Justine la Mour

Meditatives Schießen


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kein Haus, nur eine einzige Nacht, ungeschützt und vogelfrei.

      Sie steht hinter ihm, eine kleine dunkle Gestalt auf dem Kahn, die ihn hinüber rudert. Unter der Oberfläche flimmert der Spiegel eines weiblichen Körpers, Wasserkühle im Gesicht, schwarzblau. Wir sind gleich da, die Stimme der Figur im weißen Gewand, seine tiefe ruhige Stimme, der Tiroler Akzent wirkt jetzt fremd, passt nicht in die Umgebung, keine Berge weit und breit, nur sanft ansteigende Hügel und viel Wasser. Seine Stimme klingt wie aus der Ferne, ein Flüsterton, der sich im Rauschen des Wassers verliert. Sie blickt hinab, der Körper der Frau löst sich auf, ihr langes dunkles Haar, die blasse kühle Haut, bläulich schimmernde Adern, ein kunstvolles Geflecht, die Landkarte ihres Lebens, die Konturen weichen auf, zerfließen im gleichmäßigen Strom der Bewegung des Kahns. Sie glaubt, sie höre ein gurgelndes Geräusch, Luftblasen, aber nein, da ist nichts, nur schwarzblau, ein Abgrund, den eine schillernde Oberfläche überdeckt. Die Luft, kühler und dunkler, nur noch kurze Zeit wird das milde Licht der Dämmerung leuchten, dann bricht die Nacht ein, tiefschwarz, alles in ihren Abgrund saugend. Strömungen, Lichtreflexe, Spiegelungen. Die Trauer, ein sicherer Ort für ihn, eine sichere Trauer, eine, die er kennt und die ihn kennt. Eine angenehme dumpfe Trauer, sein Blick nach innen gerichtet, Kopf gesenkt, schleichender Gang, dunkle Sonnengläser. Die Insel nähert sich, als käme sie auf den Kahn zu, nicht der Kahn auf sie, ein Sog geht von ihr aus, sie öffnet ihre Tore, die felsigen Klippen, weit ausgefahren, dahinter das Schwarz der hoch in den Himmel ragenden Trauerzypressen wie eine düstere Scham. Sie scheinen den Himmel zu berühren, die dünne Wolkenhaut, die hellgrau leuchtend über ihnen schwebt. Bis zuletzt steuert sie den Kahn, stemmt sich gegen seinen Rücken, die kühle Stahlplatte, durch die dünne Haut kaschiert und sie bemerkt es nicht einmal, immer noch glaubt sie, er habe das Ruder in der Hand. Wo sind wir, wo liegt dieser See? Er lacht. Im Grunewald, im Grunewald. Es klingt wie der Anfang eines Liedes aus ihrer Kindheit.

      Der Kahn gleitet langsamer, die Wellen werden flacher, ein letztes Plätschern, sie sind angekommen. Er reicht ihr die Hand, sie vergisst alles, was vorher war und alles was sein wird. Sie vergisst sogar die Zukunft, alles ist bereits vergessen in diesem Augenblick. Der weiße Sarg, blumengeschmückt, bleibt zurück, darin der Körper seiner Frau, der in der Grabkammer ruhen soll. Wir müssen die Stelle suchen, sagt er, die Initialen stehen über der Grabkammer, dann können wir den Sarg nachholen. Sie träumt durch ihn hindurch, durch die Spiegelung seiner Augen betrachtet sie den Himmel voller Wolken, je weiter sie nach oben schaut, umso heller die Töne umso schillernder die Farben. Die schroffen Felswände, das Kalkgestein im Dämmerlicht, orange, rosa, gelb, herbstlich geschmückt leuchtet das Efeu wie ein letzter Hoffnungsschimmer gegen die Dunkelheit.

      Schritt für Schritt tasten sie sich vor zu den Gräbern. Die Hände ineinander geschoben, die Gedanken weit voneinander entfernt, steigen sie Schritt für Schritt den Felsvorsprung hoch zu ihrem Grab. Sie fällt, sie klammert sich an seinem Hals fest, wach auf, wach endlich auf, sie schreit. Blaurote Würgemale auf seiner Haut am Hals, woher kommen sie? Vielleicht war er es selbst, er hat sie dorthin getrieben in dieses Felsengrab, er wollte einen Ort haben, an dem niemand anderer sie lieben konnte. Seine Hand, die warme Hand, die weiche Hand, ein großer Brocken Felsgestein darin, die Finger umklammern ihn wie eine Kralle. Die Kralle nähert sich ihrem Kopf, sie könnte sich wehren, doch sie tut es nicht. Es ist nicht wahr, es ist nicht seine Hand, die Kralle eines fremden Tieres. Der Morgen ist kalt. Rosarot gefärbt der Himmel, die Felseninsel in ein feines helles Licht getaucht, Morgenröte, wie der Beginn neuen Lebens. Tief ruht der See, schwarzblau, glatte Wasserfläche, ein paar schneeweiße Möwen kreischen darüber hinweg, dann wieder Stille, Totenstille. In ihr eine Melodie, ein Lied, im Grunewald, im Grunewald, nur die Melodie ist in ihr geblieben, in einem Teil ihres Gedächtnisses gespeichert, aus dem alles andere gelöscht ist. Das Blut an ihrer Schläfe ist rostfarben und eingedickt, neben ihrem Kopf eine kleine Lache, etwas heller. Einen Moment lang glaubt sie im Himmel zu sein, sie schaut in das Rosarot über ihr, dann wendet sich ihr Blick zur Seite und sieht das feine Geäst seiner Äderchen in den Augen, eine Großaufnahme.

      Es tut mir leid, seine Stimme klingt dumpf und traurig. Die Würgemale an seinem Hals, blaurot angelaufen, sind es nicht eher Liebeszeichen, als habe jemand an seinem Hals gesaugt? Wir müssen fort, wir müssen zurück, ich werde dich in den Kahn tragen. Ja. Er stöhnt auf als er ihren Körper anhebt, aber sie fühlt sich leicht, schließt die Augen und lächelt. Sein weißes Gewand hat Blutspritzer an den Ärmeln, winzige stecknadelgroße Pünktchen. Goldene Strahlen erhellen sein Gesicht, sein Oberkörper bloß, sie legt die Decke darüber. Seltsam, kein einziges Haar auf seiner Brust, und die Haut so rosig und prall wie die eines Babies. Er öffnet die Augen und lächelt, sein Blick ist auf das Gemälde an der Wand gegenüber gerichtet: Wie schön! Böcklins Toteninsel. Sie lächelt ihm zu, da löst sich etwas in seinem Gesicht wie eine Gipsmaske, die langsam zu Boden gleitet und zerbricht.

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