Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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geübt.

      *

      „Gut, Frau Conrad. Ich beziehe mich nur auf das, was zwischen uns bekannt und unstrittig ist: Eins wundert mich schon: Wieso haben Sie unterstellt, dass Frau Neskovaja als Domina tätig ist?“

      Sie gießt sich Kaffee nach, nimmt einen Schluck. Mit einem kreisenden Blick über den Tassenrand vergewissert sie sich, dass wir allein sind in der großen Halle. Wir sprechen ohnehin mit leiser Stimme.

      „Anfänglich, wie gesagt. In der Wohnung fanden sich einschlägige Werkzeuge zum Fesseln, Peitsche, entsprechende Kleidungsstücke. Das sprang ins Auge und legte den Verdacht nahe. Ihr Verlobter hat eine solche Betätigung zwar verneint. Sie selbst vorhin ebenfalls. Wir bleiben misstrauisch, sind derartige Schutzbehauptungen gewöhnt.“

      „Wirklich überzeugt sind Sie nicht mehr?“

      „Richtig. Im Anschluss an die Morgenlage war ich heute noch einmal am Tatort. Dort gibt es keine Kondome. Unsere Spurensicherung fand ebenfalls keine. Auf den ersten Blick eine Kleinigkeit, für Professionelle aber unverzichtbar, die Kondome.“

      Die Kuchengabel im Mund bewahrt mich vor dem Grinsen. Na, wer sagt es denn. Unsere vertraulichen Krimi-Stunden sind auf dem besten Weg, mir ans Herz zu wachsen.

      „Wenn Sie recht haben, galt der Angriff nicht einer Sex-Arbeiterin sondern der Frau Neskovaja als Person. Aber der Täter will Sie auf eine falsche Spur lenken. Ehe ich es vergesse, hier meine Visitenkarte. Und von Ihnen hätte ich gerne die direkte Rufnummer.“

      „Oh ja, gern.“

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      „Noch mal zu Frau Neskovaja,“ schlage ich vor, während wir die Visitenkarten einstecken. „Die muss den Täter gesehen haben. Hat sie vorhin dazu etwas gesagt?“

      „Eben nicht. Sie hat keine Ahnung. Sie wacht mit höllischen Schmerzen auf, ist gefesselt und geknebelt, nackt und blutverschmiert. Die Frau muss Todesängste ausgestanden haben. Bei einem derartigen Trauma kommt es häufig vor, dass das Gehirn die Erinnerung daran löscht.“

      Na klar, vor allem in Fernsehkrimis; um die Geschichte möglichst spannend zu machen. In Wirklichkeit sind solche Gedächtnislücken – außer bei harten Schlägen gegen den Kopf – sehr selten. Oder von ziemlich kurzer Dauer.

      „Und unmittelbar davor?“

      „Herr Berkamp, was meinen Sie, wie lange ich das schon mache? Also, ihr Dienst endet am frühen Nachmittag, sie fährt nachhause, parkt ihr Auto, kommt schwer verletzt wieder zu sich.“

      „Oh Mann. ... eine nette Person, damals im Krankenhaus. Kommt hier her nach Deutschland, und dann passiert ihr das. Wirkte die Frau glaubwürdig auf Sie?“

      „Schwer zu sagen. Sie war sehr gefasst, etwas zurückhaltend, muss wahrscheinlich Beruhigungs- und Schmerzmittel einnehmen. Zum Tathergang gab es nicht mehr zu sagen. Sie konnte niemanden nennen, dem sie die Tat zutraut.“

      „Kann es sein, dass Frau Neskovaja Ihnen etwas verschweigt? Etwa aus Angst?“

      „Sie fragen ganz schön bohrend, Herr Berkamp. Offen gesagt, ich schließe es nicht aus. Wenn, ja, vor wem hätte sie Angst? Doch nicht vor der Polizei.“

      „Warum nicht? Vielleicht aus alter Gewohnheit.“

      In Russland vertraut niemand der Polizei.

      „Zugegeben. Aber was soll ich machen? Mir ihren Rechtsanwalt und eine Dienstaufsicht wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte einhandeln? Nein danke. Es geht mir zwar gegen den Strich, wenn ich den Fall nicht voran bringen kann. Aber die Frau zusätzlich mit Fragen oder Verdächtigungen zu quälen, das bringe ich nicht.“

      „Ist auch besser so. Also, erst mal Stillstand der Rechtspflege, oder?“

      „Tja, sieht ganz danach aus. Ich warte noch unsere Technik ab.“

      Frau Conrad dippt mit der Kuchengabel ein Stück Apfelkuchen in die Schlagsahne, isst, rollt genießerisch die Augen.

      „Und Sie, was wollten Sie wirklich bei ihr?;“ fragt sie im Kauen. „Ohne Blumen, wie es sich für einen Krankenbesuch gehört. Abgesehen davon, dass die aus medizinischen Gründen kein Grünzeug reinlassen.“

      „Mitgefühl geht auch ohne Blumen. Ganz einfach, ich wollte ihr meinen Dienst als Privatschnüffler anbieten.“

      Sie lacht erfrischend los.

      „Jetzt behaupten Sie bloß noch, ich hätte Ihnen einen Auftrag verdorben. Dann fordere ich Schmerzensgeld wegen übler Verleumdung.“

      „Die reine Wahrheit. Mich treibt die kriminalistische Neugier.“

      Frau Conrad neigt den Kopf, sieht mich erheitert an.

      „Na, klar; und ganz nebenbei Corinna. Jetzt mal ohne Nebelwand und Katzendreck, Herr Berkamp. Sie würden für die Dame ermitteln?“

      So wahr ich hier sitze.

      „Also, Frau Sandner hat Sie nicht vorgeschickt ...“

      „Puh, nein, natürlich nicht. Corinna weiß überhaupt nichts von meinem Vorhaben,“ unterbreche ich.

      Die Conrad nascht eine Gabelvoll meiner Schlagsahne und überlegt.

      „Damit geraten Sie in einen echten Interessenkonflikt.“

      Wieso das denn? Verstehe ich nicht.

      Das wiederum versteht die Conrad nicht. Was ist, wenn die Neskovaja uns hinters Licht führt? Wenn sich die Sache anders verhält, als sie aussieht. Deren Interesse könnte dem der polizeilichen Ermittlung gänzlich zuwiderlaufen. Frau Conrads Zunge fährt an den Lippen entlang.

      „Dann sollten wir dieses Gespräch auf der Stelle beenden.“

      Ich gebe mir Mühe, gekränkt zu klingen.

      „Bitte! Tun Sie mir das nicht an. Ich könnte etwas finden, was Ihnen weiterhilft. Sie können schließlich nicht überall sein und alles tun – mit Ihren Personalbeschränkungen.“

      „Sind Sie wirklich so einfältig? Wenn Sie mit Ihrer Frau darüber sprechen, begehen Sie an Frau Neskovaja das, was bei Rechtsanwälten Parteienverrat heißt; kann zum Verbot der Berufsausübung führen.“

      Wie schön, dass ich kein Anwalt bin, stelle ich fest. Für die Neskovaja zu ermitteln liefe schlimmstenfalls auf ein geringfügig belastetes Vertrauensverhältnis hinaus – daheim zu meiner Hauptkommissarin.

      „Wie ich die Chefin kenne, stört sie sich an Ihrem Treiben.“

      „Mag sein. Andererseits, wenn Corinna zufällig auf meinem Schreibtisch einen Notizzettel mit dem Aufenthaltsort des Täters findet? Dafür nehme ich gern in Kauf, dass sie meine Arbeit für eine Kundin ausspioniert.“

      „Ich merke schon, Herr Berkamp, Sie bevorzugen die Grauzone. Wir Staatsdiener können uns diesen Luxus nicht leisten. Wir vertreten nur das Gesetz. Punkt.“

      Selbstverständlich. Ich grinse stillvergnügt. Gesetze haben keine Grauzonen oder Schlupflöcher? Und von Beamten, die gelegentlich wegschauen oder unterm Tisch die Hand aufhalten, hat die Conrad noch nie gehört. Die Neuigkeit des Jahrhunderts.

      „Ich weiß ja noch nicht, ob Frau Neskovaja meinen Schnüffel-Dienst in Anspruch nimmt.“

      Frau Conrad lächelt schelmisch.

      „Na, hoffentlich ist sie klug genug und lässt es bleiben.“

      *

      Vorerst stärker beschäftigt mich der Wunsch nach Bestätigung meiner „fernsichtigen“ Erkenntnisse. In Gedanken gehe ich die Fragen durch, die mir am Vormittag gekommen sind.

      „Sagen Sie, Frau Conrad; sind Sie offen für kreative Gedanken?“

      Ihre Gabel kreist ein paar Sekunden über