Günter Billy Hollenbach

Die Hexe zum Abschied


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hörbar gereizt:

      „Dich habe ich nicht gefragt, Mädchen!“

      Mona springt die Rauflust in die Augen.

      „Oh, Gnädigste gibt sich missgestimmt. Auch wenn Du es ungern hörst: Nicht jede Frau ergreift so schnell die Flucht wie Du, sobald ein Mann ihr näher kommt. Erst recht, wenn sich zeigt, dass er in Ordnung ist. Wenn so etwas passiert, eine Erfahrung auf Leben und Tod ...“

      Corinna schnappt nach Luft, wird rot im Gesicht, zuckt mit den Beinen, als wolle sie an die Zimmerdecke oder ihrer Tochter an den Hals springen.

      Eh es dazu kommt, stelle ich fest:

      „Mona, Du hast eine erfrischende Art, Komplimente zu verteilen.“

      „Wieso, stimmt doch! Mammi hat keinen Grund, überheblich zu tun.“

      „Ich? Überheblich?,“ bringt Corinna beinahe kreischend hervor. „Das ist doch nicht zu fassen! Mona, wenn Du weiter ...“

      Die unterbricht im Hochgefühl ihrer Gewissheit.

      „Du musst dich gerade aufspielen! Bei dir war es doch genauso ... als Robert auf Schuster geschossen hat. Also tu jetzt nicht pikiert. Immerhin hat er dich damit gerettet, ... ich meine, so etwas zu erleben, das verbindet, oder, Berkamp?“

      Ich nicke stumm.

      Zum Glück war Mona nicht dabei, vorigen August in der Sonntagsnacht auf dem Parkplatz vor Corinnas Wohnblock. Als Schuster ankommt, aus dem Wagen steigt und sofort auf seine Hilfe rufende Chefin schießt. Dass ich mich ein paar Meter weiter zwischen zwei Autos duckte und mit einer kurz vorher entwendeten Waffe auf ihn zielte, wusste er nicht.

      Mona fühlt sich bestätigt in ihrer Vorhaltung.

      „Kapier das mal, Mammi. Für eine Beziehung ist das wertvoller als hohles Liebesgeflüster an einer schummrigen Bar.“

      Wenn du erlebst, der Andere hält echt zu dir, auch wenn es gefährlich wird. Findet Mona jedenfalls. Wenn das mit dieser Belinda ähnlich war?! Abgesehen davon; man kann sich sehr mögen, ohne deswegen gleich miteinander rumzubumsen. Selbst wenn, na und? Wenn beide es wollen, was ist schlimm daran ...?

      „Oder hat Berkamp dir nach eurem ersten Schießtraining ewige Treue geschworen? Richtig, Berkamp?“

      Die Tochter ihrer Mutter.

      Auf den Mund gefallen ist sie wirklich nicht.

      Vor allem: Jedes ihrer Worte ist mir aus dem Herzen gesprochen.

      „Richtig, Mona-Sonne. Hiermit gebe ich amtlich zur Kenntnis: Belinda Carey ist eine kluge, gutaussehende und attraktive Frau. Wahrscheinlich verdanke ich ihr mein Leben. Das vergesse ich ihr nicht. Aber ein Dankeschön im Bett hat nicht stattgefunden. Ich bin sicher, wir beide hätten es für falsch gehalten.“

      Ich erinnere mich nicht mehr, welche der Sandner-Frauen als erste der anderen die Zunge rausstreckt und zu grinsen beginnt.

      7

      Die dunklen Abende der Winterwochen kommen Mona gelegen. Corinna und ich haben uns inzwischen darauf eingestellt. Wenn nichts Wichtigeres ansteht, lümmeln wir samstags abends im Wohnzimmer und tun nicht viel mehr als miteinander reden.

      Gesprächsstoff findet sich reichlich. Corinna oder ich geben eigene Kindheitserlebnisse und Jugendsünden zum Besten. Mona offenbart kindlich verquere Ängste und ulkige Träume aus ihrem ersten Schuljahr oder in Bezug auf Jungens. Ich berichte von meiner früheren Familie, den Sorgen von Töchterchen Claudia bei der Pflege ihres Meerschweinchens oder den Freuden und Mühen ihres jetzigen Familienlebens in Santa Fe, New Mexico.

      *

      Nach dem Ende der „Liebesbeziehung“ mit Manfred Schuster steht Mona – wie sie offen zugibt – nicht der Sinn nach innigem Umgang mit Männern. Das hindert sie freilich nicht daran, hin und wieder zu verkünden, mich „demnächst, irgendwann“ gnadenlos zu verführen. Die Fee an der Wiege hätte ihr nun mal drei Kinder mit einem reifen Ehemann vorhergesagt.

      Diese „Drohung“ äußert Mona vorzugsweise in Anwesenheit ihrer Mutter; etwa, wenn sie Corinna in unserem Wochenend-Haushalt als zu tonangebend empfindet. Ich höre es gern und denke „albernes Küken“. Gelegentlich umarmt Mona mich ganz selbstverständlich oder verpasst mir zwanglos ein Küsschen. Ansonsten verhält sie sich, zumal wenn Corinna abwesend ist, einfach nach Laune. Gelegentlich spielerisch neckisch oder unbeirrbar eigenwillig, aber nie bösartig verletzend.

      Und schon gar nicht sexuell anzüglich oder ungebührlich.

      Seit unserem ersten Telefonat im vergangenen Sommer redet sie mich hartnäckig mit Berkamp an, was mir immer noch wie ein verstecktes Kompliment erscheint. Wie sie sich bei uns verhält, kann ich sie nur mögen. Eine kluge, gut zu leidende junge Frau mit einem flinken Mundwerk, feinem Gespür für Stimmungen und einem scharfen Sinn für Unaufrichtigkeit, Recht und Unrecht.

      Gelegentlich kommt ihre Freundin Sabine zu uns. Beide junge Frauen pflegen ein reges Interesse an esoterischem Wissen. Dann sprechen wir mit Vorliebe über spirituelle Energien, übernatürliche Erscheinungen oder schamanische Handlungsweisen. Ab und zu beteiligt sich Corinna an diesen Gesprächen, bekundet allerdings auch freimütig ihr fortwährendes Unbehagen bei dem „Gespensterkram“. Obwohl ich ihr letztes Jahr bei den ersten privaten Gesprächen von meinem hellsichtigen Zug erzählt habe. Einmal, auf Sabines Nachfragen, bestätigt Corinna verlegen, ich hätte gelegentlich Vorkommnisse angedeutet, die wenig später eingetreten sind. Und dass diese Fähigkeit uns gute Dienste erwiesen hat.

      Wenn allerdings die Rede auf meinen schamanischen Workshop in San Francisco kommt, wird Corinna schnell einsilbig, verzieht sich ins Bad oder unter die Hantelmaschine in Monas Zimmer.

      „Normalen“ Menschen gegenüber spreche ich lediglich von meiner „Intuition“, die sehr ausgeprägt und zuverlässig sei. Nur wenigen, ehrlich interessierten Eingeweihten wie Mona und Sabine gegenüber bekenne ich mich zu meiner unsichtbaren Begleiterin Cassandra und ihren hilfreichen Fähigkeiten. Gelegentlich kommt Sabine samstags nachmittags zu einem Mini-Workshop, um das Aura-Sehen oder einzelne schamanische Arbeitsweisen zu besprechen und zu üben.

      *

      Corinna kann sehr überzeugend sein.

      Schließlich hat sie uns beide und die Wochenendabende. Dann lockert sich ihr Verständnis von Dienstgeheimnis. Daheim ist nicht „im Dienst“. Sie bespricht mit uns – streng vertraulich – den einen oder anderen ihrer laufenden Fälle. Frei von kriminalistischer oder politischer Korrektheit, ohne Zeitdruck mit zwei ansatzweise Fachkundigen über einen Fall zu reden, findet sie hilfreich. Gelegentlich regen unsere Fragen und Anmerkungen sie zu verwertbaren, weiterführenden Überlegungen und Entscheidungen an.

      Mona steigt bemerkenswert aufmerksam, sachbezogen und ideenreich ein. In das Tatgeschehen, die Entwicklung von Täterpersönlichkeiten und Aufklärungsansätzen. Mammi freut es immer mehr. Weil Mona sonst selten eine Gelegenheit auslässt, über ihre leidvolle Kindheit und Jugend zu nörgeln, die vom abartigen Beruf der Mutter geprägt waren.

      Für mich zählen diese Abende zum Schönsten an den Wochenenden. Die Bewältigung des Schuster-Dramas sowie unser privater Umgang seitdem haben mein Interesse für Corinnas Arbeit befördert. Dank der Erfahrungen als Zufallsheld in San Francisco ist mein Sachverstand bezüglich kriminalistischer Denk- und Arbeitsweisen zusätzlich gewachsen. Für die Beschäftigung mit entsprechenden Themen bin ich leicht zu haben. Hinzu kommt ein beachtlicher emotionaler Gewinn.

      Regelmäßig während unserer Krimi-Abende tritt eine andere Corinna in den Vordergrund; wach, selbstironisch, diskussionsfreudig und leidenschaftlich im Vertreten ihrer Standpunkte. Mich erfüllt ihre innere Verwandlung oft mit Freude und Staunen, sogar mit einem Tick Stolz auf „meine“ Hauptkommissarin und ihre Arbeit. Selbst Mona bemerkte einmal erfreut, Mammi sieht jünger, „irgendwie mädchenhaft“ aus, wenn sie voll bei der Sache ist.

      Während