Martin Schlobies

Galvans Onkel


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nickte, stand auf und begann ein paar wilde Blumen abzupflücken. Edmund sah mir dabei zu.

      "Für wen sind sie?" fragte er.

      "Ich weiß es nicht. Komm, pflück du auch welche!"

      "Für wen?"

      "Für Michelle!" sagte ich. Er zögerte, dann sagte er:

      "Meinst du?"

      "Versuch's!" Schließlich pflückten wir jeder einen Strauß Feldblumen und waren sehr vergnügt bei diesem unschuldigen Tun.

      Als wir endlich wieder im Kastell eintrafen, herrschte die größte Mittagshitze. Michelle war in das Dorf gegangen, hörten wir, sich eine Illustrierte zu kaufen.

      Edmund sah sie durch die Glastür aus dem kleinen Flur kommen und ging mit dem Strauß auf sie zu. Ich sah sofort, Michelle freute sich nicht über die Blumen. Sie schaute den Strauß an mit einem Blick, der vermutlich bedeutete: 'Was soll ich mit wilden Blumen, die überall umsonst wachsen?' Sie wollte die Blumen nicht einmal annehmen. Edmund war darüber so überrascht und verlegen, daß er nicht wußte, was tun, bis ich eingriff.

      "Gib her!", sagte ich und nahm ihm den Strauß, den er ratlos in den Händen hin und her drehte, ab.

      Da sah ich, daß das junge Mädchen, Anna, wieder in ihrem Liegestuhl lag. Sie war bleich, zusammengekrümmt und ganz in sich selbst versunken. Anna blickte auch nicht hoch, als sie uns hörte. Sie sah so traurig und verloren aus, daß ich mir vornahm, sie hinterher anzusprechen und irgendwie zu versuchen, sie zu trösten.

      "Was hat die Kleine?", fragte Michelle leise. In einer plötzlichen Regung ging ich zu der kleinen Anna und gab ihr die Blumen, die sie zögernd und von Rot übergossen entgegennahm. Mir schien dabei, als ob sie jede Falte meines Lächeln suchte.

      Sie stand sogar auf, machte einen kindlichen Knicks, danach einen übertriebenen Theater-knicks, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt. Dann lachte sie auf, wie über einen kleinen Scherz. - Was war mit diesem halben Kind?

       5. Kapitel

      Nun waren wir also in diesem Kastell von Milfontes. Es gehörte einer alten Condessa. Edmund hatte schon allerhand Fabelhaftes von der alten Dame gehört, sodaß meine Neugierde recht gespannt war, sie kennenzulernen. Und dann sollte es noch eine hübsche Nichte oder Tochter geben, von der man sich allerhand Seltsames erzählte, die recht eigenwillig sein sollte und fast so selten zu sehen wie ihre Tante oder Mutter. Doch ich war sehr enttäuscht, daß sich die alte Dame während des ganzen Aufenthaltes im Kastell nicht einmal zeigte. Aber bald sollte eine andere Person meine Aufmerksamkeit mehr als beanspruchen.

      Das Personal des Hotels war ein wohltemperiertes Quintett: der dezente Diener, das adrette Stubenmädchen, die resolute Hausdame, die rundliche Köchin, und die einfache Frau zum Abwaschen.

      Edmund und Michelle hatten das Zimmer Nummer drei bekommen, ich Nummer vier, 'Heather room'. Gegenüber auf der anderen Seite des Flurs lagen die Bäder: alt und schrecklich, aber sauber. Mein Zimmer hatte zwei Betten mit grüngeblümten Decken. Pfosten, Stühle, Schrank-Ecken, Griffe; - alles aus naturverkrümmtem Kastanien-Astholz.

      Das Kastell steht an der Mündung des Flusses Mira in den Atlantik. Vor der Wut des Ozeans und dem ewigen Westwind wird es geschützt durch die Felsen und Dünen weit draußen. Es war zum Schutze der kleinen Stadt gegen arabische Piraten erbaut worden. Eine geschwungene Straße führt zum Strand hinab, der streckenweise steinig ist. Im Norden der Bucht liegen Dünen, dann eine Steilküste. Im Südosten streckt sich das Dorf aus, - oder die kleine Stadt: - Vila nova de Milfontes.

      Edmund und ich wollten am Nachmittag endlich schwimmen gehen. Michelle war noch müde von der langen Autofahrt, und wollte lieber etwas schlafen.

      "Michelle ist keine Frau, sondern ein Murmeltier." war Edmunds betrübter und resignierter Kommentar.

      Es war nur der Himmel über uns und Luft und Licht - und in der Ferne schlief blau das Meer. Wir wanderten ein wenig am Strand entlang, neben den Dünen, bis zum Beginn der Steilküste, oder eines Kliffs; ihm gegenüber ragte fahl und grau und schemenhaft, fast körperlos der Felskegel der Möweninsel auf, wie eine zweite unwirkliche Festung. Überall lag das moderne Strandgut, abgeschabte Plastikflaschen, Beutel, Kanister, von der rauhen Zunge des gierigen Meeres beleckt. Es war unwirtlich hier, der Wind war kalt, das Wasser eisig.

      Auf dem Rückweg sanken unsere Füße tief im Schwemmsand ein, in einem Sand, der wie Sumpf war. Dann wurde der Sand wieder fester und wir kamen an einem kleinen hübschen Strandrestaurant vorbei, einem Holzpavillon in Weiß und Blau.

      "Schade, daß wir dort nicht zu Abend essen werden!" sagte Edmund bedauernd, denn wir hatten Vollpension bestellt. Bald danach überquerten wir die Straße und warfen einen Blick in die kleine Welt am Hafen, dann gingen wir noch in den Ort - oder in das Dorf. Niedrige, meist nur zweistöckige Häuser mit Ziegeln gedeckt oder flach. Die Gärten mit Mauern oder Hecken aus Bambusschilf eingefaßt. Dazwischen standen einige ältere, vornehmere Häuser mit schönen Balkonen. Und alles wurde überragt von der Kuppel der Kirche Nossa Senhora de Piedade.

      Ein Menschentypus tauchte vor meinem geistigem Auge auf, fraglich, verschlossen, mit dem Tod auf vertrautem Fuß. Die Frauen glatt gescheitelt, die lockigen Haare straff zusammengebunden, - so wie Michelle manchmal ihre Haare trug. Die Männer mit zwei unbezähmbaren Stirnlocken und grauen Augen, von der Art des silbernen Mondlichts über den Klippen. Der Sohn im steten Kampf mit dem Vater.

      Bald wurde es uns dort langweilig und wir gingen zurück zum Meer, zur Bucht. Die Mündung des Flusses Mira ist eine weite, sich zum Meer hin wieder verengende Bucht, wie eine Mundhöhle, vorn die Lippen und Zähne, 'zweimal täglich mit Salzwasser spülen!' so sagte es Anna später. - Anna!

      Am Strand dort, zwischen den Agaven und dem Müll, saßen nur wenige Menschen. Doch hier war kaum Wind und wir zogen uns aus.

      "Los!" rief Edmund, "Komm mit hinein!" und damit stürzte er sich in die Flut. Ich folgte ihm kurz darauf nach. Doch wir waren beide erschrocken, wie das Wasser uns empfing. Jetzt erst sahen wir, daß die Badestelle im Wasser mit einer rotweißen schwimmenden Schnur eingegrenzt war. Jetzt erst merkten wir auch, warum: Wir schwammen auf der Stelle, so stark war die Strömung, die uns hinaustragen wollte. Ich schwamm Schmetterlingsstil, aber nur einige schlaffe Schläge. Die Kälte lähmte mich, sie preßte mir die Schläfen zusammen in einem heftigen Schmerz.

      Nach kurzer Zeit schon mußten wir das Wasser verlassen, trocketen uns ab und gingen zurück zum Kastell. Dort schien noch die Sonne. Meine helle Hose war naß geworden vom Salzwasser, das mir beim Umziehen von den Armen und Schultern getropft war.

      "Das wird Flecken geben!" sagte ich leicht bestürzt.

      "Um halb neun müssen wir pünktlich an der Tafel sitzen. Pünktlich und sauber!", sagte Edmund kalt. Ich wollte die Hose auf die Felsen legen, um sie trocknen zu lassen, doch der Wind nahm sie und trug sie davon; glücklicherweise nicht sehr weit. Als ich sie wieder eingefangen hatte, blickte ich zufällig hoch zur Zinne des Kastells. Dort oben, im Gegenlicht, stand eine schlanke Frau mit langen Haaren und schien sich über mein Mißgeschick gut zu amüsieren. In einer Art Schreck ließ ich meine Hose wieder in den nassen Sand fallen.

      "Was denkst du über Michelle?" fragte Edmund, der mich inzwischen eingeholt hatte. Ich bückte mich gerade, um meine Hose aufzuheben.

      "Eine reizende Frau!", sagte ich ohne zu überlegen, richtete mich wieder auf und starrte hoch zur Zinne. Es schien mir, als ob die Gestalt oben auf dem Kastell spöttisch zu mir herabsah.

      "Eine interessante Frau." sagte ich.

      "Ich glaube, sie mag dich!", sagte Edmund.

      "Wirklich?", sagte ich abgelenkt und blickte immer wieder verstohlen nach oben. Endlich sah ich, wie die Frau oben sich einen Moment schwer auf die Brüstung lehnte, als wollte sie unten im Graben etwas suchen. Meine Gedanken gerieten in Aufruhr. Doch weshalb?

      "Wir müssen gehen!", drängte Edmund.

      "Sie hat einen guten Mann verdient ...", sagte ich mechanisch.