Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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bleibt gelegentlich unklar. Ihr Dienst widersetzt sich gern dem Wunsch nach regelmäßigem Feierabend. Als Ausgleich bringt Corinna ab und zu Akten einzelner Fälle mit hinaus zu uns.

      *

      Anfangs hatte ich Mühe zu erkennen, woran Corinnas Herz mehr hing; an ihrem Beruf oder inzwischen fünfundzwanzigjährigen Tochter Mona.

      Die plagte eine üble Geschichte. Was im vorigen Februar als Herzensangelegenheit begann, endete drei Monate später gewalttätig.

      Zu der Zeit kannte ich die zwei Frauen noch nicht.

      Mir fällt es leicht, beide zu lieben. Dem Aussehen und Wesen nach sind sie „mein“ Typ; schlank und beweglich, Corinna mit graubraunen, Mona mit mahagoniroten, mittelkurzen Fransenhaaren, in Heimarbeit wahrscheinlich mit der Heckenschere gestutzt. Beide rauchen nicht, für mich eine Grundvoraussetzung, eine Frau zu mögen. Natürlich wollen Mutter und Tochter nicht wahrhaben, wie sehr sie sich in vielen Verhaltensweisen ähneln. Sie sind entscheidungsfreudig, selbstbewusst bis eigenwillig, selten um eine Antwort verlegen.

      Sie ernähren sich einigermaßen gesundheitsbewusst.

      Ich rieche sie gern und fühle mich wohl in ihrer Nähe.

      Das zählt für mich.

      Dafür nehme ich locker in Kauf, dass Corinna mich gelegentlich an ihr über zwanzigjähriges Dasein als stolze Alleinerziehende erinnert.

      „Ich schätze, ich muss Beziehung erst wieder lernen.“

      „Tröste dich, Frau Hauptkommissarin, das geht mir ähnlich.“

      Dass wir nicht jeden Morgen gemeinsam aufwachen, war wahrscheinlich zusätzlich hilfreich. Zumindest für den Anfang.

      Mona, wie gesagt.

      In Frankfurt-Bornheim hat sie eine eigene, kleine Wohnung. Um so verblüffter war ich Mitte November. Eines Mittwoch Nachmittags stand sie unangekündigt vor meiner Tür, herzallerliebst strahlend. Sie trug eine große Reisetasche und ein dickes Bündel in mein Meditationszimmer, schob die Dojo-Matte ein Stück nach links, entfaltete an der rechten Wand ein Luftkissen-Reisebett, breitete eine Wolldecke aus und zog ein hellbraunes Spannbetttuch darüber.

      „Fertig; den Rest hole ich morgen,“ stellte sie zufrieden fest, erfreut über die gelungene Überraschung.

      Mona hat grüne Augen, die mein Herz auch nach einiger Gewöhnung hin und wieder zu einem kleinen Hüpfer anstoßen.

      „Was Mammi kann, kann ich auch. Seit heute hast Du eine Wochenend-Tochter!“

      Sie streifte die Schuhe ab, wandte sie sich der Kraftmaschine neben der Dojo-Matte zu, ballte ihre erhobene rechte Faust, griff sich mit der linken Hand an den rechten Oberarm.

      „Ich hasse Fett an den falschen Stellen.“

      Nicht eine Sekunde kam mir in den Sinn, Mona wegzuschicken.

      Statt ihr die Hantelmaschine zu erklären ging ich in mein Arbeitszimmer, holte Geld und EC-Karte aus einem Minitresor.

      Mona folgte mir.

      „Was treibst Du da, wenn ich fragen darf?“

      „Du darfst, Mona. Schuhe anziehen, komm mit.“

      Auf dem Weg zum Auto schwieg ich beharrlich, insgeheim mächtig erfreut. Wir fuhren ins benachbarte Eschborn. Auf dem Parkplatz neben drei Möbel-Tempeln wurde klar, was anstand.

      Nach einer knappen Stunde zogen wir mit Bequemsessel, einer Stehlampe und einem Regalschrank davon. Der restliche Nachmittag ging mit Möbelzusammenbauen, Hin- und herrücken und Teetrinken drauf.

      Es wurde eine zweischneidige Überraschung.

      Freitag Abend staunte Corinna nicht schlecht. Als sie in meiner – unserer – Küche ihre Tochter antraf, die mit gediegener Selbstverständlichkeit eine Orange schälte. Mammi schien nur verhalten erfreut, als Mona sie strahlend umarmte. Anschließend führte sie Corinna schmatzend und kauend ihren mit Kerzen und einem violetten Fenstervorhang geschmückten Wohnschlafraum vor.

      3

      Meine anfänglichen Zweifel verflogen nach wenigen Wochenenden. Weil alle drei zu der neuen Form des Zusammenlebens beitragen.

      Oder weil wir einfach gut miteinander auskommen.

      Die meiste Zeit jedenfalls.

      Während der Woche geht jeder seinen eigenen Betätigungen nach und schläft in seiner Wohnung. Freitags absehbar zwischen vier und sieben Uhr nachmittags treffen „meine“ beiden Frauen in Steinbach ein. Wobei Corinna gelegentlich hervorhebt, wie sehr ihr Bewusstsein für regelmäßige Dienstzeiten gestiegen sei.

      Die Wochenenden verlaufen überwiegend geruhsam, selten verstimmt, fast nie langweilig. Beim samstäglichen Einkaufsbummel – etwa in Bad Homburg oder im Frankfurter Nordwest-Zentrum – folgt jeder, bis auf die gemeinsame Hin- und Rückfahrt, eigenen Vorlieben. Sonntags fahren wir einmal im Monat in die Umgebung, an den Rhein, in den Odenwald oder in den Taunus, Mittagessen in örtlichen Restaurants inbegriffen.

      Mit anteiliger Hausarbeit tun die beiden Frauen sich schwer; typisch. Meine Waschmaschine haben sie ins Herz geschlossen. Dafür geraten sie schon mal in Streit über die Nutzung der Kraftmaschine.

      Bei Abendessen und Frühstück gilt Handy-Verbot. Außer wenn Corinna Dienstbereitschaft hat sowie direkt vor und nach Einsätzen. Wie die meisten Polizisten meidet sie die sogenannten sozialen Medien, pfeift – wie ihre Tochter und ich – auf Facebook und Twitter. Selbst Mona, die ab und zu ein Videospiel klickt, gelegentlich mit Kollegen aus der Firma und bevorzugt mit ihrer Freundin Sabine telefoniert, bekundet nach anfänglichem Klingelton-Entzug eine unvermutete Gelassenheit.

      Herz, was begehrst du mehr?

      Monas Anwesenheit ist eine Wohltat für unser Zusammenleben, auch wenn Corinna daran gelegentlich Zweifel anmeldet. Wenn ihr der Sinn danach steht, findet die Tochter treffsicher wunde Punkte bei ihrer Mutter und reizt sie gehörig. Die Mahlzeiten bieten dazu beste Gelegenheiten. Gemeinsam essen hat sich als eine hochgehaltene Selbstverständlichkeit eingespielt.

      Oft beginnt die Würze zum Essen mit der unechten Frage:

      „Sag mal, ... Mammi ...?“

      In Monas Stimme eine feine Mischung aus gebotener Verwunderung, selbstgerechtem Vorwurf und lauernder Rauflust.

      „Stört dich das nicht selbst?“

      „Was denn, mein Töchterchen?“

      „Sag nicht immer Töchterchen! Ich bin schließlich fünfundzwanzig. Na, mit dem Tee?“

      „Was ist mit dem Tee, mein Schatz?“

      „Schon besser. Wie Du den schlürfst?“

      „Ja, wie schlürfe ich den denn?“

      „Tu nicht so ahnungslos. Das hört doch jeder!“

      Zwischenruf meinerseits:

      „Die Leute nebenan auch?“

      Mona, selbstgewiss:

      „Aber wetten! Die ganz bestimmt. Wie ein Nilpferd im Opelzoo, eh es untertaucht, so schlürfst Du.“

      Corinna, eine Spur gereizt.

      „Also, nun mach mal einen Punkt, Mona. Sehe ich aus wie ein ... ich dachte, das heißt Flusspferd?“

      „Wenn Du weiter so schlürfst, wer weiß?!“

      „Wenn der Tee nun mal heiß ist? Ich will mir schließlich nicht den Mund verbrennen – wie Du das gerade wieder tust.“

      „Mach dir da mal keine Sorge. Ich weise nur auf unbestreitbare Tatsachen hin. Außerdem gibt es kaltes Wasser; wenn ich mich nicht täusche, die ganze Leitung voll.“

      „Du weißt doch, Mona, was wäre das Leben ohne