will, sich mit Orangenblütenwasser fast ertränkt, fastet, körperlich arbeitet bis weit über ihre Grenzen, weint, schreit, träumt, um die nächsten Tage und Wochen nach seinem Abschied zu überstehen.

      Die rosa Federn auf ihrem Hut, es war Leonora und noch immer konnte er es nicht glauben, was er sah, als wäre sie ein Trugbild, entstanden aus dem Wahn, sie müsse wiederkehren. Seine Braut, er würde in Lissabon bleiben, ihre Wiederbegegnung, ein Zufall, er glaubte an Zufälle, an nichts anderes, ein Zeichen, sie gehörten zusammen.

      Er hatte damals versucht, sie zu finden, zurück zu erobern, die einzige Frau, die er je geliebt hat, drei Monate hatte er an einem Pelzmantel gemalt und sich bei Bauern in der Nähe ihres ehemaligen Hauses versteckt, und sie träumte ihr Träume, weit fort von ihm an einem fremden Ort, Träume von der Pelztasse von Meret Oppenheim, die diese gerade in New York erfand. So war der Pelz zumindest etwas, das sie verband in den Kriegswirren, in denen alles überschwemmte, über die Ufer trat, unberechenbar wurde. Aber er wusste nichts von ihren gemeinsamen Träumen und ahnte nicht einmal wo sie sich aufhielt. Nur das Malen des Pelzes genoss er jeden Morgen aufs Neue, das Malen gab ihm Halt, es hielt ihn am Leben.

      Und auch sie malte. Sie malte ihn, Max Ernst, den großen surrealistischen Künstler, im roten Pelz und Ringelsocken geht er durch eine Eiswüste, ein Fischschwanz bildet das Ende seines Pelzumhangs, in der Hand eine Laterne mit