Daniel Beuthner

Der magische Met


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Fuß, biss die Zähne zusammen und ging mühsam lächelnd im Zimmer auf und ab. „Sehen Sie, ich kann schon wieder laufen. Es tut gar nicht mehr weh. Bitte führen Sie mich hin. Ich laufe auch bestimmt nicht weg und es kann gar nichts passieren.“

      Unruhig wippte der Alte in seinem Sessel hin und her.

      „Na gut“, sagte er schließlich „komm!“

      Er stand auf, nahm Hut und Mantel und öffnete die Tür. Jens ging hindurch und bevor der Förster die Türe hinter sich zuzog, nahm er noch sein Gewehr von der Wand und schulterte es. Für einen kurzen Moment dachte Jens daran, was sich die Leute erzählten, doch dann schüttelte er sich, wie als wolle er den Gedanken von sich abwerfen und blickte fragend auf seinen Führer. „Da lang“, brummte dieser und deutete auf einen schmalen Pfad, der ins dichte Grün des Waldes führte.

      Etwa eine Viertelstunde gingen die beiden zwischen Nadelbäumen her, die einander so ähnelten, dass sich jeder Fremde hätte unweigerlich verirren müssen. Dann auf einmal tat sich vor ihnen eine lichte Stelle auf, die von den urwüchsigsten Bäumen bewohnt war, die Jens je gesehen hatte.

      Alles hatte eine sehr melancholische Ausstrahlung. Der lockende Duft des Waldes war hier konzentriert. Wie Räucherstäbchen benebelte er die Sinne. Bewegten sich die Bäume etwa? Da waren große Kiefern zu sehen, um die sich mächtige Eichen wie Efeu wanden. Überhaupt waren viele Stämme zu einer Art Symbiose verwachsen, so dass man gar nicht erkennen konnte, um welche Sorte es sich ursprünglich handelte. Breite graue Buchen standen dabei, deren Wurzeln hier und da völlig verbogen aus der Erde ragten, so dass man in ihnen tatsächlich allerlei Gnome hätte sehen können. Ein Baum aber, er stand etwa in der Mitte des Gebietes, war am sonderbarsten. Sein mächtiger Stamm ging ungefähr anderthalb Meter in die Höhe. Hier teilte er sich in zwei gleichstarke Stämme auf, von denen der eine links- und der andere rechtsherum im Bogen nach oben wuchs, bis sie sich wieder trafen und zum Hauptstamm vereinigten. Der Baum sah aus wie ein riesiges verbogenes Nadelöhr. Jens war begeistert. Da wollte er unbedingt hinauf. Die Schmerzen in seinem Fuß waren nun völlig vergessen. Schon kletterte er ins Nadelöhr. Er saß in der Öffnung wie auf einer Schaukel. Mit beiden Armen hielt er sich rechts und links an den Stämmen fest und ließ seine Füße baumeln. „Sei vorsichtig!“, ermahnte ihn sein Begleiter, doch Jens war übermütig. Er stellte sich nun aufrecht in den Baum und ließ die Hände los. Er winkte dem Alten zu, als wolle er sagen: Siehst Du, es kann ja gar nichts passieren! In diesem Moment musste er den angestauchten Fuß unglücklich belastet haben. Er geriet ins Straucheln, versuchte sich noch festzuhalten, aber es war zu spät. Rückwärts stürzte er durch das Nadelöhr zu Boden. Als er aufschlug, verlor er das Bewusstsein.

      Als Jens wieder zu sich kam, war es stockfinster. Der süßliche Geruch feuchten Laubes kroch über seinen Körper. Nur langsam gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit. Doch bald erkannte er schemenhaft seine Umgebung. „Kann es sein?“, dachte er sich, „hat mich der Alte wirklich einfach hier liegengelassen?“ Und tatsächlich: Jens befand sich noch immer an der Unglücksstelle. Als er überlegte, wie er wohl wieder aus dem Wald fände, raschelte in seiner unmittelbaren Umgebung etwas im Gebüsch. Erschrocken fuhr er auf.

      „Wer ist da?“, rief er. Es kam keine Antwort.

      „Vielleicht nur ein Eichhörnchen“, beruhigte er sich. Doch dann sah er für den Bruchteil einer Sekunde direkt vor sich eine kleine undefinierbare Gestalt vorüberhuschen.

      „Wer ist da?“ wiederholte er ängstlich. Wieder keine Antwort. Jens stand auf. Er merkte einen leichten Schwindel im Kopf und hielt sich deshalb am Baum fest.

      Er dachte nach, aus welcher Richtung er heute Mittag mit dem Förster gekommen war und blickte umher. Da hörte er, wie jemand seine Stimme nachmachte: „Wer ist da?“

      Jens blickte in die Richtung, aus welcher der Ruf gekommen war, doch da war nichts zu sehen. „Bitte, bitte zeigen Sie sich“, schluchzte Jens, „Sie machen mir Angst!“

      „Wie kann jemand, der so groß ist, Angst vor mir haben?“, entgegnete die Stimme. „Hier, hier unten bin ich, direkt vor dir.“

      Jens bückte sich. Er traute seinen Augen nicht. Was da vor seinen Füßen stand, hatte er noch nie gesehen. Das Wesen reichte ihm nicht einmal bis zum Knie. Es hatte einen runden Kopf mit zwei langen spitzen Ohren. Die Augen waren riesig und strahlend gelb. Sie sahen aus wie halbierte gekochte Hühnereier. Die Nase war rund und klein. Der Kopf machte fast die Hälfte seiner ganzen Größe aus. Seine Arme und Beine waren etwa so groß wie die eines Neugeborenen, aber viel muskulöser und außerdem behaart. Das ganze Wesen hatte überall Fell, etwa in der Art eines Eichhörnchens.

      „Was bist du“, fragte Jens erstaunt, „bist du ein Zwerg?“ Dies war offenbar die falsche Frage. Das Wesen wurde wütend und schimpfte: „Das ist ja wieder mal typisch. Typisch, typisch, typisch für Großwüchsige. - Seh‘ ich etwa aus wie ein Zwerg, was? – Seh’ ich aus wie ein Zwerg?! Nein, ich bin kein Zwerg! - Ich bin ein Gnoooom!“

      „Oh, entschuldige bitte“, sagte Jens betroffen.

      „Und du? Was bist du denn überhaupt für einer?“

      „Ich bin der Jens“, antwortete dieser.

      „Soso, ein Jens. Einen Jens habe ich, glaube ich, überhaupt noch nie gesehen“, grummelte das Wesen, indem es einmal in Blitzesschnelle um ihn herumhuschte.

      „Nein, Jens ist mein Name. Ich bin ein Mensch.“

      „Ein Mensch“, wiederholte der Gnom skeptisch „soso, jaja, mag sein. Für einen Krieger bist du zu klein und für einen Zwerg zu groß. Ein Mensch also. Gut gut. - Und warum hast du meine Haustür zerstört?“ Das Wesen zeigte mit seinen überlangen Fingern auf einen zusammengebrochenen Haufen Holz am Fuße des Nadelöhrs, der wohl einmal so etwas wie eine Eingangstüre gewesen war. Dahinter war ein großes Loch zusehen, dass in einen Erdhügel hineinführte.

      „Ich, äh, - das, das wollte ich nicht“, stotterte Jens, „ich bin vom Baum gefallen.“

      „Warum kletterst du dann herauf, wenn du dich nicht festhalten kannst“, murrte der Gnom. „Entschuldige bitte, ich helfe dir auch alles wieder aufzubauen“, entgegnete Jens, indem er nach dem Holz griff.

      „Oh nein, nein, nein, Mensch, lass das sein“, sagte der Gnom, „in ein einmal zerstörtes Haus darf man nicht wieder einziehen. Grooooßes Unglück. Ich ziehe weiter und baue ein neues.“

      Jens stand verwirrt und betrübt zwischen dem Baum und der zerstörten Behausung und wollte eigentlich alles rückgängig machen, oder nur nach Hause gelangen, oder einfach aufwachen, denn was hier geschah, konnte doch alles gar nicht wahr sein.

      „Kannst du mir helfen“, bat er den Gnom.

      „Helfen, dir? Mal sehen, jaja, wie das tun?“

      „Ich möchte hier raus, wie komme ich aus dem Wald?“

      Das hätte Jens nicht fragen sollen. Erschrocken sprang sein kleines Gegenüber einen Meter zurück, die Haare standen ihm dabei wie elektrisch aufgeladen zu Berge und seine Augen drehten sich wie zwei kleine Propeller im Kopf. Die Arme streckte er vor sich hin, als wolle er sich vor Jens schützen. „Aus dem Wald?!“, schrie er entsetzt, „aus dem Wald, ja hast du denn nicht gelernt, dass es gefährlich ist, aus dem Wald zu gehen? Es sollen sich allerlei grausame Gestalten da rumtreiben, und man ist ganz ungeschützt ohne die Dunkelheit der Bäume.“

      „Ach was!“, erwiderte Jens „ich komme von da, ich wohne draußen auf einem der Höfe, da gibt es nichts Gefährliches - außer Ulrich vielleicht.“

      „Soso, wohnst draußen, jaja vielleicht, mal sehn. Ich glaube dir. Aber ich weiß nicht, wie man herauskommt, ich habe das Ende des Waldes noch nie gesehen, er ist nämlich rieeeesig.“

      Wenn der Gnom einem Wort besonderes Gewicht verleihen wollte, dehnte er dessen Vokale und ließ es so länger und dramatischer klingen.

      „Na, übertreib mal nicht“, entgegnete