Uwe Kling

Katzenjammer


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du tust. Ich dachte, du gehst immer streng wissenschaftlich …”

      “Moment”, sagte David sehr scharf und kniff gefährlich die Augen zusammen. “Du kennst doch noch den Unterschied zwischen rekonfigurieren und neu initialisieren?”

      Hans senkte grummelnd den Kopf. David wendete sich wieder an seine Frau.

      “Ich habe also ein bisschen herum experimentiert”, er schielte zu Hans und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass keine Unterbrechung kam, “und diese Mikroben modifiziert.”

      Hans holte tief Luft, aber David hob blitzschnell den Zeigefinger und sah Hans mit großen Augen drohend an. Hans atmete wieder aus und David nickte langsam.

      “Jetzt können sie alles”, David sah Aurora stolz an, “außer organische Materialien zersetzen und in Energie umwandeln.”

      “Oh, nein”, rief Aurora entsetzt, “und jetzt hat sie die Katze gefressen!”

      “Na ja”, David winkte ab, “da sie zu hundert Prozent aus organischem Material besteht, dürfte ihr das nicht viel tun.”

      Aurora war nicht beruhigt. “Und? Kommen die dann irgendwann von alleine wieder raus oder nisten die sich etwa bei dem armen Tier ein?” Aurora sah David scharf an.

      “Hm”, David überlegte. “Nein, stimmt. Irgendwann kommen die Mikroben wieder raus, diese Überlegung ist absolut richtig”, dann lächelte er. “Aber ich habe natürlich eine Sicherung eingebaut. So wäre selbst mir die Sache zu gefährlich. Stell dir vor, einer der Behälter aus organischem Material hat ein Leck, das ich nicht gleich bemerke”, er schüttelte den Kopf. “Nicht auszudenken, was da alles passieren könnte.” Er blickte an Aurora vorbei. Seine Augen wurden immer größer. Vor seinem geistigen Auge schien sich eine Katastrophe abzuspielen. Aurora sah ihn an und schüttelte den Kopf.

      “Und?”, fragte sie ungeduldig.

      “Äh, was?”, David schreckte auf. “Ach ja. Also, sie sterben ab, sobald sie in Berührung mit Wasser kommen.”

      “Na gut, aber warum muss das hier so bestialisch stinken?”

      “Na”, David wirkte überrascht, “weil die Mikroben jetzt tot sind, das habe ich dir doch eben erklärt.” Er breitete die Arme aus. “Wenn du lange genug tot bist, fängst du auch an zu stinken. Mikroben sind mikroskopisch klein, bei denen geht das eben sehr viel schneller.”

      “Na toll”, sie verdrehte die Augen zur Decke. “Dein Labor machst du aber jetzt selber sauber. Ich arbeite nicht in diesem Gestank.” Damit drehte sie sich um und wollte gehen.

      “Äh, Aurora?”, David sah ihr verdutzt nach.

      “Was denn noch?” Aurora stand in der halb aufgelösten Tür.

      “Darf ich fragen, warum du mich gestört hast?” David hatte die Hände ineinander gelegt und machte ein übertrieben erwartungsvolles Gesicht.

      “Ach ja”, Aurora kam zurück. “Lea hat angerufen.”

      “Och nein”, Davids Hände rutschten auseinander und seine Arme baumelten kraftlos neben seinem fülligen Bauch. “Nicht schon wieder.”

      “Leider doch”, seufzte Aurora.

      “Sie soll doch die Finger lassen von diesen …, diesen …,”, er fand kein geeignetes Schimpfwort, “Menschen”, platzte es schließlich aus ihm heraus. “Ich weiß schon, warum ich denen so oft wie möglich aus dem Weg gehe. Es war ein Riesenfehler, ihr zu erlauben alleine zu leben und ihre eigene Identität zu entwickeln.”

      “Nun komm, ist doch gut”, Aurora versuchte David zu beruhigen. “Lea ist jung, sie muss sich ausprobieren. Du bist schon mit dreiundsechzig Jahren deine eigenen Wege gegangen.”

      “Das waren erstens”, David hob den Daumen, “andere Zeiten damals. Zweitens”, er hob den Zeigefinger dazu, “bin ich ein Mann und drittens”, er wollte den Mittelfinger hochklappen, schaffte es aber erst, als er mit der linken Hand nachhalf, “sind wir hier nicht zu Hause, sondern auf dieser blöden, blauen Murmel.”

      “Na und, ist das vielleicht Leas Schuld?”

      “Nun fang nicht wieder damit an”, er wand sich unbehaglich. “Wir haben dringendere Probleme.” Sein Gesicht hellte sich wieder auf, “und wer muss wieder kommen und sie lösen?”

      “Schon gut”, Aurora nickte.

      “Wo sind sie?”, David klang wieder ganz geschäftig.

      “In ihrer Wohnung.”

      “OK. Ich räume hier zusammen, was ich brauche und dann komme ich.”

      “Äh, Chef?”, Hans’ Stimme drang aus dem Nebel im Labor. “Kann ich vielleicht meinen Deckel wieder haben, bevor du gehst?”

      “Oh”, David erinnerte sich. “Natürlich. Äh, Aurora?”

      Sie nickte. “Ist klar. Aber beeil dich. Ich weiß nicht, wie lange Lea diesen Mann in ihrer Wohnung halten kann.”

      David berührte mit der Hand die Wand neben der Tür. Ein grünes Sechseck leuchtete auf und man hörte das Rauschen einer Lüftung. Der Nebel im Labor wurde nach unten abgesaugt und David konnte zum ersten Mal in Ruhe das Ausmaß der Schäden sehen.

      “Ach du Scheiße”, seufzte er.

      Hans sah ihn mit großen Augen an. “Ist was nicht in Ordnung? Ist sie wieder kaputt?”

      “Bitte?”, David sah sich suchend um. “Keine Ahnung. Dazu müsste ich die Schädeldecke erst mal finden.”

      Hans sprang auf und wollte beim Suchen helfen, aber David hob abwehrend die Hände.

      “Bitte, bleib sitzen. Ihr IEs habt heute schon genug Chaos angerichtet.” Vor dem Labortisch war nichts außer Löchern und schleimiger Flüssigkeit zu sehen. Er runzelte die Stirn und ging zu den Trümmern des Regals, in das er hinein gerutscht war. Vorsichtig hob er Bruchstück für Bruchstück an und räumte es zur Seite. Als er die Seitenwand des Regals hochhob, rief er erfreut, “Ah”, und gleich darauf enttäuscht, “Oh.”

      “Warum klingt dieses ‚Oh‘ irgendwie gar nicht gut?”, Hans Stimme war von einer dunklen Vorahnung erfüllt.

      “Tja”, David lachte unsicher. “Ich fürchte, die Schädelplatte ist gesplittert, als das Regal draufgefallen ist.”

      “Och nee, Chef”, Hans klang sauer. “Ich habe extra gefragt und du hast mir versprochen, dass diesmal nichts passiert.”

      “Das stimmt schon, Hans”, David war es unangenehm. “Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass diese blöde Katze das Labor als Rennbahn benutzt.”

      “Och Chef.”

      “Was soll ich denn machen? Es ist eben passiert.”

      “Na super”, meinte Hans genervt. “Und ich darf den Mist jetzt wieder ausbaden.” Er legte sich auf den OPTisch. “Komm, koppel mich von dem Ding da ab und wickele mir den Kopf ein, ich fange schon an Sternchen zu sehen. Ich habe den Sturzhelm vorsichtshalber noch aufgehoben.”

      David zuckte die Schultern und macht sich an die Arbeit.

      “Sehr schön”, David begutachtete zufrieden den Verband, als er fertig war. “Hätten wir uns in Indien niedergelassen, bräuchtest du nur noch einen roten Punkt auf der Stirn.”

      “Spotte nur.” Hans war immer noch sauer.

      Schnell hatte David eine Tasche mit verschiedenen Dingen gepackt, die er für Leas Mensch benötigt. Er eilte zur Tür und blieb plötzlich stehen. Nachdenklich blickte er sich um und ging dann zurück zum OPTisch.

      “Hans, bring mir doch bitte das Aktivierungs-Interface rechts oben im Regal.”

      Er stellte die Tasche ab und holte aus einem der Käfige im hinteren Teil des Labors einen kleinen, leblosen Hund, den er auf den Tisch in den Lichtkegel legte. Aus