Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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Minuten später kurve ich durch wahrscheinlich eine der teuersten Wohnlagen Königsteins.

      Hohe Mauern oder dichte Hecken umgeben weiträumige und hügelige Grundstücke mit breiten Zufahrten zu stattlichen Bungalows oder ein- und zweigeschossigen Villen. Die meisten gut sichtbar mit Außenscheinwerfern, Alarmlampen und Videokameras unter den Dachecken bestückt. Seitlich der sich bergauf schlängelnden Straße gibt es keine Bürgersteige, nur Bordsteinbegrenzungen und schmale Streifen mit Formsteinen, Schotter oder gelegentlichen Grasbüscheln.

      Die auf den Seitenstreifen geparkten Autos lassen die Fuchstanzstrasse so eng werden, dass ich zum Schritttempo gezwungen bin. Ich muss ein Stück weiter fahren, bis ich eine Lücke für meinen Wagen finde.

      Bewusst geruhsam schlendere ich an dem betreffenden Grundstück vorbei und einige Meter in die Herrnwaldstraße zurück. Bloß um mein Wahrnehmungs- und Sicherheitsverhalten zu üben. Ich vermeide jeden forschenden Blick auf den Garten oder das Gebäude, nehme möglichst viel von der Umgebung auf, betrachte die Anlage flüchtig oder aus den Augenwinkeln.

      Das Haus ist beeindruckend. Mit meiner Erwartung an ein Klinikgebäude hat es wenig gemein. Ein zweigeschossiger, etwas gedrungen wirkender, weißer Bau, der einer asiatischen Pagode nachempfunden sein dürfte. Nach oben ausladende Überhänge rotbrauner, dreieckiger Ziegeldächer begrenzen das Erdgeschoss und das zurückgesetzte, erste Stockwerk. Die in regelmäßigen Abständen in die Wände eingelassenen Reihen gleichbreiter Fenster im ersten Stock sowie die ebenfalls gleichförmig angeordneten Fenstertüren im Erdgeschoss unterstreichen die strenge, zeitlos elegante Gesamterscheinung.

      Das Haus, seine Schulter hohe Außenmauer aus weißem Backstein, die wenigen Parkplätzen zur Straße hin sowie der noch jungen Baumbepflanzung dürften höchsten zwei, drei Jahre alt zu sein.

      Ein einfacher, dunkelbrauner Kupferschriftzug „Fuchstanzstraße 23“ auf einer gleichfarbigen Metalltafel verweist auf die Adresse. Darunter glotzt ein halbrundes, schwarz-weißes Videoauge. Auf einem unscheinbaren Klingelschild neben dem Videoauge stehen die Buchstaben Dr. B.. Weitere Hinweise auf den Eigentümer oder die Zweckbestimmung des Hauses finden sich nicht. Links neben der Kupferfläche mit eingelassenem Briefkasten ist eine zweiflügelige Gartentür aus dunkelgrauen senkrechten Stahlstangen in der weißen Backsteinmauer eingelassen.

      *

      Gleich rechts neben dem Eingangsbereich bildet die Außenmauer eine kurze, hufeisenähnliche Bucht, in der eine fette, dunkelblaue Jaguar-Limousine und ein grauer A-Klasse-Mercedes parken. Dicht hinter dem Jaguar steht – wenig rücksichtsvoll – halb auf der Fahrbahn eine metallic-graue BMW-Dreier-Limousine mit Frankfurter Kennzeichen. Wie der, den Corinna als Dienstwagen benutzt, denke ich unwillkürlich.

      Während ich vor dem BMW stehe und mir einen Vorstellungsspruch zurechtlege, ertönt ein leises Sirren. Das Videoauge an der Mauer bewegt sich. Den Druck auf den Klingelknopf kann ich mir sparen. Ein kräftiger Mann in einem dunkelgrünen Overall mit einem zweirädrigen Stapelkarren voller Getränkekästen kommt links vom Haus her zur Gartentür. Der Türöffner schnarrt, ich tue zwei Schritte, um dem Mann die Tür zu öffnen, lasse ihn herauskommen – und gehe selbst hinein.

      Nach kaum zwanzig Metern stehe ich vor einer normal breiten, dunkelroten Tür rechts in der Hauswand. Die Tür öffnet sich, noch ehe ich klingele. Dahinter steht, wie wenn sie im Begriff ist zu gehen, eine schlanke Frau mit vollem, dunkelbraunen Haar. Sie lässt mich eintreten, macht eine Handbewegung hin zum Empfangsbereich.

      „Hereinspaziert!“

      „Vielen Dank, das ist nett.“

      Der kleine Empfangsraum strahlt in glänzendem, weißen Marmor. Im hinteren Teil der linken Wand führt eine undurchsichtig mattweiße Glasdoppeltür weiter in das Gebäude. Bis auf einen kreisrunden, dunkelblauen Flauschteppich mit einem großen, orangefarbigen Innenkreis finden sich im Empfangsraum keine Sitzmöbel, Vitrinen oder schmückenden Teile. Leise zirpende Hintergrundmusik erinnert an Fernöstliches.

      Rechts hinter der Eingangstür ragt eine breite Marmorfläche bis zur Höhe meines Bauches empor. Dahinter sitzt eine attraktive brünette Frau Mitte vierzig, Goldrandbrille, dunkelblauer Hosenanzug. Ihren schneeweißen Schreibtisch, ein Stück tiefer als die Kante der Marmorplatte davor, ziert wenig mehr als eine aufwendige Telefonanlage, eine silberne Tastatur vor einem großen, weißen Computerbildschirm, ein weißgerahmter Schreibblock und ein gut bierdosengroßer, goldschimmernder Bronze-Bär nahe der rechten Tischkante.

      Die Empfangsdame lächelt formvollendet.

      „Sie wünschen bitte?“

      Ihr Blick springt sogleich zur Seite. Die Dame an der Tür scheint noch etwas auf dem Herzen zu haben, ist jedenfalls noch nicht gegangen.

      „Guten Tag. Ich würde gerne mit Frau Dr. Neskovaja sprechen.“

      Vor mir auf der breiten Oberkante der Marmorplatte liegt eine ausweisgroße Plastikkarte mit gelben Papier und dem handgeschriebenen Wort Conrad in Großbuchstaben darauf. Bis ich verstehe, was das bedeutet, muss allerdings jemand nachhelfen.

      Als Antwort zuckt die Dame hinter dem Schreibtisch unvermittelt zurück und bekommt sehr große Augen.

      „Stehen bleiben! Polizei. Langsam die Hände über den Kopf!“

      Klare, weibliche Stimme aus Richtung der Eingangstür, dazu das eindeutige Ratschen einer Pistole, die geladen und gespannt wird.

      Ich schließe kurz die Augen, richte einen Dankesspruch an meine Jacke. Nun mal ganz behutsam, junge Frau. Ich drehe ihr langsam den Rücken zu, hebe zögernd beide Arme, strecke meine Finger aus.

      Die Stimme hinter mit befiehlt:

      „Runter, auf die Knie, sofort!“

      Immerhin – sie hat einen netten Klang.

      „Geht nicht. Mein Knie ist kaputt,“ lüge ich.

      Soviel Spaß muss sein.

      „Hände hinter den Kopf, ganz langsam.“

      Der „Fa-Jin“-Meister in San Franciscos China-Town verfügte über die Fähigkeit, zu sehen, was hinter ihm geschieht, obwohl er stur geradeaus blickt. Das hat er gut fünfundzwanzig Jahre lang täglich ein paar Stunden trainiert. Leider konnte ich die Technik nur wenige Tage üben. Dennoch empfinde ich einen brauchbaren Eindruck, wie es hinter mir aussieht. Mit der Empfangsdame neben uns als Zeugin wird die diensteifrige Polizistin sich hüten, eine Dummheit zu begehen.

      Dann schnappen die Verbindungsdrähte in meinem Kopf zusammen.

      „Lassen Sie die Hände oben, dass ich sie sehen kann. Ihren Namen! Wie heißen Sie?,“ fordert die Dame hinter mir.

      „Conrad. ...?“

      „Unsinn, Ihren Namen, sofort!“

      „Vera Conrad? … Oberkommissarin. Sind Sie das?“

      Heftiges Atmen als Antwort. Ich spüre ihre Überraschung.

      „Sie sind die Kollegin von Hauptkommissarin Corinna Sandner im K 11, richtig? Wir leben zusammen.“

      „Ist mir neu.“

      „Frau Sandner und ich.“

      „Sagen Sie mir Ihren Namen.“

      Etwas weniger Befehlston in der netten Stimme.

      „Corinna, sagte ich bereits.“

      „Ihren eigenen Namen!“

      „Berkamp, Robert.“

      Keine Antwort, nur kräftiges Ausatmen hinter mir.

      Also ergänze ich:

      „Vorsicht! Ich bin bewaffnet, mit amtlicher Erlaubnis. Aber ich beiße nicht. Und schießen tue ich erst recht nicht.“

      „Bleiben Sie da stehen, Hände hinter dem Kopf.“

      Hörbare Ratlosigkeit hinter mir.

      „Auf