Ly Fabian

Infektion


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Marie, ich halte dir die Tür! Pass bitte auf, wenn du dein Rad in den Keller trägst, die Treppe ist frisch gewischt!« Frau Maier, die Nachbarin wackelte mit ihrem graugelockten Kopf, als Marie mit dem Rad gegen die Tür stieß. »Weißt du, was wieder in der Stadt los ist? Dauernd diese Sirenen!« »Mir ist nichts aufgefallen.« Der Schlüssel im Schloss knarzte, als sie aufschloss. In der Küche krähte ein Schlagerstar. Marie warf ihren Rucksack in ihr Zimmer, bevor sie ihre Oma Irene am Herd überraschte. »Machst du etwa den Auflauf mit Käse? Ich bin Veganerin!« »Erst einmal guten Abend, Schatz. Und ja, er ist mit Käse, denn deine Mama isst nachher mit, aber für dich habe ich eine extra Portion.« Sie wies auf eine kleine Form, neben der Großen, in der eindeutig nur Gemüse schmurgelte. »Soll ich den Tisch decken?« »Das wäre lieb.« Marie ging ins Wohnzimmer. Ihre Mutter Lisa lag auf der Couch. Während sie das Geschirr auflegte, lief im Fernsehen eine Dokumentation über eine afrikanische Klinik. Sie stellte den Ton lauter. Das Bild wechselte zu einem Krankenzimmer, in dem mehrere Menschen auf dem Boden lagen. »Die machen eine Panik.« Lisa gähnte. »Wir haben eine Frau, die glaubt, sich in Ägypten infiziert zu haben.« »Ist sie ansteckend?« »Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Privatpatientin. Die blockiert nur ein Bett. Sie ist dermaßen hysterisch, als ich ihr Fieber messen wollte, hat sie mich gekratzt.« Lisa schob den Ärmel ihres Pullovers nach oben. Drei rote Kratzer auf bleicher Haut. Irene schaltete wortlos den Fernseher aus, ehe sie das Essen hereintrug. »Beim Abendbrot bitte keine Horrormeldungen.« Nach dem Essen spielten sie eine Runde Scrabble, bevor es Marie gelang, sich zurückzuziehen. Mutter und Oma stritten sich ständig über ihren Vater. Sicher, sie hatte sich in den Sommerferien dort sehr wohl gefühlt und was war gegen seine Idee zu sagen, ein Jahr bei ihm in Florida zu verbringen? Immerhin hatte sie in den Ferien dort auch den Führerschein gemacht, mit dem sie hier nur leider noch nichts anfangen konnte. Sie öffnete ihren Laptop. Auf Facebook fanden sich einige neue Nachrichten. Ihr Vater hatte ihr zahlreiche Links geschickt. Darunter YouTube-Videos. Schlecht gemachte Zombiefilme. Verärgert klickte sie die weg. Es schien ein neuer Trend zu sein, denn Freunde, die sie diesen Sommer kennengelernt hatte, sendeten ihr ähnliche Filme, teilweise selbst gedreht, unprofessionell und schlecht gemacht. Eine Nachricht kam von Sascha. »Komm vorbei, ist wichtig ...«

      Sie schaute auf die Uhr. 22.30 Uhr. Morgen war Samstag, Lisas erstes freies Wochenende seit Wochen.

      »Wir unternehmen einen tollen Ausflug, nur wir drei!«, hatte sie angekündigt, kurz bevor sie sich mit Oma gestritten hatte. Marie schickte Sascha eine Nachricht, legte einen Zettel auf den Nachttisch und schlich aus der Wohnung. Als sie das Fahrrad aus dem Keller holte, stieß sie gegen die Briefkästen. Das Flurlicht funktionierte nicht. Auf der nahe gelegenen Autobahn rauschte der Verkehr, obwohl die Ferien schon lange vorbei waren.

      »Komm rein! Bist du allein?« Sascha schaute sich misstrauisch um, als sie vor der Tür des Reihenendhauses stand. In seinem Zimmer regierte das Chaos. Überall lagen Bücher zwischen Wäschestücken und Getränkedosen auf dem Boden. Im Fernsehen lief ein englisches Nachrichtenprogramm.

       »Wir stehen vor einer Zombie-Epidemie! Hast du davon gehört?«

      »Nein. Ich habe heute nur einen Dokumentarfilm über die Lungenpest gesehen, dann gab es noch etwas über eine Masernpandemie und nicht zu vergessen die Grippewelle aus Osteuropa. Das mit den Zombies ist mir anscheinend entgangen. Letztes Jahr meintest du, eine Alien-Invasion stände bevor. Die scheinen sich inzwischen ja gut integriert zu haben. Bisher hat sie noch keiner enttarnt.«

      Sascha warf ihr einen bösen Blick zu. »Das mit den Zombies ist real!«

      Marie lächelte.»Okay, von mir aus.«

      »Ich habe Interviews gesehen. Die Geheimdienste spielen es runter, damit keine Panik aufkommt.« Er rief an seinem Tablet einige Links auf. »Da, schau selbst!«

      »Das ist ein Ausschnitt aus Walking Dead, das andere eine Sequenz aus WorldWarZ. Damit kannst du nur deine Eltern erschrecken.«

      »Das hier ist aber echt!«

      »Auch nicht! Da mache ich dir ja einen besseren Film!« Marie klickte auf dem Teil herum, während Sascha aufräumte und einen Rucksack füllte.

       »Das solltest du auch tun. Für den Fall, dass du schnell weg musst. Wechselwäsche, Geld, Essen, Wasser. Ich bringe morgen Vorräte in unsere Scheune. Man muss an verschiedenen Stellen etwas lagern!«

      Sie nahm sich selbst ein Wasser, während er weiter seine Sachen sortierte.

      »War es das? Sollte ich deswegen extra heute noch vorbei kommen? Das hättest du mir auch am Handy sagen können.« Sie legte sein Tablet zurück.

      Er schaute sie an. »Darüber kann man nicht am Telefon sprechen. Da weiß man nie, wer mithört. Wir werden alle belogen. Denk immer daran!«

      Seine geröteten Augen fixierten sie. Sie fühlte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Verdammte Verschwörungstheorien. Sascha drehte immer mehr ab. Er kiffte eindeutig zu viel.

      »Keine Sorge, ich passe auf!« Sie küsste ihn zum Abschied auf die Wange.

      An der Autobahnbrücke stoppte sie. Eine Kolonne Militärfahrzeuge. Endlos. Zum Glück war Sascha nicht hier. Er würde behaupten, der dritte Weltkrieg wäre ausgebrochen.

      »Sie kommt!«, zischte jemand. Erschrocken zuckte sie zusammen. Neben ihr stand ein Mann in einem altmodischen Trenchcoat. Sie hatte nicht bemerkt, wie er sich angeschlichen hatte. Seine dürren Hände umklammerten die Brüstung. Er wandte ihr sein zerfurchtes, von fettigen Zotteln umsäumtes Gesicht zu.

      »Die Apokalypse!« Er kicherte. »Wir werden alle sterben!«

      Sie stieg auf ihr Rad und fuhr so schnell sie konnte nach Hause. Der Alte verfolgte sie mit seinen Blicken, bis in den Schlaf.

      »Dass du immer noch schläfst! Es ist schon fast elf!« Oma stand neben ihrem Bett. »Wir wollten etwas unternehmen. Deine Mutter ist jetzt allein einkaufen.«

      »Wir können doch auch morgen etwas unternehmen.« Marie schlurfte ins Bad. Sie stand unter der Dusche und ließ das heiße Wasser laufen, als könnte sie damit die Zeit anhalten. Es hämmerte an der Tür. »Dusch nicht so lange!«

      Seufzend drehte sie den Hahn zu. In der Küche nahm sie sich Tee aus der Thermoskanne. Irene zeigte auf die aufgeschlagene Zeitung. Lungenpest, neue Fälle in Berlin und Frankfurt. Krisensitzung im Gesundheitsministerium.

      »Hoffentlich breitet sie sich nicht noch weiter aus!«

      »Was soll sich ausbreiten?« Lisa schloss die Eingangstür. Irene zeigte auf die Schlagzeile. »Hier, schau, schon wieder neue Fälle, die Leute brechen auf der Straße zusammen und bluten aus dem Mund.«

      »Wie eklig.« Marie schaute auf das Foto.

      »Die haben geschlafen und jetzt bekommen sie es nicht mehr in Griff. Zum Glück arbeite ich in einem kleinen Haus, bei uns gibt es keine Infektionsabteilung. Aber unser Chef hat erreicht, dass wir trotzdem geimpft werden, sobald die neuen Chargen nächste Woche kommen. Wird ein Riesengeschäft für die Pharmaindustrie.«

      Lisa stellte eine Tasche auf den Boden. »Schaut mal! Hab ich für uns mitgebracht.« Sie zog drei Hexenhüte, an denen Haare befestigt waren, heraus. Einer hatte rotes, der Zweite orangefarbenes und der Dritte weißes Haar. Dazu schwarze Umhänge.

      »Sonderangebot. Fünf Euro das Set!«

      »Ich nehme mal an, die weißhaarige Hutperücke ist für mich gedacht.« Irenes Stimme klang pikiert.

      »Ich nehme ihn!« Marie stülpte das Teil über. Die weißen Haare umschmeichelten ihr Gesicht »Ist doch ein guter Kontrast zu meinem Teint!« Sie drehte sich vor dem Spiegel.

      Es nieselte am Sonntag, deshalb wurde der geplante Ausflug auf ein Mittagessen reduziert. Lisa besaß noch einen Gutschein von einem nahegelegenen Restaurant. Die Angst, so kurzfristig keinen Platz zu bekommen, war unbegründet. Auf dem Parkplatz befanden sich nur wenige Wagen. Vor dem Eingang stand ein Hänger, auf dem, in Heu gebettet, mehrere unterschiedlich große Kürbisse lagen. Im herbstlich geschmückten Restaurant konnten sie sich einen Platz aussuchen.

      »Ich hätte nicht gedacht, dass es heute so leer ist«, meinte Lisa zu Irene. Der Kellner, der die Getränke brachte,