Ly Fabian

Infektion


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hastete. Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis sich die Nebentür öffnete. Ihre Mutter stellte mehrere Kisten neben das Auto.

      »Komm hilf mir, neben der Tür stehen noch Sachen.«

       »Wie willst du das alles da rein packen?«, ächzte Marie unter der Last einer Kiste. Lisa antwortete nicht. Sie füllte erst den Kofferraum und danach die Rückbank. Zum Schluss legte sie eine Decke darüber und zog den Sonnenschutz an den hinteren Fenstern hoch.

       »So, sehen kann man nichts. Jetzt kannst du mit hineinkommen.«

      Bevor sie das Gebäude betraten, schaute sie sich noch einmal um. Alle Fenster waren dunkel. Marie folgte Lisa in den Umkleideraum.

      »Zieh diesen Kittel über und stecke das Schülerzeichen an.«

      »Da steht Steffi drauf.«

      »Die war in den letzten Tagen nicht hier und es kennt sie keiner. Also heißt du heute eben mal Steffi.« Lisa lächelte. »Und jetzt komm.«

      Im Stationszimmer richtete die Nachtwache Infusionen.

      »Hast du alles ins Auto bekommen?«, raunte sie Lisa zu. Die nickte und warf ihr den Autoschlüssel zu.

      »Du bist Marie? Wir kennen uns doch vom Telefon. Ich bin Katja. Aber das Steffi-Schild geht ja gar nicht.«

      Sie tippte etwas in den PC ein,druckte es aus, dann schnitt sie den Zettel zurecht und klebte ihn über den Namen auf dem Anstecker.

       »So, jetzt bist du Schülerin Marie. Für heute hält es. Wenn sie deinen Personalausweis sehen wollen, muss der Name stimmen. Schwester Emma hat sich eben krank gemeldet. Ich helfe euch beim Bettenmachen, dann muss ich weg. Später kommt eine Aushilfe, zum Frühstück.«

      »Was ist mit Hannah, wann kann ich zu ihr?«, fragte Marie.

       »Vor elf Uhr geht es nicht. Da ist oben zu viel los, es fällt auf, wenn ein Unbekannter kommt. Du hilfst mir jetzt und später sorge ich dafür, dass du deine Freundin besuchen kannst.«

      Marie ging mit der Katja durch die Zimmer. Sie zogen Bettlaken glatt, wechselten Unterlagen und setzten Patienten in den Rollstuhl, die von Lisa in das Bad oder vor das Waschbecken geschoben wurden. Sie half, indem sie die Leute zurück zu ihrem Bett brachte, während ihre Mutter die medizinische Betreuung übernahm. Kurz nachdem die Nachtschwester sich verabschiedet hatte, kam die Aushilfe und verteilte das Frühstück. Marie lief durch die Zimmer und half denjenigen, die nicht alleine essen konnten. Ihre Mutter wuselte durch die Gänge. Marie wunderte sich nicht mehr, dass sie ständig so kaputt war.

      »Wo ist die Frau, die dich gekratzt hat?«

       »Die wurde verlegt. Sie ist komplett durchgedreht, kam auf die Psychiatrie.«

       Die Aushilfe setzte sich ab, um eine Zigarette zu rauchen. Ein Arzt wechselte ein paar Worte mit Lisa und ging dann allein durch die Zimmer.

      »Es gibt heute keine Visite. Dr. Beuer schaut nur nach ein paar Patienten, er hat die Anweisung, so viele wie möglich zu entlassen. Die Station wird aufgelöst. Ich denke, jetzt kannst du Hannah besuchen. Deine Freundin liegt einen Stock höher. Intensiv-Station. Schwester Betty erwartet dich. Und vielen Dank für deine Hilfe.« Lisa lächelte.

      Da der Aufzug nicht gleich kam, nahm sie die Treppen. Eine Schwester machte sich vor der Tür zur Intensivstation an einem Bettenwagen zu schaffen. Unsicher ging Marie auf sie zu. Die Frau wandte sich um. Auf ihrem Namensschild stand Betty Mayer. »Da bist du ja endlich«, lächelte sie und führte sie an zwei Ärzten vorbei auf die Station. Am letzten Überwachungszimmer machten sie halt. Hannahs Gesicht war weiß wie das Laken. Über ihr hing ein roter Beutel. »Sie bekommt Transfusionen, das arme Ding. Deine Mutter meinte, du hast hier schon gearbeitet und möchtest helfen. Du kannst sie waschen, ich bin noch nicht dazu gekommen.« Betty brachte eine Waschschüssel und Einmallappen. »Zieh dir Handschuhe an. Und sei vorsichtig.« Marie schluckte. Ein Arm ihrer Freundin war eingegipst, die Schulter verbunden, die Finger der Hand blau. »Hannah? Wie geht es dir? Ich werde dich jetzt waschen, erschrecke bitte nicht.« Vorsichtig wischte sie mit dem feuchtwarmen Lappen über das Gesicht ihrer Freundin, die träge die Augen öffnete. »Du?« »Wie geht es dir?« »Scheiße, wenn ich dich sehen muss, du Bitch. Seit wann arbeitest du hier?« Hannah lächelte gequält. »Was ist mit Kevin los, er soll unter Drogen gestanden haben?« »Nein, er … er war es nicht. Es war …« Hannah stöhnte. Marie streichelte Hannahs Wange. »Vorsicht, ich könnte beißen.« »Und wenn schon.« Marie lachte. »Ich hab so verdammte Kopfschmerzen ...« »Soll ich jemanden rufen?« »Nein, bleib hier, leg mir einen kalten Lappen auf den Kopf.« Marie ging zum Waschbecken und ließ das Wasser eine Weile laufen. Hannah entspannte sich etwas, als sie ihr den Lappen auf die glühend heiße Stirn legte. Betty kam und gab Hannah eine Injektion. »Das sollte ihr gegen die Schmerzen helfen. Du kannst die Waschschüssel hinten beim Becken ausleeren. Hast du noch etwas Zeit?« Marie nickte und schaute zu Hannah, die ihre Augen geschlossen hielt. »Bleib einfach bei ihr sitzen und rufe mich, wenn die Transfusion durchgelaufen ist.« Marie nickte. Zwei Ärzte betraten das Zimmer. Betty grüßte knapp, bevor sie verschwand. Marie überlegte, was sie den Ärzten sagen sollte, doch die beachteten sie nicht. Sie redeten über Hannah. »Venenruptur nach einem Angriff. Schlüsselbein gebrochen, Schultergelenk links abgerissen. Wir mussten sie volumenmäßig stabilisieren. Das Mädchen hat unglaubliches Glück gehabt. Sobald sie stabil ist, braucht sie eine Schulterprothese. Es wird schwierig, den Arm zu retten.« Er zeigte auf die verfärbte Hand. Der jüngere Arzt nahm einen silbernen Stift und klopfte auf die blauen Finger. »Spüren Sie das?« Hannah, die die Ärzte aus halb geschlossenen Lidern beobachtet hatte, krächzte ein Nein. »Die Nerven sind verletzt. Das kann dauern«, erklärte der Arzt. Beide nickten Hannah zum Abschied zu und verließen den Raum. Marie beachteten sie nicht. Betty kam, bevor die Transfusion ganz durchgelaufen war. »Du musst jetzt gehen, deine Freundin braucht Schlaf.« »Wird sie wieder gesund, mit der Schulter und ihrem Arm?«, fragte Marie, als auf dem Gang vor dem Zimmer standen. »Sie hat verdammtes Glück gehabt, dass sie überhaupt noch lebt, bei dem Blutverlust. Wenn sie sich stabilisiert hat, muss sie noch einmal operiert werden. Ob die Beweglichkeit wieder voll hergestellt werden kann, kann man jetzt noch nicht sagen.«

      Auf der Station ihrer Mutter standen fast alle Türen offen.

      »Wie geht es Hannah?«

      »Betty meint, sie hätte wahnsinnig viel Glück gehabt, bei dem Blutverlust. Sie versuchen den Arm zu retten und dann braucht sie eine Schulterprothese. Was denkst du, wie lange muss sie im Krankenhaus bleiben?«

      »Das kann man nicht sagen. Es wird alles getan, was man für sie tun kann. Nach der zweiten Operation wird sie eine Reha brauchen. Ich rede später mal mit ihrem Arzt.«

       »Danke.«

      »Kannst du bitte den Patienten, die wir entlassen haben, helfen?«

      Lisa schob sie in ein Dreibettzimmer. Die Stimmung darin war gereizt. Eine Patientin weinte, eine andere schimpfte.

      »Diese Frau hat keine Angehörigen, wie soll sie sich versorgen? Es ist eine Schande was hier passiert. Ich sollte eine Herzkatheteruntersuchung bekommen und jetzt behauptet der Arzt es wäre nicht nötig!«

      Die Patientin, die ihre Katheteruntersuchung nun doch nicht bekam, warf einen grimmigen Blick auf Marie und holte einen Koffer aus dem Schrank. »Der ist von Frau Müller. Ihre Sachen sind im rechten Schrank. Die Frau ist völlig hilflos. Sie sollten sich schämen, so mit Patienten umzugehen, Schwester!«

      Sie nahm ihre eigene Tasche und rauschte aus dem Zimmer. Marie setzte Frau Müller, nachdem sie diese angezogen hatte, in den Rollstuhl und wandte sich der jammernden Frau im hinteren Bett zu. Sollte sie die auch anziehen?

      »Leg ihre Sachen neben den Nachtschrank, sie wird gleich abgeholt. Alle Patienten, die weder entlassen noch transportiert werden können, werden auf die Station im Erdgeschoss neben der Ambulanz verlegt. Sie werden dann von dort aus in das nächste Kreiskrankenhaus oder Altenheim gebracht. Diese Station wird jetzt komplett geschlossen.«

       Lisa schaute müde auf die jammernde Frau, bevor sie ihr eine Beruhigungsspritze gab. Marie half das Bett zum Aufzug zu fahren, wo es von einer älteren Schwester entgegengenommen wurde. Dann schob sie Frau Müller im Rollstuhl