J. H. Vogel

Kains Geständnis


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Stimme aus meinen Gedanken. Ein schwarzer Sportwagen steht in zweiter Reihe auf der Straße, der Warnblinker ist eingeschaltet. Ein großer Mann, ich schätze ihn auf Mitte bis Ende dreißig, steht lässig daneben und winkt mit einem Stadtplan.

      Ich sehe mich um. Außer mir ist niemand zu sehen, ich bin gemeint. »Hat Ihr Schlitten denn kein Navi?«, platze ich ungewohnt schlagfertig heraus und trete einen kleinen Schritt heran.

      Aber der Mann grinst nur und blickt mich durch seine schwarze Sonnenbrille hindurch schweigend an.

      Niemals zu dicht an fremde Autos herangehen! Das habe ich schon im Kindergarten gelernt. Wie böse Männer wehrlose Mädchen ins Auto ziehen, kann man immer wieder in Aktenzeichen XY sehen. Ich zögere daher, noch näherzutreten.

      Der Fremde scheint meinte Bedenken zu erraten. »Ich bin kein Triebtäter, ich frage nur nach dem Weg«, bemerkt er trocken und faltet den Plan auseinander. Das Auto hat ein Schweizer Kennzeichen. Er kennt sich, wie es scheint, in München tatsächlich nicht aus.

      Ich stelle mich neben die flache Motorhaube des Autos. Bisher habe ich so ein ungewöhnliches Exemplar noch nicht aus der Nähe gesehen, sondern nur in Autozeitungen. Es ist ein Mercedes SLR. Ich bewundere unverhohlen den Wagen und aus den Augenwinkeln auch den Mann, der ihn fährt.

      Er sieht, ohne Übertreibung, fantastisch aus! Ein bisschen wie James Dean, nur größer, kantiger und mit dunklen Haaren. Riechen tut er auch gut. Ich schnappe unwillkürlich nach Luft, als ich sein Parfüm wahrnehme. Es kommt mir bekannt vor und riecht doch anders als alle Düfte, die es bei Douglas zu kaufen gibt. Darin bin ich Expertin. Ich habe einmal in den Semesterferien in einer Parfümerie gejobbt.

      Es dauert ein paar Sekunden, bis ich mich wieder gesammelt habe und stammeln kann:

      »Wo wollen Sie denn hin?«

      »Wo sollte ich denn hin wollen?« Mit seiner Gegenfrage verwirrt er mich völlig.

      »Wie, ähm … Sie haben mich doch gefragt, ob ich Ihnen den Weg zeigen kann!«

      Er grinst. »Nun, ich habe ihn mittlerweile schon alleine gefunden.« Er deutet auf eine Stelle im Stadtplan. »Sie hingegen scheinen mir etwas orientierungslos zu sein. Darf ich Sie mitnehmen? Sozusagen als Dankeschön für das Angebot, mir zu helfen?«

      Jetzt sehe ich mich vor meinem geistigen Auge tatsächlich gefesselt und geknebelt im Kofferraum seines Autos. Ich schüttele vehement den Kopf.

      »Glauben Sie mir, für eine Entführung ist der Kofferraum nicht geeignet.«

      Wieder errät der Kerl meine Gedanken. Ich fühle mich ertappt und erröte.

      »Ich wohne um die Ecke«, flunkere ich halbherzig.

      »Dann machen Sie mir die Freude, mich zu begleiten! Ich bin auf dem Weg zu einer Veranstaltung und kenne dort niemanden. Sie würden ein weiteres gutes Werk tun!«

      »Mich kennen Sie doch auch nicht. Und für so etwas, was sie meinen, gibt es gewisse Agenturen!«

      Der Mann lächelt nur, tritt zur Seite und öffnet die Beifahrertür. Sieht schick aus, wie die Tür aufschwingt.

      »Bitteschön.« Der mysteriöse Fremde kennt wohl kein Nein.

      Ich bin hin und her gerissen. Aber ein gutes Mädchen steigt nicht in das Auto eines Fremden. Nie! Und überhaupt, ich habe eine, hoffentlich rettende, Idee:

      »Ich bin kaum richtig angezogen für eine offizielle Veranstaltung.« Ich streiche verlegen über mein flattriges, weißes Sommerkleid. Sicher hat es auch Flecken von der Wiese im Park.

      »Sie sehen perfekt aus!«, lautet die entwaffnende Antwort.

      Jetzt werde ich bestimmt rot wie eine Tomate, meine Wangen brennen. Ich protestiere nicht weiter, als er mir meine peinliche Jutetasche aus der Hand nimmt und sie schwungvoll in den Kofferraum wirft. Viel mehr Platz als für die Tasche ist darin tatsächlich nicht. Die Gefahr, gefesselt und geknebelt dort reingestopft zu werden, ist also eher gering.

      Ich lasse mich auf den bequemen Ledersitz sinken und die Wagentür schließt sich. Nie kann ich Nein sagen, denke ich, wütend auf mich selbst. Falls mir heute Abend etwas zustößt, bin ich ganz allein daran schuld!

      »Ich werde gut auf sie aufpassen«, verspricht mein unbekannter Begleiter und startet den Motor.

      Der Motor ist laut und der schöne Mann am Steuer scheint nicht die Absicht zu haben, mit mir Konversation zu treiben. Zügig lenkt er seinen Luxuswagen durch den Münchner Feierabendverkehr. Ich entspanne mich allmählich und fühle mich überlegen wie eine Prinzessin in ihrer Prachtkutsche, als wir durch die belebte Leopoldstraße fahren. Das Auto, der Fahrer und ich als Beifahrerin fallen auf.

      Die Fahrt dauert leider nicht lange. Wir halten vor der Absperrung des amerikanischen Konsulats.

      Ich bin erneut sprachlos.

      »Sie haben doch einen Ausweis dabei?«, werde ich von meinem Fahrer gefragt.

      Als ich nicke, springt er aus dem Wagen und holt aus meiner Tasche meinen Geldbeutel. Ungeniert sucht er sich den Ausweis heraus und liest laut: »Kimberly McCarter, geboren am 21. März 1992 in München. Sind Ihre Vorfahren Iren?« Er zwinkert mir zu. Ohne auf meine Antwort zu warten, reicht er meinen Ausweis zusammen mit einem Dokument an den Pförtner der Botschaft weiter.

      Der öffnet ohne weitere Fragen den Schlagbaum und lässt uns passieren. Und ich dachte immer, die Kontrollen wären hier viel strenger.

      Von innen ist das Gelände größer, als es von außen den Anschein hat. Aber ich war auch noch nie auf dem Botschaftsgelände. Mein Begleiter, der nun meinen Namen kennt, hält beim Parkservice, den man für den Event – welchen auch immer – eingerichtet hat. Geschmeidig steigt er aus dem Auto, um mir die Tür aufzuhalten.

      Es scheint ein Empfang zu sein. Überall stehen elegant gekleidete Frauen mit teuren Frisuren. Ich wünschte, ich hätte hohe Schuhe an und nicht meine ausgelatschten Chucks. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch mein Begleiter einen Anzug trägt, nun auch noch eine Fliege aus seiner Tasche zieht und sich diese im Gehen umbindet. Ich bin hier absolut underdressed! Worauf habe ich mich nur eingelassen?

      Wir erreichen den Festsaal.

      »Keine Sorge, die Leute sehen nur mich an«, werde ich aus meinen Überlegungen gerissen.

      Wie überheblich ist der denn? Aber es stimmt. Zumindest alle Frauen starren ihn an, als ob er ein Gott wäre. Und ich tue es auch.

      Nun wird mir ein Champagnerglas in die Hand gedrückt, und mein Begleiter lässt sein Glas dagegen klirren. »Auf dich, Kimberly!«, prostet er mir zu. »Ich bin Kain.«

      Kain heißt er also. Mehr erfahre ich nicht über ihn. Den ganzen Abend reden wir nur über mich. Was ich mache, was ich mag, was für Ziele ich habe. Ich komme mir vor wie im Kreuzverhör.

      Am Anfang versuche ich noch, geheimnisvoll zu tun und nicht gleich wieder alles von mir preiszugeben, aber nach drei Gläsern Champagner auf nüchternen Magen gelingt mir das nicht mehr so gut wie geplant. Ich war ohnehin nie besonders gut darin, Pläne auszuführen.

      Also erzähle ich von meinem Wunsch nach einem gerechten Rechtssystem in unserem Land, dem Wunsch nach einem Heilmittel für Krebs und einer Liebe fürs Leben.

      Ich bin sicher, mein Monolog macht mich nicht besonders attraktiv, aber immerhin beachtet der schöne Kain die eleganten Frauen in den Abendroben um uns herum nicht. Er beachtet – oder, wie mir manchmal scheint, er beobachtet – nur mich.

      Nach dem vierten Glas des edlen Tropfens merke ich selbst, wie ich undeutlicher rede und außerdem dreht sich alles um mich herum.

      »Komm mit«, sagt Kain unvermittelt und streckt seine Hand aus. Da mir schwindelig ist, ziere ich mich nicht lange und lege meine Hand in seine.

      Ich spüre es sofort. Wie ein Stromschlag erfasst es mich. Zum letzten Mal ist mir das passiert, als ich an einen Koppelzaun gefasst habe. Da war ich noch ein Kind. Ein Zucken läuft durch meine Hand und