Bernhard Inderst

Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach


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      Ich habe einen Blog zu diesem Buch eingerichtet. Anregungen, eigene Erlebnisse sind willkommen:

       www. velovici.de/westeuropa-dchfsp

      Ein Überblick über die Gesamtstrecke

Grafik 210

      Schon lange hatte ich davon geträumt, mit dem Fahrrad nach Portugal und wieder zurück zu fahren. Ich wollte die Stätte meiner Kindheit wieder entdecken. Immerhin habe ich im Alter von 6 bis 17 mit einem Jahr Unterbrechung in Lissabon gewohnt, meine Freunde dort gehabt, meine Straßen, meine Parks, später meine Tascas, jene Spelunken, in denen die Geschichten aus der Nachbarschaft ausgetauscht werden und in denen ich mich heimlich mit meinen Brüdern oder Freunden traf. Was hat sich seit 1969 geändert? Da ich in der Zwischenzeit immer wieder in Lissabon gewesen bin, meist nur tageweise, war ich natürlich etwas vorbereitet. Ich wollte aber mal wieder über längere Zeit den ´cheirinho de Lisboa´ riechen, den Geruch von Lissabon. Gibt es ihn überhaupt noch, so wie Amália Rodrigues ihn in einem ihrer berühmten Fados besungen hat? In diesem Lied werden die vielen kleinen Gerüche besungen, wie die Cafés am Rossio - dem Hauptplatz Lissabons, die Trambahn, die gerösteten Kastanien, das Basilikum und auch der Fado riecht - nach Einsamkeit.

      Nun ist aber auch der Weg das Ziel. Ich will die Touren an den berühmten Flüssen machen, von denen ich so viel gehört und gelesen habe, die Aare Tour, die Rhône Tour, die Loire Tour, die Pisuerga Tour, die Thouret Tour, die Tour am Kanal Marne-Rhein, die Rhein Tour. Alle diese viel beschriebenen Strecken will ich zumindest teilweise befahren und erleben. Ich will die Länder und Landschaften erleben, die ich so oft mit dem Auto, mit dem Bus, mit dem Zug durchfahren habe und die Sprachen dieser Länder auffrischen, wieder erlernen; Sprachen, die mich seit meiner Jugend begleiten.

      Insbesondere seit von der Europäischen Union 1995 das EuroVelo Netz gefördert wird, sind diese Strecken noch attraktiver geworden. Ein bislang fast 56 000 Kilometer langes Fahrradnetz ist in Europa entstanden, von Nord-Norwegen bis Süd-Portugal und Athen, von West-Frankreich bis Odessa am Schwarzen Meer. Das Fahrradnetz führt durch Europas schönste Landschaften, an den schönsten Seen vorbei, durch Naturschutzparks, in die kein Auto hineinkommt, auf speziell angelegten Wegen entlang der Étangs, marismas, rias, Sumpfmeere und Strände des Mittelmeers und des Westatlantik. Die Wege, die ich fahren will, führen auch genau an den Flussläufen entlang.

      Meine Tour ist relativ schnell geplant: Ich will über die Südküste Frankreichs und Spaniens in die Algarve nach Portugal einreisen und über die Nordküste Spaniens und Westküste Frankreichs wieder zurückradeln. Da Hotels auf einer sechsmonatigen Reise zu teuer sind, will ich die Nächte auf Campingplätzen verbringen. Die Tour soll nicht zu stressig sein, daher plane ich, immer drei Tage zu fahren, mich einen Tag auszuruhen und dort, wo es besonders schön ist, einen Extra-Pausentag einzulegen.

      Dabei ist es eigentlich egal, ob ich manche Gegenden schon mit dem Auto durchfahren habe oder nicht, denn für mich sind Fahrradfahren und Autofahren sehr unterschiedliche und nicht vergleichbare Reiseformen - selbst dann, wenn Autos und Fahrradfahrer auf der gleichen Straße fahren. Denn durch das Fahren auf einem Rad werden auch bereits vertraute Strecken zu einem neuen Erlebnis (siehe Anhang „Warum ist Radfahren so viel anders als Autofahren?“)

      Gerüche als Duftmarken

      Dennoch ist der größte Teil der Strecke für mich neu, bis auf ein paar Innenstädte, die ich im Laufe meines Lebens schon einmal besucht habe. Meine Vorfreude gilt der Erwartung, frische Luft und die Düfte von Blumen und Bäumen zu riechen, ohne von lästigen Autoabgasen umgeben zu sein.

      Gerüche im Allgemeinen werden zum Leitmotiv meiner Tour. Die unterschiedlichen Gerüche zwischen den Ländern Mitteleuropas und des Mittelmeers, zwischen Frühling und Herbst, die Palette der Jahreszeiten und der unterschiedlichen Flora tragen dazu bei, dass diese Reise im Nachhinein so unvergesslich und wertvoll wurde.

      In der Tat macht der Geruchssinn eine erstaunliche Wandlung durch, wenn er es wieder erlernt hat, auf die feinen Unterschiede in der Natur einzugehen, wo er vorher als „Stadtnase“ eigentlich nur zwischen Benzin- und Dieselabgasen der Autos und LKWs oder den besonders stinkenden Abgasen der Mopeds unterscheiden musste.

      Sie alle sind zu entdecken: die Düfte der Gräser, Blumen, Blüten oder Sträucher, einzeln auf einer Wiese, in der Steppe oder im Wald, wo durch die Vielfalt der Bäume weitere Gerüche hinzukommen.

      Zuerst errieche ich Süddeutschland mit seinen vielen Laubbäumen, Fichten und Tannen. All diese Gerüche haben weitere Facetten, je nach Jahreszeit, im Frühling, wenn alles nach Entfaltung strebt oder im Herbst, wenn alle Bäume noch einmal ihr Bestes geben, in den verschiedensten Farben leuchten und ihre Früchte der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Zu diesem Herbst gehören auch die zahllosen Düfte von reifem Obst, bevor die Pflanzen langsam einen vorrübergehenden Rückzug antreten, um im nächsten Frühling wieder ihre Pracht zu entfalten.

      Dann rieche ich die Düfte der Schweiz, ein Land, in dem das Klima bereits einzelne mediterrane Pflanzen zulässt, das aber ansonsten noch voll im Einfluss des Binnenklimas liegt. Spätestens in Südfrankreich errieche ich eine Veränderung der Fauna und Flora, wenn Kiefern, Palmen oder Lavendel immer öfters zu sehen sind. Tannen verschwinden langsam aus der Natur, Wälder aus Pinien oder Eukalyptus nehmen zu, am besten riecht jedoch für mich eine Mischung aus allem.

      Am Meer schließlich kommt das salzige Meerwasser zu diesen Gerüchen hinzu, jede Meereswelle wird zum Geruchserlebnis, wenn die Gischt ihre gesammelten Duftnoten, die das Meer zu bieten hat, in die Umwelt verströmt.

      Alle Pflanzen bekommen eine neue Duftnote. Wer kennt es nicht, die Dinge riechen plötzlich anders, sie schmecken anders und in der Folge ändert sich auch die persönliche Stimmung.

      Kann man die Übergänge der einzelnen Vegetationszonen bewusst verfolgen? Ja, man kann, auch wenn sie schleichend stattfinden. Die Veränderungen sind z.B. an den Vorgärten zu erkennen, in denen bestimmte Strauch- oder Baumsorten immer häufiger vertreten sind, z.B. der Oleander, das Wandelröschen als Kletterpflanze oder der Ginster. Man sieht es auch an der Bepflanzung der Felder, wenn plötzlich Olivenhaine auftauchen, oder gar Korkeichen. Um trotz der schrittweisen Veränderungen eine Art Linie zu ziehen: Für mich persönlich ist dieser Übergang der einzelnen Vegetationszonen besonders deutlich auf der Höhe von Valence an der Rhône, bzw. auf der westliche Seite in der Höhe von Bordeaux zu erfahren gewesen. Nördlich dieser Region überwiegt die Flora Mitteleuropas, südlich die des Mittelmeeres.

      Aber die reine Beschreibung der Flora als Geruchsträger reicht nicht aus, um die Bandbreite der Düfte und Gerüche zu erfassen. Ein Wald riecht anders, wenn es trocken ist als wenn es vorher geregnet hat. Ein sauberer Wald, einer, aus dem Bodenholz sofort entfernt wird, erzeugt weniger Gerüche als wenn viel moderndes Holz herumliegt. Gemähte Wiesen riechen anders als die Wiesen, auf denen Blumen ihren Duft abgeben. Angelegte Parkanlagen riechen anders als ein Wald. Man erkennt am Geruch der Umgebung, welche Tiere sich in der Nähe befinden.

      Auch ob man an Flüssen oder Kanälen entlangfährt, macht einen Unterschied, weil die Feuchtigkeit der Wasserläufe ein anderes Mikroklima erzeugt. Es vermengen sich die Gerüche, die das Wasser mitbringt, mit den Gerüchen der umgebenden Flora. Ob Brackwasser, ob frisches Wasser, ob stehendes, ob fließendes Wasser, ob mit Kloake oder Industrieabwässern verseuchtes Wasser, all diese Faktoren tragen dazu bei, unterschiedliche Erinnerungen an einen gewissen Geruch zu binden. „Ah, das war da, wo es so gut gerochen hat“ oder „Ah, das war da, wo es gestunken hat“ - das sind mögliche Attribute einer bestimmten Radpassage.

      Es macht einen großen (Geruchs-)unterschied, ob sich in einer gewissen Entfernung das Meer befindet oder nicht. Ob Mittelmeer oder Atlantik, ob der Wind vom Landesinneren oder vom Meer kommt, all das beeinflusst den Geruch der Gegend.

      Es riecht anders, wenn Felder an Straßen entlangführen oder nur durch Feldwege getrennt sind. Weite Gebiete, die