Uwe Kling

Katzenjammer


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still, verflucht.” Ärgerlich packte er Hans’ Kinn. “Wenn ich abrutsche, splittert womöglich der Knochen oder ich säge dir durchs Ohr und du weißt, wie lange es dauert, bis ein neues nachgewachsen ist.”

      Hans grummelte missmutig vor sich hin, versuchte aber sich nicht mehr zu bewegen.

      David sägte entlang des schwarzen Strichs rund um Hans’ Kopf, bis er wieder an der linken Schläfe ankam. Dann legte er die Säge auf den Beistelltisch zurück, fasste mit beiden Händen oberhalb des soeben gesägten Schlitzes, rüttelte und fluchte.

      “Was’n los, Chef?”, Hans sah nach oben. “Geht’s nicht?”

      “Halt still, oder ich verpasse dir nächstes mal wieder eine Vollnarkose.” Sichtlich unzufrieden setzte David sich eine Brille mit zwei kleinen Objektiven auf. “Ich war zu vorsichtig, beim Sägen. Anscheinend ist der Knochen an ein paar Stellen nicht ganz durchtrennt.” Er untersuchte den Schlitz durch die starke Lupe.

      “Ah, ja”, er strich mit dem Finger über Hans’ Stirn, “hier, …”. Er suchte weiter und musste sich für den Hinterkopf auf den Boden knien, was ihm durch seine Leibesfülle einige Schwierigkeiten bereitete. “Und hier”, ächzte er und strich mit seinem Finger über eine Stelle hinter dem linken Ohr.

      Mühsam zog er sich am OPTisch wieder hoch, setzte die Brille ab und suchte auf dem Beistelltisch nach einem Hammer und einem breiten Meißel.

      “Och Chef, auch das noch”, Hans schmollte. “Der Krach mit der Kreissäge war schon genug.”

      David ließ sich auf keine Diskussionen ein und setzte den Meißel in den Schlitz auf der Mitte der Stirn. Gezielt schlug er zu.

      Knack!

      Der Schädelknochen war durchtrennt und der Schlitz stand nun an dieser Stelle etwa einen Zentimeter weit offen.

      “Na also”, murmelte er und legte Hammer und Meißel beiseite. Vorsichtig drückte er mit beiden Händen den Schlitz wieder zusammen, dann wieder auf, wieder zusammen und dann mit einem kräftigen Ruck wieder auf.

      Knack!

      Die zweite Stelle war auch durchtrennt und er hielt die Schädeldecke in seinen Händen. Hans Gehirn lag nun offen und es tropfte ein wenig klare Flüssigkeit von der Schnittkante.

      “Pass aber diesmal auf, Chef. Nicht wieder auf den Käfig mit den Mäusen legen”, zeterte Hans. “Dieser Deckel gefällt mir sehr gut. Ich möchte nicht wieder ewig auf einen neuen warten müssen, nur weil irgendwelche Viecher den alten kaputt geknabbert haben.”

      “Nie mehr ohne Vollnarkose”, schnaubte David und legte die Schädeldecke auf den Labortisch. “Ich habe die Nase voll von deinen Kommentaren. Ich habe alle IEs in ihre Käfige gesperrt. Beim letzten mal …”, David schüttelte den Kopf, “… das war einfach ein Versehen. Ich habe zwei Sekunden nicht aufgepasst, …”

      “Ein Versehen, so, so”, maulte Hans. “Und weil der Chef zwei Sekunden nicht aufpasst, muss ich einen ganzen Monat lang Angst haben, dass ich mir da oben nichts eindrücke, weil da alles weich und wabbelig ist, ohne Deckel. Zum Glück hat mir deine Frau diesen Sturzhelm besorgt. Ich hätte sonst den ganzen Monat lang nicht geschlafen, vor lauter Angst.”

      “OK, nun ist es aber genug.” David klang jetzt sauer. “Hier sind keine knabbernden Tiere. Die Schädeldecke ist sicher, und jetzt lass mich bitte weitermachen.” Er ging wieder zu der Regalwand und griff nach einem der Glasbehälter in der obersten Reihe. David musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um den großen Behälter mit dem Organ richtig fassen zu können. Mit einiger Mühe schaffte er es, ihn aufrecht herunterzubalancieren und schleppte ihn zum OPTisch, wo er ihn auf einer speziellen Ablage neben Hans’ Kopf absetzte. Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

      “Also Chef. Sag doch vorher was. Ich komme da doch leichter dran. Wenn es dir aus den Händen rutscht …”

      “Es ist gut, Hans”, David schnitt ihm das Wort ab. “Es hat ja geklappt. Ich habe halt vorher nicht daran gedacht, dass der Behälter so hoch steht.”

      “Ei, ei, ei”, Hans versuchte den geöffneten Kopf zu schütteln, dabei tropft wieder etwas von der klaren Flüssigkeit heraus. “Chef, Chef, Chef. Du weißt aber noch, was du jetzt alles machen musst?”

      “OK”, murmelte David zu sich selbst. “Das ist das Erste, was ich bei dir umprogrammieren werde.”

      Aus einem Kühlfach, in der Wand neben dem Labortisch, holte er zwei Nierenschalen und stellt sie auf Hans Bauch, der heftig pustete, als er die eiskalten Schalen spürte.

      “Hier”, kommandierte David. “Festhalten.”

      Er nahm eine riesige Spritze vom Beistelltisch mit den medizinischen Werkzeugen. Sie war ungefähr zwanzig Zentimeter lang, hatte einen Durchmesser von mindestens sechs Zentimetern und war fast vollständig mit einer roten, durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. Hans Augen wurden immer größer, als er sah wie viel Mühe David damit hatte ein wenig von der offensichtlich sehr zähen Flüssigkeit aus der Spritze zu drücken, um die richtige Menge zu erhalten.

      “Äh, Chef?”, Hans hob vorsichtig den Finger. “Ich kann mich nicht mehr richtig erinnern, aber ich glaube das hast du das letzte Mal nicht benutzt.”

      David blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, während er die Spritze noch in Augenhöhe hielt, um die Messskala genau sehen zu können.

      “Ich bin jetzt auch wirklich still, ehrlich”, Hans Stimme klang ein wenig ängstlich.

      Mit kaltem Blick senkte David die Spritze und injiziert ihren gesamten Inhalt auf einmal in den Glasbehälter mit dem Organ, woraufhin dieses heftig zu zucken begann. Hans atmete erleichtert auf, David lächelte verstohlen.

      Er holte ein Bündel Nervenfasern aus der einen Nierenschale und legt das eine Ende in den Behälter, wo sie sich sofort mit dem Organ verbanden. Danach tränkte er einen Wattebausch mit der jetzt hellroten Flüssigkeit aus dem Glasbehälter und hielt das andere Ende der Fasern an Hans offenes Gehirn. Mit dem feuchten Wattebausch tupfte er die Nervenenden sorgfältig ab und wartete einen Moment. Hans’ Augen weiteten sich. Als David die Fasern losließ, waren sie fest mit Hans Gehirn verbunden.

      “Äh, Chef?”

      “Hans”, David klang resigniert. “Ruhe jetzt. Wenn ich mich nicht richtig konzentriere und einen Fehler mache, muss ich dich komplett neu initialisieren. Und was das bedeutet, weißt du ja.”

      “Ja Chef, weiß ich”, wendete Hans vorsichtig ein. “Deshalb dachte ich, ich melde mich noch vorher um dich zu bitten …”

      “Was denn jetzt noch?”, David wurde ungeduldig.

      “Ich meine - ich habe hier nicht viel an”, er deutete auf seinen nackten Körper, “und es ist nicht gerade warm hier im Raum.”

      “Jetzt komm endlich zur Sache”, knurrte David.

      “Diese Nierenschalen auf meinem Bauch sind wirklich eiskalt.”

      “Oh, … äh, … ja klar”, meinte David irritiert. “Entschuldigung.” Er hob die Schalen von Hans’ Bauch und stellte sie auf den Beistelltisch. Aus der zweiten Schale nahm er ein weiteres Bündel Nervenfasern und ließ auch sie eine Verbindung mit dem Organ herstellen. Schließlich griff er nach der mit einem Gel gefüllte Haube, die am Ende dieser Nervenfasern hing und setzte sie sich auf.

      “Jetzt wollen wir doch mal sehen, wo wir unsere Problemchen haben”, meinte er lächelnd zu Hans. Er schloss die Augen und das Organ im Behälter begann in regelmäßigen Stößen zu pumpen. Hans’ Zehen bewegten sich, dann zuckten seine Knie. Die Oberschenkelmuskeln zogen sich zusammen und entspannten sich wieder. Seine Finger trommelten auf den OPTisch und über die Bauchdecke liefen Wellen vom Becken in Richtung Brustkorb. Plötzlich fing er an hysterisch zu lachen, dann flatterten seine Augen und er begann erbärmlich zu weinen. Genauso plötzlich war er wieder still und seine Augen bewegten sich schnell immer wieder von links nach rechts.

      “Mhm”,