Daniel Lehmann

Corona


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      „Ist schon in Ordnung. Es ist mehr als 30 Jahre her.“

      „Weiß man denn, wer den Fluchtversuch verraten hat?“

      „Nein, die Akte ist immer noch stark geschwärzt. Jemand hat der Grenzpolizei einen Tipp gegeben. Ich denke, eines Tages werde ich erfahren, was passiert ist.“

      Nach der Führung, im Gefängnishof.

      „Sag mal Julius, hast Du eigentlich Deine Telefonnummer gewechselt?“

      „Schon vor einer Weile, warum?“

      „Ich hatte Dir zu Deinem Geburtstag gratuliert. Also ich hatte es zumindest versucht, aber die Nachricht konnte nicht zugestellt werden.“

      „Ich habe vor ein paar Jahren mein Handy verloren.“

      „Du hättest doch die alte Nummer portieren lassen können.“

      „Ja hätte ich. Aber Du kennst mich doch. Für solche Sachen warst Du immer zuständig.“

      „Stimmt.“

      Wir lächeln uns an.

      „Warte, ich rufe Dich an, Daniel. Dann hast Du meine neue Nummer.“

      „Ok, was wartest Du?“

      „Mist, ich hatte geglaubt, ich könnte Deine Nummer noch.“

      „0176…“

      „Und dann Dein Geburtstag und dann mein Geburtstag. Richtig?“ „Umgekehrt.“

      Klingeln.

      „So, jetzt hast Du meine Nummer, Daniel. Übrigens, alles Gute nachträglich.“

      „Dir auch, Julius.“

      Die Umarmung fühlt sich etwas holprig an. Aber schön.

      „Ich hoffe, es war Ok, dass ich mit meinen Schülern hier war?“

      „Ja, die sind nett.“

      Kurzes Schweigen.

      „Du natürlich auch.“

      „Zu Beginn sahst Du nicht sehr begeistert aus, als Du mich gesehen hast.“

      „Aber nur, weil ich mich erschrocken habe und mir der Gedanke unangenehm war, dass Du mich bei der Arbeit siehst. Es ist, wie mit dem Klavierspielen damals, als wir zusammen am Checkpoint Charlie gewohnt haben. Ein Stück lief super, bis Du wolltest, dass ich es ohne Kopfhörer spiele, damit Du zuhören kannst. Dann habe ich mich immer verspielt.“

      „Heute war alles super.“

      „Ja, heute schon. Gute Rückreise nach Weinheim morgen.“

      Julius geht. Steffi nähert sich.

      „Das war also der berühmte Julius von Witzleben.“

      „Ja.“

      „Schöner Mann. Bisschen jung vielleicht.“

      „Na hör mal, er ist gerade drei Jahre jünger.“

      „Hmh, hat wohl ne bessere Faltencreme.“

      „Wie fies. Ne, ich glaube, er sieht jünger aus, weil er so schlank ist.“

      „Vielleicht. Und heute gehen wir in die Schwule Szene, in dieses Roses, wenn die Kinder schlafen?“

      „Ja, wenn Du magst.“

      „Kannst Dir ja noch jemanden aufreißen…“

      „Mit den Kindern im Hotel? Bestimmt nicht! Und ich habe doch jemanden in Frankfurt.“

      „Stimmt. Aber geht es denn da so leicht? Ich meine, wie man sich das immer so vorstellt bei Schwulen?“

      „Weiß nicht so.“

      „Komm. Erzähl mal, nie jemanden abgeschleppt im Roses?“

      „Steffi, doch nicht jetzt. Wenn die Kinder das hören. Und außerdem bin ich nicht so besonders stolz drauf. Sagen wir mal so, es gab da eine zeitliche Überschneidung.“

      „Oh, die dunklen Geheimnisse des sauberen Herrn Lehmann kommen an die Oberfläche.“

      „Sei still, oder ich schlag Dich.“

       Julius

      „Na, ich hoffe es schmeckt Dir.“

      „Ja, toll, Thekla.“

      „Du hast doch noch gar nicht probiert, Julius.“

      „Ich weiß doch, wie es schmeckt.“

      „Du, nachher gehen wir mal runter in den Keller. Ich habe doch so einen Matratzentopper im ALDI für Dein altes Schlafsofa gekauft. Den habe ich aber nicht hochgewuchtet bekommen und deshalb in den Keller gestellt. Wenn wir gegessen haben, gehen wir runter, dann kannst Du ihn hochtragen. Ist bestimmt viel bequemer dann für Dich.“

      „Du, den finde ich schon allein. Du musst mit Deinen Krücken ja nicht in den Keller humpeln.“

      „Wäre aber ne gute Übung für mich. Aber vielleicht hast Du Recht. Heute bin ich doch etwas müde.“

      Ein Stockwerk tiefer. Im Keller.

      Gut, dass Thekla selber nichts aufhebt. In ihrem Keller stehen nur meine Sachen. Die, die mein Vater hergebracht hat, nachdem er einverstanden war, dass ich zur ihr ziehe und die ich nicht im Zimmer haben wollte. Da war ich 16. Dann die Sachen, die ich eingelagert hatte, als ich mich von Daniel getrennt hatte, da war ich 30, und die Sachen, die ich vor ein paar Wochen hier reingeräumt habe, nachdem ich wohnungslos geworden bin. Mit 39. Ganz großartig. Ich habe wirklich und definitiv was falsch gemacht. Ah, da hinten ist ja der Topper. Gut, er ist noch zu einer Wurst zusammengeschweißt. Den kriege ich leicht nach oben.

      Zurück in der Wohnung.

      „Bestimmt ganz schön schwer das Ding, Julius?“

      „Ne, für mich nicht. Aber wie hast Du das Ding aus der Ladenstraße hierher gekriegt?“

      „Na pass auf. Ich habe den Einkaufswagen aus der Ladenstraße bis vor die Tür gerollt. Das ging eigentlich ganz gut. Nur das meine Hände etwas wehtaten, wegen dem Kopfsteinpflaster. Das hat so gerüttelt. Ja, und dann habe ich es in den Keller runtergewuchtet.“

      „Du bist echt ein Original. Sag mal, wäscht da schon die Wäsche?“

      „Ja, ich hab schon mal eine Ladung gemacht. Deinen Laptop habe ich in Dein Zimmer gebracht.“

      Scheiße, der Laptop. Ich war heute früh doch noch bei gayromeo. Na egal, wahrscheinlich war ich aus dem schwulen Datingportal schon von selber ausgeloggt.

      „Du, Julius, ich wäre Dir aber sehr dankbar, wenn Du die Wäsche nachher auf dem Wäscheboden aufhängen könntest. Ich gehe schon mal schlafen. Bin doch ganz schön groggy.“

      „Siehst Du, doch gut, dass ich da bin.“

      „Ich find‘s immer gut, wenn Du da bist.“

      „Morgen früh werde ich einmal um den Schlachtensee joggen gehen. Sollen wir dann noch zusammen frühstücken? Dann habe ich meine Flüchtlinge und gegen Abend werde ich wieder nach Hohenschönhausen ins Gefängnis fahren.“

      „Gerne. Brauchst wie immer nicht leise zu sein. Wenn ich schlafe, schlafe ich.“

       Montag, 10. April 1939

       Es ist wie ein Wunder. Heute holte mich der sudetendeutsche SS-Mann aus der Baracke und meinte, ich solle mitkommen. Ich dachte schon, ich würde eine erneute Erniedrigung über mich ergehen lassen müssen. Wir liefen durch das Lager zum Kommandanten, an einer Gruppe von Häftlingen, mit einem rosa Winkel an der Jacke, vorbei. Ich wusste nicht, wie mir geschah, denn auf einmal war ich frei. Herr von Witzleben holte mich ab. Eben noch in der Hölle, dann auf einmal im Mercedes. Surreal. Wir fahren zu seiner Villa nach Wannsee. Frau von Witzleben, sie ist Ärztin, hat sich um meinen