Uwe Kling

Katzenjammer


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Martin war das krasse Gegenteil von dem, was sie erwartet hatte. Sie überlegte, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte.

      “Sollen wir dann gleich rein”, er sah sie erwartungsvoll an, “oder möchtest du noch etwas spazieren gehen?”

      ‚Bloß das nicht‘, dachte sie entsetzt. ‚Meine Füße halten diese Schuhe keine hundert Meter mehr aus.‘

      “Nein, nein, lass uns mal reingehen und sehen, ob unser Tisch schon frei ist.”

      Sie betraten ein nobles, französisches Restaurant, das Dr. Smooth als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Der Eingangsbereich war mit dunklem Teppichboden und Teakholz-Vertäfelung an Wänden und Decke ausgestattet. Die leise Musik und das dezente Klappern von Besteck hörten sie erst, als die Tür hinter ihnen den Straßenlärm ausschloss. Neben einem großzügigen Durchgang, der von zwei mächtigen Topfpalmen eingerahmt wurde, befand sich ein Stehpult, über dessen Rand hinweg die beiden die Stirn und den schütteren Haaransatz eines kleinen Mannes sahen, der gerade telefonierte.

      “Aber sicher, Herr Minister.” Er machte eine leichte Verbeugung und sein Kopf verschwand hinter dem Pult. “Natürlich, keine Frage.” Er lauschte kurz, dann erschienen entsetzt ein Paar Augenbrauen auf seiner Stirn, “mais non, mais non, mais non! Alles wird wie immer zu Ihrer Zufriedenheit sein. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen.” Wieder machte er eine Verbeugung. “Ihre Gattin liebt noch immer Orchideen? Ja…”, er lauschte wieder. “Selbstverständlich Herr Minister.” Seine Verbeugungen wurden immer tiefer. “Ja…, ja…, nein…, ich persönlich…, Maurice wird sich persönlich darum kümmern, selbstverständlich. Vielen Dank, Herr Minister.”

      Behutsam legte er den Hörer auf und nahm einen goldenen Füller von der Ablage des Pultes. Er schraubte ihn auf, blätterte in seinem Buch eine Seite weiter und machte eine Eintragung. Dann schraubte er den Füller wieder sorgfältig zu, legte ihn sachte auf das Pult zurück und strich sein Jackett glatt. Er streckte sich und sah über das Pult.

      Seine Augen verengten sich unmerklich, als er Martin erblickte, dann sah er zu Lea auf und näselte mit hochgezogenen Augenbrauen, “Sie hatten reserviert?”

      “Ja, Lea Anders.”

      Der Maître seufzte und blätterte umständlich in seinem Buch. “Ah ja, tatsächlich.” Er räusperte sich. “Aber leider …”, der Versuch ein bedauerndes Gesicht zu machen, endete in einer seltsam anmutenden Grimasse, “… bei uns ist Krawatte vorgeschrieben.”

      Martins Schultern sanken herab.

      “Sie haben doch für solche Fälle sicher eine, die Sie uns leihen können oder?”, Lea machte große Augen.

      “Äh, …nun ja, es ist…”

      “Na wunderbar, vielen Dank Maurice.”

      Er richtete sich auf soweit er konnte. “So ist das eigentlich nicht gedacht.”

      “Ach”, Lea versuchte so überrascht wie möglich auszusehen. “Jetzt bin ich aber enttäuscht. Mein Vater, der Herr Minister, mit dem Sie soeben telefoniert haben, hat Sie mir so sehr ans Herz gelegt.”

      Maurice stutzte etwas und überlegte. “Mademoiselle”, begann er zögernd, “was ich damit sagen wollte, ist…”

      “Nein, nein, ich verstehe schon. Wenn es eben nicht geht, aber mein Vater wird sicher enttäuscht sein, wenn ich ihm erzähle…”

      “Was ich damit sagen wollte ist …”, er atmete tief durch, “… wenn bei uns Krawatte vorgeschrieben ist, dann bedeutet das natürlich auch ein entsprechendes Jackett.”

      Martins Schultern sanken noch tiefer herab.

      “Aber selbstverständlich haben wir beides hier, um besonderen Gästen aus einer eventuellen Verlegenheit helfen zu können. Wenn der junge Mann mir bitte folgen möchte.”

      Der Maître öffnete eine Tür in der Vertäfelung neben seinem Pult und die drei gingen in ein sehr großes Ankleidezimmer. In einem riesigen Wandschrank sahen sie eine Reihe sehr teurer Anzüge, die sehr ordentlich nebeneinander auf der Stange hingen. Maurice sah Martin abschätzend von oben nach unten an, wobei die Augenbrauen noch höher zu wandern schienen, griff nach dem dritten Jackett auf der rechten Seite und half Martin hinein. Es passte tadellos und Martins herabhängende Schultern waren nicht mehr zu sehen. Der Maître nickte zufrieden, öffnete eine Schublade und holte eine Schachtel mit einer Krawatte heraus. Er hielt sie an Martins Brust. Wieder nickte er zufrieden. “Wenn Sie die vielleicht probieren möchten, mein Herr?”

      Martin schielte unsicher zu Lea hinüber, dann beugte er sich zu Maurice. “Äh, entschuldigen Sie bitte”, raunte er ihm zu und wird rot, “aber ich habe noch nie eine Krawatte gebunden.”

      “Mon dieu”, entfuhr es Maurice und er verdrehte die Augen zur Decke. Mit geübten Handgriffen, nicht ohne einen gequälten Seufzer, band er ihm die Krawatte und zog sie zu. Martin schluckte schwer über die ungewohnte Enge. Der Maître trat zurück und nickte zufrieden.

      “Sehr schön, Maurice”, sagte Lea. “Mein Vater hat Sie nicht umsonst so sehr gelobt.”

      Er dankte mit einem dezenten Nicken. “Mademoiselle, wenn ich Sie nun zu Ihrem Tisch führen darf?”

      Er wies mit der Hand hinaus und sie verließen den Raum.

      Endlich saßen die beiden am Tisch. Er war perfekt gedeckt. Sechs verschiedene Gläser für entsprechende Getränke, fünf verschiedene Gabeln, sechs Messer, acht Löffel, in der Mitte des Tisches ein riesiges Blumenbouquet mit zehn Kerzen. Lea versuchte Martin anzusehen, schaffte es aber erst, als sie sich ein wenig zur Seite beugte um an den Blumen vorbeisehen zu können. Martin hatte sich in die Ecke seines geliehenen Jacketts zurückgezogen und versuchte unbehaglich mit dem Finger den Hemdkragen zu weiten. Lea verschwand wieder hinter den Blumen und musste lächeln.

      Ein kleiner, aber sehr würdevoll aussehender Ober kam, um ihre Wünsche entgegenzunehmen. Sie bat ihn, zunächst das Blumenbouquet zu entfernen, damit sie ihr Gegenüber ansehen konnte. Er blickte unsicher zu Maurice, der sich noch in der Nähe befand. Als dieser mit einem Seufzen nickte, fasste er nach den Blumen und stellte sie ächzend beiseite.

      “Einen Apéritif vielleicht?”, der Ober sah von einem zum anderen.

      Lea entschied sich für einen doppelten Wodka, Martin fragte nach einer Cola ohne Eis. Der Ober wollte etwas erwidern, aber da Maurice wieder nickte, entfernte er sich um ihre Wünsche zu erfüllen.

      Martin setzte sich räuspernd auf. Da kam der Ober zurück und reichte die Getränke. Martin sankt wieder zurück. Er beobachtete die Kohlensäureperlen in seiner Cola, bis der Ober wieder gegangen war und richtete sich erneut auf. Dr. Smooth hatte Lea geraten ihrem Date die Initiative zu überlassen. Das sei für das Ego eines Mannes sehr wichtig. Martin holte tief Luft, da übergab ihm der Ober die Karte und er atmete schwer seufzend aus. Die Karte war riesig. Er klappte sie auf und war nicht mehr zu sehen. Lea öffnete schnell auch ihre Karte, um ihr Lächeln zu verbergen.

      Nach einer Weile legte Lea ihre Karte hin und nippt an ihrem Wodka. Auch Martin legte seine Karte zur Seite, wobei er sein Glas traf. Es kippte um und schubste zwei der sechs zu seinem Gedeck gehörenden Gläser vom Tisch, die mit lautem Klirren auf dem Boden zersprangen. Augenblicklich verstummte das leise Klappern der Bestecke um sie herum. Nur noch die säuselnden Streicher aus den Lautsprechern waren zu hören. Martin wurde bleich und starrte entsetzt auf den dunklen Cola-Fleck, der sich sehr schnell auf der weißen Tischdecke ausbreitete. Maurice schloss die Augen und seufzte. Wie aus dem Nichts waren zwei Ober zur Stelle, entfernten die Scherben und deckten den Tisch neu. Das Ganze dauerte höchstens drei Minuten. Langsam begann das Klappern der anderen Bestecke wieder und auch in Martins Gesicht kehrte ein wenig von seiner alten Farbe zurück.

      “Ich hätte nicht auf diese blöde Beratungs-Seite hören sollen.” Lea sagte das mehr zu sich als zu Martin.

      “Wie meinst du das?”

      “Na ja, so ein nobler Schuppen wie dieser hier ist normalerweise nicht so mein Ding und