Ole R. Börgdahl

Ströme meines Ozeans


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und hoffe, dass er sich nicht um uns sorgt.

      Papeete, 5. Februar 1899

      Wir kommen einfach nicht von hier fort. Die Kreuz des Südens geht erst in einer Woche und sie wollten uns auch gar nicht mitnehmen, es sei denn, wir wären auf Deck gereist. Jetzt haben wir aber eine Kabine, doch ich wurde schon gewarnt, denn auch das soll auf diesem Schiff kein Luxus sein. Mir ist es nur wichtig, dass wir bald auf Hiva Oa sind. Ich fürchte nämlich, dass Victor noch immer nichts von unserem Verbleib weiß, denn es gab ja bislang keine Schiffsverbindung zu den Marquesas-Inseln.

      Atuona, 21. Februar 1899

      Jetzt habe ich eine Überfahrt mit der Kreuz des Südens erleben dürfen. Es war schrecklich, dieses unbequeme Boot, das über das Meer kriecht. Sechs Tage haben wir benötigt. Es war eng und es stank. Diese Überfahrt ist nur etwas für Abenteurer. Dann aber, nach dieser Tortur, der Lohn für die Mühen. Die Insel Hiva Oa ist so wunderschön. Zunächst beängstigt es, dass sie so klein ist. Als ich dann aber an Land gegangen bin und die vielen Blumen gesehen habe, das herrliche Klima gespürt und die sanfte Luft eingeatmet habe, kam es mir doch wie im Paradies vor. Tahiti hat schon viel von dem verloren, was Hiva Oa noch besitzt. Victor hat sich natürlich Sorgen gemacht und auf die Ankunft der Kreuz des Südens gewartet, um Nachrichten von uns zu erhalten. Es war dann auch eine große Freude, dass wir gleich mit auf dem Schiff waren. Victor hat uns einen Eselskarren besorgt, aber Fanaa und ich sind mit den Kindern gelaufen und haben dem Karren nur unser Gepäck anvertraut. Die Kommandantur ist ein Backsteinhaus. Unsere Wohnung ist im hinteren Teil des Gebäudes untergebracht. Wir sind am frühen Morgen angekommen und am späten Vormittag eingezogen. Die Wohnung mag etwas klein sein, aber wir sind froh, nach der langen Reise endlich wieder ein Heim auf festem Grund zu haben.

      Atuona, 24. Februar 1899

      Ich habe auch die neusten Nachrichten mit nach Hiva Oa gebracht. Die Amerikaner beginnen ihre Herrschaft auf den Philippinen mit einer militärischen Aktion. Rund um Manila hat es Kämpfe zwischen der US-Armee und den einheimischen Streitkräften gegeben. Gerade erst wurden doch die Kriegshandlungen eingestellt. Victor meint, die Filipinos haben noch nicht begriffen, dass ihr Inselreich an die Vereinigten Staaten gehen wird und der neue Herr jetzt sein Recht beansprucht. Es ist nicht das Einzige, das die Amerikaner beanspruchen. Die Philippinen und Hawaii sind ja bereits unter ihrem Einfluss und jetzt sind noch weitere Inseln dazu gekommen, die sich nach unseren Dimensionen in greifbarer Nähe befinden. Die Inseln Wake liegen etwa dreitausend Kilometer von den Marquesas entfernt. Für Zivilisten ist diese kleine Eroberung sicherlich unbedeutend, für das französische Militär aber von großem Interesse.

      Atuona, 3. März 1899

      Fanaa macht mir etwas Sorgen. Sie ist sehr schweigsam, ja fast schon traurig. Leider ist sie seit unserer Ankunft noch nie aus dem Haus gegangen, noch nicht einmal zum Einkaufen, was auch daran liegt, dass die Kommandantur alle Lebensmittel geliefert bekommt. Ich werde Fanaa vorschlagen, mit mir zusammen auszugehen.

      Atuona, 11. März 1899

      Ich habe eine Landkarte von Hiva Oa erhalten. Ich hatte es schon vorher einmal gehört, dass Hiva Oa auch die Seepferdcheninsel genannt wird. Ich weiß jetzt auch warum. Die Küstenlinie rund um die Insel beschreibt tatsächlich die Form eines Seepferdchens. Die Karte zeigt auch die Lage einiger Dörfer. Im Norden, auf der anderen Seite der Insel befindet sich Hanaiapa. Das Dorf Taaoa liegt am anderen Ende der Atuona-Bucht. Ich habe die Ansammlung der Häuser schon aus der Ferne gesehen, aber ich dachte sie gehören noch zu Atuona. Alle Dörfer der Insel finden sich an der Küste. Auf der Karte ist keine Siedlung im Landesinneren eingetragen.

      Atuona, 17. März 1899

      Wie jedes Jahr bekommt der Geburtstag meiner Mädchen einen Eintrag in mein Tagebuch. Es gibt gar nicht so viel zu berichten. Die Kinder werden größer und selbständiger, aber ich weiß schon gar nicht mehr, wie es noch vor einem Jahr war oder gar vor zwei Jahren. Mein Tagebuch gibt mir darüber Auskunft, aber es hilft mir trotzdem nicht, mich richtig daran zu erinnern. Es geht alles so schnell. Dann hat sich mir Fanaa endlich anvertraut, sie ist nicht sehr glücklich auf Hiva Oa. Ich habe sie natürlich nach dem Grund gefragt, aber nicht viel erfahren. Ich denke sie hat Heimweh. Ich muss jetzt überlegen, wie ich sie wieder fröhlicher machen kann.

      Atuona, 28. März 1899

      Die Nachricht vom Tode unseres Staatspräsidenten Monsieur Faure erreicht uns erst in diesen Tagen. In Atuona wird von den staatlichen Stellen getrauert. Ich selbst bin etwas unsicher, was meine Gefühle betrifft. Natürlich gibt der Tod eines Menschen immer Anlass zur Trauer. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass die Affäre Dreyfus in Faures Amtszeit fällt und dass er es war, der die erste Petition von Lucie Dreyfus abgelehnt hat und der überhaupt verantwortlich für jene Akteure war, die Alfred Dreyfus böse mitgespielt haben. Ich bin sicherlich ungerecht, aber es ist meine Meinung, nach dem, was ich aus der Presse erfahren habe. Ich halte mit meiner Meinung zurück, auch gegenüber Victor, der von Amts wegen nur positiv über unseren verstorbenen Präsidenten sprechen muss. In Nachfolge Faures wurde Monsieur Émile Loubet gewählt, der ehemals Premierminister war. Mit dem Postschiff kam endlich auch wieder ein Brief aus Gayton und damit Nachrichten und Berichte, die wenig mit der hohen Politik zu tun haben und mir daher doppelt lieb sind. Vater zitiert eine Meldung aus der österreichischen Hauptstadt. In Wien gibt es bereits seit dem letzten Jahr eine Untergrundbahn ähnlich der in London. Vater fragt sich, warum es in Paris nicht möglich ist, so etwas Praktisches zu bauen. Ich stelle es mir allerdings nicht sehr romantisch vor, in den Tiefen der Erde mit einer Eisenbahn zu fahren.

      Atuona, 2. April 1899

      Ich bin heute das erste Mal alleine aus Atuona herausgegangen. Hoch über der Siedlung befindet sich der katholische Friedhof. Man kann von dort über die ganze Bucht sehen. Es wäre schön hier ein Haus zu haben, aber der Platz ist eben schon besetzt. Ich bin dann noch ein Stück weiter spazieren gegangen, noch etwas höher den Hang hinauf und dort gab es tatsächlich einige Gehöfte, die ich um ihre Aussicht beneide. Die Menschen waren sehr freundlich und ich wurde von einer Bäuerin sogar zu einer kleinen Mahlzeit eingeladen. Ich konnte natürlich nicht ablehnen und so hat man mich fast eine Stunde lang bewirtet. Am Ende hat mich ein Junge wieder nach Atuona begleitet.

      Atuona, 9. April 1899

      Es war etwas ruhig geworden um die afrikanische Angelegenheit, um die Ereignisse am Nil-Fort. Das Postschiff hatte aber jetzt wieder Zeitungen dabei. Marchand ist abgezogen, er hat seine Befehle bekommen. Es soll wohl in den ganzen Wochen des Wartens kein einziger Schuss gefallen sein, kein einziger Verletzter oder Toter. Wir haben nachgegeben und es war richtig. Victor hält seinen Finger an den Mund, wenn ich es ihm gegenüber so ausspreche, natürlich nur symbolisch. Ich kenne seine Meinung nicht und er will, dass ich meine nicht Kund tue. Ich kann mich auch innerlich freuen. Es ist keine Niederlage für Frankreich, sondern eindeutig ein Sieg der Vernunft.

      Atuona, 17. April 1899

      Ich habe Victor heute begleitet. Wir sind nach Tahuata gefahren. Von Küste zu Küste liegen zwischen Hiva Oa und Tahuata zwar nur drei oder vier Kilometer, aber wir mussten länger fahren, um in die Bucht von Vaitahu zu gelangen, der einzigen Ansiedlung auf Tahuata. Es war Markttag, aber ich brauchte nichts zu kaufen, man hat mir einen ganzen Korb mit Früchten geschenkt. In der Kirche wurde gerade Schule abgehalten und der Pfarrer hat mich hineingebeten. Es waren nicht viele Kinder dort, kaum mehr als ein Dutzend. Der Pfarrer hat aus einem Buch vorgelesen und die Schüler mussten seine Worte wiederholen. Ein einheitlicher Singsang, und hätte ich die Augen geschlossen, so hätte es auch eine Schulklasse irgendwo in Frankreich sein können. An der Sprache lässt es sich nicht heraushören. Victor hat mich dann durch einen seiner Männer abholen lassen, obwohl ich gerne noch länger geblieben wäre. Ich muss in Atuona auch einmal in die Schule gehen und schauen, wie fleißig die Kinder dort sind. Am Nachmittag