Ly Fabian

Infektion


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so ein Verhalten etwa normal?, fragte jemand, der einen Film gepostet hatte, in dem ein Junge, eine Straße entlang schlurfte und plötzlich einen Passanten anfiel. Die Aufnahme war verwackelt, sah jedoch ziemlich echt aus. In der Klinik hatte keiner der Patienten diesen abwesenden leeren Blick gehabt. Sie hatte auch keine Kranken gesehen, die an Lungenpest litten. Es gab einen Impfstoff gegen die Lungenpest, die Produktion lief auf Hochtouren. In den nächsten Wochen sollten, nach dem medizinischen Personal, auch gefährdete Personengruppen geimpft werden.

      Irene saß im Wohnzimmer und schaute einen Liebesfilm. In ihren Händen hielt sie Stricknadeln. Dem Anfang nach würde es einen Pullover geben. Als es klingelte, schaute sie nur kurz auf.

      Marie ging zur Tür.

      »Guten Abend entschuldigt bitte die Störung. Wir fahren morgen ganz früh weg. Zu unserem Sohn, in den Allgäu. Hier ist der Schlüssel, gib ihn bitte deiner Oma, sie weiß schon Bescheid. Wir gießen heute Abend, es langt, wenn sie nächste Woche nach den Blumen schaut. Und habt bitte ein Auge auf die Wohnung, ja?«

      Frau Schneider lächelte und gab ihr ein Schlüsselbund, bevor sie, ohne eine Antwort abzuwarten, zurück in das Obergeschoss eilte.

      Marie brachte den Schlüssel zu Irene, dann ging sie in die Küche.

       »Fahren wir morgen in die Klinik?«, fragte sie Lisa, die mit Katja Kaffee trank.

      »Ja, aber erst gegen Mittag. Bist du sicher, dass du mitkommen möchtest?«

      »Ja.«

      »Gut, wir fahren gegen elf.«

      Marie nickte und zog sich in ihr Zimmer zurück.

      Samstag

      Marie wachte gegen vier Uhr morgens auf. Geräusche kamen von der Straße.

      Sie schlich zum Fenster und sah Herrn Schneider seinen Golf beladen. Das Gepäck war sehr umfangreich für einen Kurztrip. Frau Maier stand im Bademantel neben Frau Schneider und redete auf sie ein. Eine Autotür wurde zugeschlagen.

      Sie kroch zurück in ihr Bett und schlief gleich darauf fest ein. Erst als ihre Oma sie zum Frühstück rief, schälte sie sich müde aus den Kissen.

      »Gut geschlafen?«

      »Ich bin nachts wach geworden, als Schneiders gefahren sind.«

      Sie duschte und ging in die Küche, in der Katja, Lisa und Irene beim Kaffee saßen.

      Marie nahm sich ein Brötchen und setzte sich dazu. Irene schenkte ihr eine Tasse Tee ein und entschuldigte sich, um nach Frau Maier zu schauen.

      »Deine Mutter mag mich nicht«, stellte Katja fest und schenkte sich Kaffee nach.

      »Nein, sie ist nur mit der Situation überfordert. Hast du alles, was du brauchst? Soll ich noch etwas aus der Klinik mitbringen?«

      »Nein, das ist zu gefährlich. Wir müssen erst einmal abwarten.«

      Lisa nickte. Marie nahm sich eine zweite Tasse Tee aus der Kanne und fragte Lisa, wann sie fahren würden.

      »Deine Oma möchte nicht, dass du noch einmal mitkommst. Ehrlich gesagt fände ich es auch besser, wenn du hier bleibst.«

      »Ich habe extra für Hannah Musik zusammengestellt. Du hast versprochen, dass ich mitkommen darf!«

      Marie blinzelte ihre Tränen weg. Lisa schaute hilflos zu Katja, die nur mit den Schultern zuckte.

      »Du hältst dich genau an meine Anweisungen. Wenn ich sage, dass wir nach Hause fahren, fahren wir. Auch wenn Hannah gern noch Gesellschaft hätte, ist das klar? Ich habe von zwölf bis neunzehn Uhr Dienst und werde keine Überstunden machen, egal was passiert.«

      »Es wird erst am Montag kritisch, wenn die Klinik komplett geschlossen wird«, warf Katja ein. »Ich habe die Pläne gesehen.«

      Marie ging in ihr Zimmer und packte nach kurzem Nachdenken T-Shirts und ihren neuen Jogginganzug in den Rucksack. Wenn Hannah verlegt wurde, würde sie nach der Operation froh sein, nicht nur Krankenhausklamotten tragen zu müssen.

      »Hannahs Mutter kann ihr doch Sachen bringen«, meinte Lisa, als Marie den Rucksack anschleppte.

      »Das ist doch nur für den Notfall, falls sie etwas vergisst.«

      »Du bist lieb«, lobte Katja. »Pack ihr noch einen Schlafanzug und Kosmetik ein. Wenn sie verlegt wird, kann sie es brauchen.«

      Marie nickte. Sie steckte einen großen Plastikbeutel dazu, damit sie die Sachen für Hannah in der Klinik umfüllen konnte.

      Irene umarmte sie zum Abschied, sie bemühte sich, ihre Tränen zurückzuhalten.

      »Keine Sorge Mama, wir sind heute Abend wieder zurück«, beruhigte Lisa ihre Mutter. »Nur noch die drei Tage und dann habe ich erst einmal eine Woche frei. Da die Klinik bis dahin leer ist, wird das auch so bleiben.«

      »Sie werden dich beim Katastrophenschutz einsetzen oder du wirst in eine andere Klinik verpflichtet. Ich weiß doch, wie das läuft.« Irene strich Lisa über die Wange. »Pass auf dich auf Kind und pass auf meine Enkelin auf.«

      Lisa küsste Katja zum Abschied. Frau Maier stand hinter der Gardine ihres Fensters und beobachtete sie, während sie in das Auto einstiegen.

      Bevor Lisa startete, wandte sie sich zu Marie. »Hör zu, es ist ganz wichtig, dass niemand im Krankenhaus erfährt, dass Katja bei uns ist. Wir haben sie nach Hause gefahren, das ist alles, was du weißt. Egal wer fragt.«

      »Wieso das denn?«, wunderte sich Marie.

      »Katja hat heute frei, aber morgen soll sie zum Dienst erscheinen. Sie werden sie vielleicht suchen, vielleicht denken sie auch, dass sie sich abgesetzt hat. Ich kann dir jetzt nicht alles erklären, aber glaub mir, sie hat ihre Gründe. Du darfst auch keinem etwas von den Kisten sagen, die wir gestern aus der Klinik gebracht haben. Oder hast du schon jemandem davon erzählt?«

      Marie hatte die Kisten ganz vergessen. »Nein, wem denn?«

      »Du darfst auch Betty nichts sagen. Weder von Katja, noch von den Kisten.«

      »Für was hältst du mich?«

      Marie schaute aus dem Fenster. In der Gegenrichtung gab es einen Stau.

      »Was war eigentlich in den Kisten?«

      »Die hat Katja gepackt, ich weiß auch nicht alles.«

      Inzwischen waren sie bei dem Klinikgelände angelangt. Die Schranke war unten.

      »Na toll! Der Parkplatz ist geschlossen, wir müssen hier draußen parken.«

      Lisa quetschte das Auto hinter die Mauer, die den Krankenhausgarten umgab. Es war der einzige freie Platz, den sie finden konnten.

       »Siehst du das?« Marie zeigte auf die Wagen vor ihnen. Bei jedem Zweiten waren die Reifen platt gestochen.

      »Wer macht denn so einen Scheiß?«

      »Deshalb parke ich nicht gern hier.« Lisa schlug ihren Mantelkragen hoch. »Über Nacht würde ich das Auto hier niemals stehen lassen.«

      Marie nahm ihren Rucksack aus dem Kofferraum. Am Eingang zeigten sie ihre Scheine vor. Ein Soldat winkte sie durch, ohne zu kontrollieren. Vor der Klinik standen zwei Krankenwagen neben Armeelastern.

      »Du kommst erst mit mir«, raunte Lisa ihrer Tochter zu, als sie mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock fuhren. Die Station war wie leergefegt. Auf dem Gang standen Betten.

       »Sie scheinen die restlichen Patienten schon evakuiert zu haben«, überlegte Marie.

      Die Tür vom Arztzimmer öffnete sich.

      »Gut, dass Sie hier sind, Schwester Lisa. Es gibt eine Planänderung. Das Krankenhaus soll für eine Notfallunterbringung vorbereitet werden. Das heißt, alle Zimmer müssen gereinigt und Betten vorbereitet werden.«

      »Die wollen hier Flüchtlinge unterbringen?«

      »Wir müssen damit rechnen, kurzfristig Personen aufzunehmen, die evakuiert wurden. Schulen, Altenheime. Wen wissen wir jetzt