Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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zusätzlich etwas Reizvolles.

      Oder vielleicht doch nicht. Wenn man bedenkt, wie unerfreulich und kräftezehrend der Kleinkrieg innerhalb des eigenen Ladens sein kann. Um diesen Teil ihrer Arbeit beneide ich Corinna nicht.

      Meine Stärken als Hobbykriminalist liegen auf anderen Gebieten.

      Insgesamt bin ich zufrieden, wie ich bin. Und gut – bilde ich mir ein.

      Vor allem bin ich unabhängig.

      *

      Samstag Abend. Vor dem Fenster grauer, regnerischer Aprilanfang. In der Küche Beseitigen der Spuren des Abendessens. Corinna, gegen die geschlossene Küchentür gelehnt:

      „Leute, wenn das morgen weiter so pisst, habe ich keine Lust, nach Bingen zu fahren. Was meint ihr?“

      Mona hält dagegen:

      „Die Rhein-Promenade im Regen – das wäre zumindest origineller als Rumbummeln zwischen Scharen zwanghafter Sonnenanbeter.“

      „Mal sehn, vielleicht wird es morgen Vormittag besser?“

      Mein geistreicher Beitrag zur Debatte.

      Mona bleibt unverdrossen.

      „Von mir aus können wir auch im Regen wegfahren. Vielleicht nur bis Hochheim. Dort laufen wir ein Stück durch die Weinberge und gehen anschließend Essen. Das wäre doch was, oder?“

      Corinna bietet als Kompromiss an:

      „Lass uns das morgen klären. Muss jemand jetzt ins Bad? Ich sehe, das ist nicht der Fall; ich melde mich ab.“

      Mona gibt sich großmütig.

      „Mach mal. Aber bis zur Tagesschau bist Du fertig, Mammi, okay?“

      „Gönn mir die Ruhe, Mona.“

      „Jawohl, Frau Kommissarin. Los, Berkamp; ich spüle, Du trocknest ab. Das Verbrechen wartet nicht.“

      Wenn Wünsche so leicht zu erfüllen sind.

      Gegen halbneun hocken wir im Wohnzimmer. Sitzordnung wie gewohnt. Corinna trinkt einen Schluck Tee, blickt missmutig drein.

      „Leute, Vorwarnung: Das Ding setzt mir zu, gefühlsmäßig.“

      Arbeit der fiesen Sorte, ergänzt sie.

      „Wir sind Kummer gewöhnt,“ meint Mona. „Also, wir hören!“

      Corinna berichtet aus dem Kopf, ohne dienstliche Unterlagen.

      „Teil meines Berufsschicksals: Ich komme von den Huren nicht los.“

      Zwischenruf der Tochter in kläglichem Tonfall:

      „Oh nein! Mein Kindheits-Trauma!“

      Corinna schaut sie überrascht an.

      „Was, Du? Was hast denn Du mit ...“

      Na klar! Daran will sie sich nicht erinnern; so klar wie Ziegenmilch.

      „Hannover, Mammi, meine Konfirmation. Schon vergessen?“

      „Ach, Gott nein! Jetzt kommt die alte Geschichte wieder hoch.“

      „Hin und wieder muss das sein, erst recht wenn Du von Huren redest.“

      „Mona, wie oft habe ich dir gesagt, es hat mir leid getan ...?“

      „Ja, ja, ... hinterher.“

      Mona schaut betrübt vor sich hin.

      „Erzähl, Mona, was war in Hannover?,“ bitte ich.

      Sie zieht ihre Knie näher, legt Arme und Kinn darauf, spricht mit gepresster Stimme:

      „Ganz einfach, Berkamp, meine Konfirmation. Wie lange ist das jetzt her, Mammi? Dreizehn Jahre? Egal. Ich war zwölf und hab mich unheimlich auf die anschließende Feier gefreut. ... richtig mit Familie.“

      „Hach ja,“ stöhnt Corinna dazwischen und verdreht die Augen.

      Mona fährt um so entschlossener fort.

      „Stimmt doch auch. Du willst das nicht hören, logisch.“

      Bei anderen Familien, das waren mehr Leute, und die kamen alle.

      „Aber bei mir? Opa Erwin, Mammis Bullenvater, ...”

      „Mona, bitte!,“ unterbricht Corinna.

      „Wieso, dein Vater Hauptwachtmeister. Der ist schon tot, Berkamp, damals lebte er noch, logisch.“

      Typisch; für zwei Stunden Familientratsch fährt er nicht von Frankfurt nach Hannover. Mammi hat dort im Ersten Polizeirevier gearbeitet.

      „Da war ich gerade Oberkommissarin geworden,“ unterbricht Corinna.

      Dazu Mona rechthaberisch:

      „Weil Du weg wolltest von deinem herrschsüchtigen Vater.“

      „Iwo, Mona, die hatten Nachwuchsmangel und boten Frauen im Polizeidienst mehr Möglichkeiten als in Hessen.“

      „Egal, also Opa kam nicht. Wir waren draußen in einem Gasthaus im Grünen, weiß nicht mehr, weiter weg hinter dem Fußballstadion.“

      Onkel Bernhard und Tante Waltraut samt Benjamin; der war gerade ein Jahr alt, ungefähr. Und Mammi. Mona hatte sich sehr gefreut, alles wegen ihr. Gerade als das Essen aufgetragen wird, geht Corinnas Piepser los, wie im Fernsehkrimi. Handys hatten die noch nicht.

      „Ach ja, jetzt weiß ich es wieder. Da war eine tote Frau aus der Leine gefischt worden. Die zweite ermordete Prostituierte innerhalb eines Jahres. Für mich die erste Mitarbeit in einer Sonderkommission.“

      „Trotzdem. Weg warst Du. Onkel Bernhard lief die ganze Zeit mit Benjamin draußen hin- und her, weil der dauernd geschrieen hat.“

      „Der kriegte gerade die ersten Zähne.“

      „Kann sein. Jedenfalls, ich saß da rum mit Tante Waltraut. Die ist nett. Aber ich kann mit der nicht viel anfangen, so klein und rund wie die ist, damals schon. Ich als zwölfjähriges Mädchen?“

      Mona schaut leer vor sich hin, ihre Augen beginnen zu glänzen.

      „Das war nicht schön. Ich habe die ganze Zeit gewartet, keiner hat richtig gegessen.“

      Am Nachmittag wollte Onkel Bernhard heim in die Lüneburger Heide. War nichts mit gemütlich Zusammensitzen bei Kaffee und Kuchen.

      Mona atmet stöhnend aus, stellt schließlich schulterzuckend fest:

      „Vorbei. Trotzdem, mir kommt es wie gestern vor.“

      Während sie mich früher kaum berührt haben, gehen mir derartige Geschichten seit einigen Jahren gefühlsmäßig nah. Mag sein, dass meine regelmäßigen Meditationen Spuren in meinem Empfinden hinterlassen. Meine bildliche Vorstellungskraft war schon immer sehr ausgeprägt. Ich sehe das Mona-Mädchen mit traurigem Blick vor halbleeren Tellern und einigen Schüsseln förmlich neben mir sitzen, rieche die abgestandenen Essensreste; und gebe mir Mühe, den Kloß im Hals wegzuschlucken.

      Corinna unterbricht die einsetzende Stille nachdenklich.

      „Klar, für ein Mädchen wie dich an so einem Tag. Ist ja doch etwas Besonderes, einmalig. Was soll ich sagen, Mona?“

      Die lehnt sich wieder zurück gegen das Seitenpolster, schiebt die Füße ein Stück von sich weg und beendet das Thema nach Sekunden des Schweigens:

      „Lass gut sein. Jetzt kennt Berkamp die Geschichte, das reicht mir.“

      8

      „Du bist dran, Mammi. Lass uns deinen Fall lösen. Was liegt vor?“

      Corinna sammelt ihre Gedanken.

      „Okay, ihr beiden?! Dienstliche Verschwiegenheit. Der Fall betriff eine Dame