Andreas Seifarth

Wie ich 1000 Dinge von Oma online verkaufte und was ich dabei erlebte


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Unverschämtheit, die sie bis zum Schluss nie vergessen konnte.

      Omas Lebensgeschichte aber war hochinteressant. Hatte sie doch einige Arbeitsstellen in ihrem Leben gehabt. Gefiel ihr etwas nicht, kündigte sie einfach und suchte sich was Neues. Bis auf ihre letzte Stelle im Krankenhaus. Hier war sie sich nach Arbeitsbeginn sicher, höchstens 3 Monate durchzu- halten. Daraus wurden dann 16 Jahre. Jeden Morgen quälte sie sich auf die Arbeit und hoffte auf der Hinfahrt im Bus, schon wieder auf dem Heimweg zu sein. Auch diese Geschichte erzählte Oma jede Woche. Oder daß man ihr im kleinen Tante Emma Laden im Ort 1985 beim Einkauf 10 DM zu wenig heraus gegeben hatte an der Kasse. Der Ladenbesitzer wollte ihr diese nicht mehr geben und so fühlte sie sich von ihm betrogen und ungerecht behandelt. Mit Sicherheit zurecht, aber ich kann es bis heute nicht verstehen, wie sie sich darüber so viele Jahre später noch aufregen konnte. Aber so war Oma. Diese Dinge konnte sie sich ein Leben lang behalten und nie vergessen.

      Die für mich schönste Geschichte ist und bleibt das Kennenlernen von Oma und Opa 1965. Mein Opa war Witwer und mit seinen 2 Kindern mehr als überfordert. Ein Freund von ihm befand, er müsse wieder eine Frau an seiner Seite haben und gab eine Kontaktanzeige in einer Illustrierten auf. Diese wurde in ganz Deutschland verkauft und meine Oma meldete sich daraufhin.

      Sie wohnte zwar mehrere Hundert Kilometer am Bodensee entfernt, aber dies war kein Hindernis. Da mein Opa kein guter Schreiber war, musste mein Vater die Briefe beantworten. Meine Oma wunderte sich immer, warum die Briefe in einer Kinderschrift geschrieben waren. Nach mehreren Briefen beschloss man, sich einmal zu treffen. Meine Oma reiste also für ein Wochenende zu meinem Opa. Am Bahnhof angekommen, war sie sich dann doch nicht mehr so ganz sicher und versteckte sich erst mal auf dem Gleis hinter einem Pfosten. Sie erzählte mir dann, dass mein Opa mit Blumen in der Hand hektisch auf dem Bahnsteig auf und ab lief. Er suchte verzweifelt nach ihr. Als er schon aufgeben wollte und zurück zum Auto lief, gab sich meine Oma dann zu erkennen. Dies geschah am Freitag. Sonntags dann beschlossen sie zu heiraten. Der Hauptgrund für meine Oma war ein ganz banaler. Eines der Kinder hatte eine kaputte Jacke gehabt. Da mein Opa nicht viel Geld hatte, versuchte er das Loch notdürftig zu flicken. Dies entdeckte meine Oma und war ganz fasziniert davon. Für mich war dies total unverständlich, aber für meine Oma ein wichtiger Grund. Denn für sie war es wichtig zu sehen, dass mein Opa Wert legte auf ordentliche Kleidung und Aussehen in der Öffentlichkeit. Und so kam es, dass die Beiden ein paar Monate später heirateten und fast 35 Jahre glücklich zusammen waren. Oma konnte diese Geschichte immer mit so viel Herz und Gefühl erzählen. Das konnte einen so berühren. Mein Opa konnte immer wieder zu Lebzeiten von meiner Oma schwärmen und sagte dann „meine liebe gute Elli würde ich immer wieder heiraten“. Daraufhin antwortete meine Oma im Spaß „frag mich mal“. Aber auch sie hätte es vermutlich immer wieder getan.

      Nun aber wieder zu Omas Tagesablauf. Ihr Tag war immer genau durch- strukturiert. Das wurde mir erst richtig bewusst, als sie durch einen Sturz sich das Handgelenk brach. Da sie keinen Pflegedienst haben wollte, wurde ich dafür von ihr gebeten. Nach dem täglichen Aufstehen um 7:30 Uhr, war Waschen und Anziehen angesagt. Oma kam immer im Bademantel ins Bad. Das Waschen machte ich und es fiel mir sehr schwer. Oma überspielte die Situation und bemerkte immer, sie würde sich nun im „Adamskostüm“ befinden. So sollte mir ihr nackter Zustand nicht so bewusst sein. Das Frühstück gab es dann um 8:30 Uhr. Immer ein Sonnenblumenbrötchen in 6 Scheiben geschnitten. 3 x mit Butter und Salz, die anderen 3 Scheiben mit bitterer Orangen-Marmelade. Mir gelang das nicht immer. Wenn ich es beim Schneiden auf nur 5 Scheiben brachte, stand ich kurz vor der Abmahnung! Dazu Filter-Kaffee (Omas Blümchen-Kaffee, da er nie sehr stark sein durfte), der mit der Glaskanne auf dem Stövchen (Rechaud) warm gehalten wurde.

      Wenn ich mit ihr zusammen Kaffee trank, musste ich auch hier eine Regel einhalten. Der Löffel zum umrühren für die Milch durfte nicht in der Tasse stehen bleiben. Sie regte sich unheimlich über Menschen auf, die ihre Tasse tranken und den Löffel dabei in der Tasse ließen. Ich machte das dann manchmal extra und bekam dann sofort eine Ermahnung. Nach dem Frühstück wurde Zeitung gelesen und das Kreuzworträtsel angefangen. Einkaufen beim Metzger im Ort, vorher aber noch die Betten machen. Denn man verlässt nie das Haus, ohne dies zu tun. Oma war äußerst diszipliniert in allen Dingen. Um 12:00 Uhr war die „Muße-Stunde“! Dann wurde ein Piccolo geöffnet, gemischt mit Grapefruitsaft aus der Glasflasche (diesen gibt es heute kaum noch) und dabei gerätselt. In der Zeit durfte man nicht stören und sie war erst wieder gegen 12:20 Uhr ansprechbar. Nach dem Mittagessen war Ruhepause angesagt. Zwischen 14-16:00 Uhr durfte nie gestört werden. Denn da wurde sich hingelegt.

      Am Abend dann machte Oma ihre selber erfundene „Beschließer-Runde“! Dann wurden alle Türen und Fenster von ihr kontrolliert. Alles musste gut verschlossen sein, damit kein möglicher Einbruch stattfinden konnte. Oma hatte in den letzten Jahren immer sehr große Angst davor. An Tagen, an denen ich nicht zu Hause war, ging es ihr immer schlecht. Besonders schlimm war es für sie, wenn ich im Urlaub war. Obwohl sie mich immer unterstützte! Ich bekam ein kleines Urlaubsgeld von ihr, um meine Träume zu erfüllen. Ohne sie wäre ich wohl nie in Peru, Kambodscha, auf dem Kilimandscharo oder auf dem Jakobsweg gewesen. Es war ihr immer wichtig, dass ich reisen konnte. Denn sie zehrte ihr ganzen Leben von ihren Erlebnissen in England und der Schweiz. Ihrer Meinung nach sollte man dies in jungen Jahren machen. Wenn man noch gesund ist und dies genießen kann. Um aber auf die „Beschließer-Runde“ zurückzukommen. Wenn ich abends zu Hause war, kam Oma immer noch mal zu mir, um „Gute Nacht“ zu wünschen. Es wurde sich kurz auf mein Sofa gesetzt und ich bekam noch eine kleine Story aus ihrem Leben erzählt. Da half es auch nicht, wenn man diese schon kannte und dies ihr erklärte. Es wurde einfach weiter geredet.

      Für Oma war auch „Pünktlichkeit“ ein oberstes Gebot. Wollten wir beispielsweise um 10:00 Uhr losfahren zum Einkaufen, stand sie um 9:50 Uhr auf dem Hof und patrouillierte diesen hoch und runter. Ich habe des Öfteren sie aus dem Fenster beobachtet und immer wieder schmunzeln müssen. Was würde ich heute dafür geben, wenn ich diese Zeit noch einmal zurück spulen könnte. Zu den genialsten Einkäufen zählte der Besuch im Baumarkt. Dort wollte sie sich unbedingt ein Beil kaufen. Warum, konnte oder wollte sie mir nicht erklären. Mit dem Beil in der Hand habe ich sie dann sofort im Baumarkt noch fotografieren müssen. Denn ihr Gesicht war so voller Freude. Unbeschreiblich. Ich habe dann das Bild auf dem Computer mit einem Bearbeitungsprogramm ein wenig verändert. Einen düsteren Wald als Hintergrund genommen und das Symbol von „Aktenzeichen XY ungelöst“ mit auf das Foto gesetzt. Diese habe ich dann ausdrucken lassen und an ihre Haustür geklebt. Als Oma das Foto entdeckte, musste sie so herzlich lachen. Konnte sich aber gar nicht mehr daran erinnern, in diesem düsteren Wald gewesen zu sein.

      Eine Anekdote muss ich hier aber noch auf jeden Fall erzählen. Diese Geschichte konnte mich jedes Mal vom Stuhl hauen vor Lachen. Diese handelt davon, als meine Oma mit ihrer Schwester Ilse und der Freundin Else zum Tanztee gingen in den 1930 er Jahren. Else Hanschmann meinte es gut und wollte Omas Schwester nur warnen vor den Männern. Und so kam es zu folgender Aussage: „ Ilse, wenn einer Herren dich anspricht und möchte mit dir nach draußen gehen. Mach das nicht, der will dich nur prüfen“! Das Wort „Verführen“ durfte damals noch nicht gesagt werden. Das Wort „Prüfen“ fanden wir aber so lustig und mussten immer wieder bei der Erzählung von Oma lachen. Gerade jetzt beim Schreiben habe ich auch wieder ein breites Grinsen im Gesicht. Ach wie liebe ich diese Geschichten!

      Diese ganzen Episoden wiederholtes sich täglich bis zum Freitag, den 30. Oktober 2015. An diesem Tag veränderte sich für mich alles bisher so routine- mäßig gewordene schlagartig von der einen auf die andere Minute. Wie ein Blitz schlug es auf mich ein, als ich von meinem Bruder auf der Arbeit angerufen wurde. Es war so gegen 10:00 Uhr. Er berichtete mir, dass Oma beim Bäcker ganz plötzlich umgefallen sei. Der Notarzt und der Rettungshubschrauber kamen und sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Schnell machte ich mich auf den Weg. Leider habe ich 80 KM von meiner Arbeit bis nach Hause. So brauchte ich über eine Stunde, kam auch noch in einen Stau. Als ich gegen 12:00 Uhr die Wohnung meines Bruders erreichte, war es schon zu spät. Seine Freundin stand weinend an der Haustür.

      Oma war an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben. Wir fuhren dann zusammen ins Krankenhaus, konnten es doch gar nicht glauben. Erst, als wir sie dort liegen sahen, wurde mir persönlich bewusst, was passiert war.

      Oma