Ole R. Börgdahl

Ströme meines Ozeans


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11. November 1898

      Nach diesen beschaulichen Monaten kündigt sich wieder eine Veränderung an. Victor wird in die Kommandantur nach Atuona berufen. Atuona liegt auf Hiva Oa, einer der Marquesas-Inseln. Egal wie lange sein Aufenthalt dauern wird, seine Familie soll ihn dieses Mal begleiten. Wir haben auch Fanaa gefragt. Sie hat zugesagt, sich weiterhin um Thérèse und Julie zu kümmern. Ich muss mir so wenigstens nicht jemanden Neues suchen. Ich überlege auch, wie ich mit unserem Hausstand umgehen soll. Das Haus hier auf Tahiti will ich unbedingt halten und die meisten Sachen darin auch so belassen, damit die Rückkehr später einfacher wird. Victor erhält ohnehin eine Dienstwohnung, die für die Zeit auf Hiva Oa reichen sollte. Ich habe jetzt auch wieder das Buch »Rarahu« von Monsieur Viaud hervorgeholt, denn ich erinnere mich, dass er etwas über die Insel Hiva Oa geschrieben hat. Ich habe es auch gefunden und es verheißt nichts Gutes. Monsieur Viaud behauptet nämlich, dass Hiva Oa die wildeste der Marquesas-Inseln sei. Victor kann dies nicht bestätigen. Ich werde bald selber sehen, wer recht hat.

      Papeete, 23. November 1898

      Ich habe heute noch einmal den schönen weißen Sand in unserer Sandkiste bewundert und ich habe Victor gefragt, wo er ihn herhat. Ich konnte es dann kaum glauben, dieser Aufwand. Victor hat ihn aus Moorea holen lassen. Er hat einem Fischer genug bezahlt, dass dieser ein paar Kubikmeter Sand von einem der Strände auf Moorea in sein Boot lädt und nach Tahiti herüberbringt.

      Papeete, 1. Dezember 1898

      In den letzten Tagen habe ich mir einige Gedanken zur Kultur der Menschen hier auf Tahiti oder auch auf den Marquesas-Inseln gemacht. Ich habe einen Bericht über ein Ehepaar gelesen, das in irgendeinem asiatischen Staat als Missionare unterwegs war. Es kam zu einem Vorfall, bei dem der Ehemann und das Kind des Paares ums Leben kamen. Die Frau überlebte, wurde aber des Landes verwiesen. Es ist niemals zu dulden, wenn Menschen getötet werden, aber Missionare sind keine Vergnügungsreisenden, sie wollen eine Botschaft übermitteln, eine Religion, ihre Religion. Was ist, wenn der Platz für die Religion in einem Land schon besetzt ist, dann muss es doch zum Konflikt kommen. Ich weiß nicht, was richtig ist. Natürlich muss ich unseren Gott für den einzig wahren halten, aber haben wir dennoch das Recht, unseren Glauben anderen zu bringen, ihn vielleicht sogar anderen aufzuzwingen. Ich fühle mich auch deswegen wohl auf Tahiti, weil die Kirche hier ist, weil meine Kultur hier ist. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Kirche diese Kultur auch den Menschen hier aufzwingen muss, denn es ist ein Aufzwingen, dies kann keiner verleugnen und das hat auch nichts mit meinem eigenen Glauben zu tun. Es ist doch vermessen anzunehmen, dass die Menschen, die schon immer auf Tahiti gelebt haben, keine eigene Religion, keine eigenen Mythen besitzen oder besaßen. Auf der Insel ist es noch heute überall zu sehen. Es sind die großen Steinskulpturen, Bilder von Göttern und die behauenen Steinplateaus, die mir Victor erst vor ein paar Monaten im Wald gezeigt hat und die früher wohl als Altäre Verwendung fanden. Unsere französischen Missionare jedoch, von denen wir annehmen, dass sie den rechten Glauben vermitteln, verbieten das für uns Fremde, das hier doch wohl über Jahrhunderte Gültigkeit hatte. Es gibt zwar den Vorwurf des mystischen, der Zauberei oder gar des Kannibalismus, so wie es auch Melville beschrieben hat, aber diese Berichte sind schon ein halbes Jahrhundert alt und entsprechen bestimmt nicht mehr der Wahrheit. Es gibt diese Verteufelung der alten Sitten, aber ich finde diese Sitten harmlos und keineswegs bedrohlich. Vielleicht mussten der Missionar und sein Kind sterben, weil sich die andere Seite gegen das ihr Fremde gewehrt hat. Dieses Recht hätten die Menschen auf Tahiti sicherlich auch, aber ich danke Gott, dass sie es nicht in Anspruch nehmen.

      Papeete, 11. Dezember 1898

      Ich erfahre erst jetzt in einem Brief, dass Bernhard auf Madagaskar gestorben ist. Es macht mich zutiefst traurig. Mutter schreibt, dass Bernhard zunächst nur vermisst wurde, dann hat sich eine ganz andere Begebenheit herausgestellt. Bernhard hat Anfang des Jahres in einem Krankenhaus unter Verwechselung seines Namens am Fieber gelitten und ist dort auch gestorben, es war schon im Februar. Tante Danielle und Onkel Eugène haben nichts gewusst, sich nur gewundert, dass keine Post mehr kam. Roger ist dann nach Madagaskar gereist und erst vor wenigen Wochen zurückgekehrt. Er hat seinen Bruder gefunden und seinem Grab den richtigen Namen gegeben. Tante Danielle hofft aber immer noch, dass ein anderer in diesem Grab auf Madagaskar ruht und dass Bernhard irgendwann nach Frankreich zurückkehrt. Mutter schreibt aber, dass man Roger die Sachen von Bernhard übergeben hat. Es waren eindeutig Bernhards Sachen und man hatte auch ein Foto von dem Toten gemacht. Roger hat es Tante Danielle natürlich nicht gezeigt, er hat es auf Madagaskar gelassen.

      Papeete, 18. Dezember 1898

      Es werden immer mehr Einzelheiten über die afrikanische Angelegenheit zwischen uns und den Briten bekannt. Es fallen jetzt auch Namen. Auf unserer Seite ist es ein Major Jean-Baptiste Marchand, der seine Expedition quer durch den afrikanischen Kontinent geführt hat und nach zwei Jahren und ohne Kontakt zu unserer Regierung den Sudan erreichte und daraufhin das besagte Fort bei einem Ort namens Faschoda am Weißen Nil eingenommen hat. Es war dort menschenleer, aber es war britisches Schutzgebiet. Das Kanonenboot wird von General Kitchener befehligt und steht jetzt schussbereit und übermächtig dem Fort gegenüber. Es wird zwischen Paris und London noch immer verhandelt. Ich habe eine entschiedene Meinung, auch wenn mich Victor zurückhält und mich zur Loyalität aufruft. Ich sehe uns im Unrecht. Ich will keinen Krieg mit England, ich würde mich deswegen sogar schämen. Ich habe Angst um die Eltern und ich habe Angst, dass plötzlich englische Kanonenboote in die Bucht von Papeete einlaufen. Wir warten jetzt weiter ab, was geschieht und hoffen, dass alles ein gutes Ende nimmt. Es ist doch bald Weihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens.

      1899

      Papeete, 3. Januar 1899

      Der Brief von Schwester Jolanta hat mich gerade noch erreicht. Ich darf sie jetzt eigentlich nicht mehr Schwester nennen, denn sie wurde vor zwei Monaten als Braut Christi entlassen. Sie hat etwas Geld bekommen, um die nächste Zeit zu überbrücken, denn sie ist ja ohne Beruf. Als Lehrerin kann sie wohl nur an einem Kloster oder in einer Mission arbeiten. Schwester Jolanta, oder Madame Prenair oder Jolanta, würde auch aus Paris fortgehen, wenn sie in der Provinz eine Anstellung als Lehrerin bekäme. Ich werde ihr zurückschreiben, sie soll mir berichten, was aus ihr wird.

      Papeete, 10. Januar 1899

      Es ließ sich jetzt doch nicht vermeiden. Victor ist uns voraus gereist. Wir haben ihn gestern zur Floréal gebracht, die gerade in polynesischen Gewässern patrouilliert. Es ist sicherlich besser, dass Victor vor uns in Atuona ankommt, denn wir wissen nicht, in welchem Zustand sich die Dienstwohnung befindet. Victor wird alles veranlassen, sodass ich mit den Kindern nur noch einzuziehen brauche. In gut zehn Tagen werden wir ihm mit der Jérôme nach Hiva Oa folgen. Die kurze Trennung ist zu verschmerzen.

      Auf der Jérôme, 22. Januar 1899

      Wir sind seit gestern unterwegs und sehen endlich wieder Land. Es ist noch nicht unser Ziel, noch lange nicht. Es ist lediglich ein Gürtel von Inseln, die die Jérôme passieren muss. An Backbord sind gerade einige dieser Inseln zu erkennen, an Steuerbord ebenfalls. Der Erste Offizier hat mir ihre Namen genannt, aber ich konnte sie mir nicht merken, nur, dass dies schon die Ausläufer des Tuamotu-Archipels sind. Die Mädchen halten gerade ihren Mittagsschlaf und verpassen somit die Gelegenheit Land zu sehen. Wenn wir die Passage durchfahren haben, soll es vier Tage dauern, bis wieder welches auftaucht und wir Hiva Oa erreicht haben.

      Papeete, 28. Januar 1899

      Wir waren nicht in Gefahr und dennoch musste die Jérôme wieder umkehren. Der Mast hatte einen Riss. Der Kapitän hat noch eine der Inseln des Tuamotu-Archipels angelaufen, aber dort war auch nichts auszurichten, es gab kein Schiffsholz und schon gar keinen neuen Mast. Die Jérôme ist unter halben Segeln nach Tahiti zurückgekehrt. Es hat lange gedauert und so haben die Kinder und ich fast eine ganze Woche auf dem Schiff verbracht. Der Kapitän