Bernhard Inderst

Mit Rad Und Zelt - immer der Nase nach


Скачать книгу

gibt keinen anderen Weg, der LKW füllt den kompletten Weg aus. Die Baumfäller fragen mich, wo ich denn hinwill, mit so viel Gepäck. Ich sage, dass ich nach Lissabon radle und dies gerade mein erster Tag sei. Sie lachen. Sie glauben mir nicht, es ist ein freundliches Geplänkel. Als ich im Hotel ankomme, hat es bereits aufgehört zu regnen, aber nun ist es schon gebucht. So übernachte ich die erste Nacht im Hotel.

Grafik 21

       Bild: Das Märchenschloss Neuschwanstein als Versprechen für die Fahrt

      Bei der Weiterfahrt Richtung Alpen fällt mir sofort der große Unterschied zur Stadt auf. Auf einmal tanke ich frische Luft, sehe die grünen Wiesen, durchfahre kleine Dörfer. Welch ein Unterschied zur Isar in München, wo es zwar auch grün ist, die Stadtluft sich aber nicht verleugnen lässt.

      Die Landschaften, die kleinen Hügel, das Grün, die Fahrradwege, auf denen ich mich allein befinde, die kleinen Wälder (mehr lässt die Landwirtschaft heute nicht mehr übrig), die kleinen Dörfer mit ihren typischen kleinen Geschäften und Dorfkneipen; fast jedes Haus hat einen Vorgarten, ein angenehmes Radfahr-Wetter um die 25 Grad, hinterlassen starke Eindrücke. Ja, ich radle durch Oberbayern Richtung Berge. Das gibt mir ein neues Gefühl, ein Gefühl, jetzt ein halbes Jahr vor mir zu haben, das mich Großstadtmenschen zu einem Menschen der Landschaft und Natur machen wird. Was wird mich erwarten? Das Gepäck wiegt 24 Kilogramm, das Lenkverhalten des Fahrrads ist durch die zwei Taschen vorne mit je drei Kilogramm verändert und etwas instabiler. Habe ich mich richtig vorbereitet? Hält das Fahrrad? Habe ich etwas Entscheidendes vergessen mitzunehmen?

      Meine Route führt durch Wald- und Wiesenwege am Alpenrand entlang am Bannwaldsee, vorbei an den Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau, Füssen und Niedersonthofen. Die Wiesen sind durchwegs gelb, der Löwenzahn blüht. Das schöne Wetter weckt frühlingshafte Glücksgefühle, auch wenn die Strecken zum Teil anstrengend zu fahren sind.

      Im Wald fliegt ein Zitronenfalter eine Zeitlang vor dem Fahrradlicht mit und ist lustig angeleuchtet. Ich bin also nicht allein.

      Nach Niedersonthofen ist Schieben angesagt, es ist zu steil mit dem Gepäck (ab elf Prozent Steigung), ich bin auf über 1200 Metern Höhe und die Schneegrenze ist nicht weit. Plötzlich endet die Wegführung meiner Fahrrad-App. Der vermeintliche Fahrradweg ist inzwischen eine Wiese. Ich fahre langsam durch die Grasstoppeln. Glücklicherweise ist 100 Meter weiter wieder ein befahrbarer Feldweg, es geht weiter.

      Dann bin ich in Lindau, nahe der österreichischen Grenze. Ich komme auf einen der am meisten befahrenen Fahrradwege Deutschlands - den Bodenseeweg von Lindau nach Konstanz. Hier muss ich aufpassen, denn viele der Radfahrer sind das Fahren nicht gewohnt. Auch sehe ich sehr viele, meist ältere Damen und Herren mit einem E-Bike. Tja, das E-Bike macht es möglich, den Straßen zu entfliehen und relativ gemütlich am Ufer des Sees entlang Ausflüge zu machen, selbst dann, wenn man eigentlich nicht mehr die Kraft hat, ein Fahrrad selbst anzutreiben. E-Bikes verändern die Mobilität im Seniorenalter, E-Bikes verändern das Freizeitverhalten. Eine gute Sache, denn diese Menschen sind dann erst einmal weg vom Auto.

      In Meersburg nehme ich die Autofähre nach Konstanz. Einmal über den Bodensee. Ich begreife, dass mich auch Fähren auf meiner Reise begleiten werden: größere Autofähren wie von Meersburg nach Konstanz, Barcelona nach Palma de Mallorca, Palma de Mallorca nach Valencia, kleinere Autofähren wie Ayamonte nach Vila Real de Santo Antonio, Troia nach Setúbal, Trafaria nach Lissabon, Le Verdon Sur Mer nach Royan, über den Rhein mit einer Rheinfähre kurz vor Karlsruhe oder schließlich reine Personenfähren wie Teste-de-Buch nach Le Cap Ferret, das Fahrrad auf das Dach des Bootes gepackt. Auf Autofähren habe ich als Radfahrer immer eine Sonderstellung, das merke ich nicht nur hier, sondern durchweg auf den Fähren. Ich fahre in der Warteschlange vor das erste Auto, bin der erste auf der Fähre, fahre ganz bis nach vorne, bin der erste, der wieder runterfährt. Als Fahrradfahrer komme ich sofort ins Gespräch mit den Leuten, die sich erkundigen, wohin ich denn wolle. Ich muss mehr als einmal mit dem Fahrrad und Montur für ein Foto posieren. Ein Fahrrad kostet in der Regel keine Gebühr- ich habe nur einmal einen Euro für die Mitnahme des Fahrrads bezahlt. Die Ticketkosten berechnen sich lediglich in meiner Person. Und es macht Spaß.

      Ich fahre also nach Konstanz und erreiche die Schweizer Grenze in Kreuzlingen. Grenze kann man dazu eigentlich nicht mehr sagen. Es ist ein kleines Schild: Konstanz durchgestrichen, unten drunter: Schweiz. Aha, denke ich, die Schweiz hat also den Status einer Stadt. Zumindest bei den deutschen Behörden. Es gibt keinen Grenzbaum mehr, die Straße führt nahtlos von dem einen Land in das andere.

      Bedingt durch den Währungsunterschied gehen die Schweizer in Konstanz einkaufen, Geschäfte in Kreuzlingen sind schon fast Exoten. Leider ist damit aber auch ein hoher Preisanstieg in Konstanz verbunden. Konstanz ist eine der teuersten Städte Deutschlands, die Besichtigung ist aber lohnenswert, denn die Altstadt hat historischen Rang – immerhin fand hier im 15. Jahrhundert das Konzil von Konstanz statt. Die Parkanlagen am Ufer des Bodensees sind wunderbar gepflegt und laden zu Spaziergängen ein. Und schließlich ist Konstanz der Namensgeber für den Bodensee in allen anderen Sprachen außer im deutschen Sprachraum. So heißt der Bodensee auf Englisch Lake Constance, auf Französisch Lac de Constance, auf Spanisch Lago de Constanza, auf Italienisch Lago di Constanza, auf Portugiesisch Lago de Constança.

      Durch die Schweiz – eine eigene Welt

      In Kreuzlingen treffe ich die Tochter der Cousine meiner Frau. Wir machen ein Familientreffen. Die Eltern und Kinder sind dabei, meine Frau ist inzwischen auch angereist. Die Radtour liefert - solange es geht und es nicht zu weit ist - erfreuliche Möglichkeiten, sich zu treffen und auszutauschen. Ich erfahre, dass Kreuzlingen eine schwierige Position gegenüber dem mächtigen Konstanz hat, obwohl es lange Zeit in der Geschichte nicht klar schien, wer die historische Oberherrschaft hier gewinnen würde. Aber die Menschen entwickeln einen eigenen Stolz, als kleiner Juniorpartner am Bodensee dem großen Konstanz zu trotzen. Und so versuchen sie, auch Kreuzlingen liebenswert zu gestalten, auch das Nachtleben zu organisieren.

      Doch ich muss weiter. Diesmal nur nach Winterthur. Warum verändern sich Landschaften, wenn man über eine Landesgrenze fährt? Ich sehe andere Baumsorten, andere Obstbäume, die Parzellierung der Böden unterscheidet sich, die Architektur der Dörfer ist anders, Schweizer Häuser sind dominiert von einer Holzschindelverschalung.

      Vielleicht gibt es auch andere Verordnungen zum Bewirtschaften der Böden, aber es fällt beim Fahrradfahren auf, wie die Landschaften geprägt sind von der Bewirtschaftung durch den Menschen. Urwald, Urlandschaften, vermute ich mal, gibt es nicht mehr. Jeder Quadratzentimeter ist in den letzten Jahrhunderten bestimmt hunderte Male umgegraben worden. Mir fällt ein, dass das Alpenland noch vor 150 Jahren überwiegend von der Pferdezucht, vom Hopfen und Hanfanbau geprägt war, bevor die Kuhmilch die bäuerliche Wirtschaft dominierte. Heute stehen wieder große Veränderungen bevor. Überall sehe ich vermehrt Pferdekoppeln, die Kuhmilchwirtschaft in den Alpen wird sichtbar zurückgedrängt.

      Weitere Veränderungen nach dem Übertritt einer Grenze sind manchmal eine andere Währung, eine andere Sprache, andere Häuser- und Gebäudearchitekturen, Straßenmarkierungen, Straßenschilder, Werbeplakate, andere Gebote und Verbote. Man könnte ganze Quizsendungen mit der Abfrage von Unterschieden der Länder machen, die auf die reine Wahrnehmung dieser Dinge beruhen.

      In Winterthur auf dem Campingplatz – die Plätze sind in der Schweiz erstaunlich billig, dafür wird die Mahlzeit umso teuer, wenn man selbst keine Küche dabei hat – verspüre ich die ersten Veränderungen meines Körpers. Die Tour und das Nächtigen im Zelt an der frischen Luft bedeutet eine Herausforderung an den Körper. Meiner jedenfalls reagiert zuerst mit leichtem Durchfall, dann mit Verstopfung, bis sich die Verdauung einpendelt. Eine Woche später spüre ich eine fühlbare Verbesserung in der Vitalität meines Körpers, ein tolles Gefühl.

      Wenn ich dann abends vor dem Zelt sitze und meine Notizen mache, stellen sich neue Fragen, Fragen, die kommen, wenn man den Alltag abschütteln kann, z.B. diese: Macht es überhaupt einen Sinn, den unmittelbaren Eindruck aufzuschreiben, oder macht es mehr Sinn, seine Gedanken über die verschiedenen