Daniel Beuthner

Der magische Met


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dass an der etwas breiteren Seite bereits lauter merkwürdige Zeichen eingeritzt waren. Da, wo die Runen aufhörten, begann nun Jens seinen Namen einzuschneiden. Das war gar nicht so einfach und er brauchte seine Zeit dafür. Skeptisch begutachtete Dwalin schließlich die fertige Arbeit. „Na ja, gut gut, mag sein, deine Runen also, gut gut. - Jetzt ritze eine Linie unter deine Runen und ich will meine darunter setzen.“

      Gesagt getan. Jens bewunderte die Geschicklichkeit, mit welcher Dwalin die wunderschönen Zeichen in den Stab schnitt. Als der Gnom fertig war, nahm Jens den Stab wieder in Empfang. Er versuchte Dwalins Namen zu erkennen. Es waren drei kunstvoll gefertigte Ornamente, von denen das erste etwa aussah wie ein Tannenzapfen, der einen Kreis auf der Spitze trägt, das zweite waren zwei Wellenlinien, auf denen ein Dreieck schwamm, und das dritte Zeichen sah aus wie der Buchstabe Ypsilon zweimal ineinander verschoben. Sein eigener Name sah dagegen langweilig und simpel aus.

      „Wie spricht man es aus?“, fragte Jens und der Gnom antwortete gedehnt: „Dwaaalin.“

      Dwalin befeuchtete nun die Spitze des Stabes mit den Tropfen, die von Jens Tränen noch an seinen Fingern waren. „Jetzt halte den Stab auf meine Stirn und pass gut auf!“, wies ihn der Gnom an. Jens tat, wie ihm gesagt wurde, und als er Dwalins Stirn berührte, begann dieser beschwörend zu murmeln:

      „Klein ist das Kind,

      Mächtig der Mann,

      Friedlich die Frau,

      Träne wird Tau,

      Dwalin wird dann

      Schnell wie der Wind!“

      Der Tropfen auf dem Stab begann zu dampfen wie kochendes Wasser. Immer mehr Rauch entwickelte sich am Ende des Stabes. Wie gebannt stand Jens da und stierte regungslos auf das Geschehen. Da begann sich der weiße Dampf vom Holz zu lösen und umhüllte die Gestalt des Gnoms wie eine zweite Haut. Nun zerrte die Nebelhaut an Dwalin, als wäre er aus knetbarer Masse. In Sekundenschnelle dehnte sich der kleine Körper in hundert undefinierbare Formen und wuchs dabei immer weiter, bis er schließlich in Form und Größe ganz der Gestalt des Waldwildes glich. In diesem Moment verpuffte der Nebel und tatsächlich: vor Jens stand jetzt ein prächtiger goldbrauner Hirsch: Ein Zwölfender. Jens war sprachlos. Mit offenem Mund stand er vor der Erscheinung. Der Hirsch neigte sein Haupt zu ihm herunter und sprach: „Staune nicht, mein Jens, jaja ich bin es noch, Dwalin. Komm! Schwing dich auf meinen Rücken. Ich will Dich so schnell es geht zum Baum des Wissens bringen, denn dein Herz ist gut und du hast mich getragen.“

      Der Hirsch legte sich auf den Boden, so dass Jens besser hinaufgelangen konnte. Wie weich und angenehm fühlte sich das glänzende Fell an.

      „Nimm den Runenstab und halte dich gut fest. Am besten, Du ergreifst mein Geweih.“ Jens tat es und mit einem Schwung stand Dwalin auch schon auf allen Vieren und brauste wie der Sturmwind los den Elbpfad entlang Richtung Norden.

      In den nächsten drei Tagen durchquerten die beiden Freunde weite Teile des Waldes. Sie hätten sicherlich noch schneller vorankommen können, wenn sie noch Dwalins Fläschchen mit dem Mimirswasser gehabt hätten. So aber mussten sie einige Umwege in Kauf nehmen, um hier und dort etwas Essen und vor allen Dingen gutes, sauberes Wasser zu bekommen. Jens hatte sich längst in sein Schicksal ergeben und war nur froh, dass er seinen lieben Begleiter hatte, der sich bestens im Wald auszukennen schien. Die Beeren und Blätter allerdings, die Dwalin ihm immer wieder als Nahrung anbot, waren nun gar nicht seine Sache. Von den ekelhaft bitter schmeckenden Wurzeln ganz zu schweigen. So war Jens auch sehr glücklich, als sie gegen Ende des dritten Tages ihrer Reise endlich ein richtiges Abendessen bekommen sollten. Sie erreichten gerade die Landschaft, die man den Silberhain nennt. Die Bäume hier waren nämlich alle aus reinem Silber und sich in ihrer Gestalt sehr ähnlich. Sie waren nicht sehr hoch und hatten einen glatten astlosen Stamm. Da, wo sie endeten, etwa in drei Meter Höhe, wuchsen ihnen dünne gebogene Zweige aus der Krone, an deren Enden jeweils ein kleines silbernes Glockenspiel hing. Die Form der Bäume erinnerte Jens an die alte Wohnzimmerstehlampe von Oma Ilse. Wirr, aber schön klangen die vielen Millionen Glöckchen in der leichten Bewegung des Windes. Da die Silberbäume weder Blätter noch Samen hatten, war auch der Boden des Haines völlig kahl und unbewachsen. Alles sah so gleich aus, dass sich nicht nur ein Fremder unweigerlich hätte verirren müssen. Auch war kein Elbpfad mehr zu sehen, weil es ja keine scharfen Blätter gab, an denen die Elben ihr Licht hätten verlieren können. Der Himmel über dem Silberhain war immer bewölkt, da aus den Baumkronen der Silberbäume wie aus Schornsteinen ständig kleine weiße Wölkchen emporstiegen.

      „Wir müssen uns einen Führer rufen“, sagte Dwalin, indem er stehen blieb und sein Geweih am Stamm eines Silberbaumes rieb. „Stell dich auf meinen Rücken und sieh zu, dass du kräftig an einem der Glockenspiele rüttelst!“

      Jens versuchte es. Zwei-, dreimal. Es war gar nicht so einfach, auf dem Rücken des Tieres zu balancieren! Jeder weiß das, der schon einmal versucht hat, sich auf den Rücken eines Pferdes zu stellen. Aber bei einem Hirsch hatte man wenigstens noch das Geweih, an dem man sich festhalten konnte und Dwalin gab sich wirklich alle Mühe ganz ruhig zu stehen. Endlich stand Jens sicher und rüttelte mit Kraft an dem nächst erreichbarem Glockenspiel. Nach einer Zeit hörte er aus dem Innern des Baumes eine Stimme: „Ja, ja, ja - ich komme ja!“

      Jens hörte auf zu schütteln und blickte zur Baumkrone hinauf. Da erschien, aus dem Inneren des Baumes hinaufgeklettert, auf einmal ein kleines Silbermännchen in der Mitte der Glockenspiele. Der kleine Kerl bestand wirklich ganz und gar aus Silber. Selbst die Haare auf dem winzigen Kopf waren feinst gesponnene Silberfäden, die drahtig in alle Richtungen abstanden. Das Silbermännchen schaute zu Jens hinab. „Was willst du?“, giftete es ihn an, „es ist Mittagszeit, da stört man keine Leute.“

      „Ich will durch den Wald“, entgegnete Jens.

      „Bitte, bitte geh nur, dazu brauchst du meine Erlaubnis nicht“, erwiderte das Männchen spöttisch und wollte wieder in seinem Baum verschwinden.

      „Warte, nicht so hastig“, röhrte Dwalin von unten hinauf. „Wir wollen uns nicht verirren. Wir müssen Richtung Norden!“ Das Männchen stutze und blickte auf den Hirsch hinab. Es kratzte sich fragend den Kopf. Dann schaute es Jens an und lachte: „Respekt, Teufel auch, wie hast du das geschafft? Du reitest einen verzauberten Gnom. Ts, ts, ts, ist ja nicht zu glauben.“ Das Männchen neigte sich Jens zu und flüsterte: „Wie hast du das geschafft? Gnome lassen sich gerne tragen, sie sind ein faules Geschlecht. Sie rauben die Wälder aus und verfertigen in der Erde allerlei nutzloses Geschirr. Aber, dass einmal ein Gnom jemanden trägt, ist mir noch nicht untergekommen. Wie hast du das nur gemacht?“

      „Er ist mein Freund.“

      Das Silbermännchen bog sich ungläubig zurück und sagte mit einer verächtlichen Bewegung: „Freund? Hahaha, wüsste nicht, dass Gnome Freunde haben. Aber mir kann’s ja egal sein. Ihr wollt nach Norden? Gut? Wie viel Silber habt ihr dabei?“

      „Wir haben kein Silber“, entgegnete Jens.

      „Und warum belästigt ihr mich dann“, schrie das Silbermännchen, „dein Gnom hätte wissen müssen, dass man uns nur mit Silber bezahlen kann!“

      So war es. Das Volk der Silberleute lebte davon, dass sie eine Art Silberzoll verlangten und im Gegenzug Reisende mehr oder weniger sicher durch den Hain führten. Sie benötigten das Silber, um ihre Bäume instand zu halten, denn in jedem Baum lebte eine Silbermannfamilie. Aber auch, wenn man die Silbermännchen bezahlte, konnte man sich nie ganz sicher sein, ob man auch zu dem Punkt am anderen Ende des Haines geführt wurde, zu dem man wollte. Der Kurs, den die Führer wählten, war immer ein anderer und führte erst einmal kreuz und quer durch große Teile des Haines, damit sich niemand den Weg hindurch merken konnte. Der Lotsendienst war nämlich die einzige Einnahmequelle des Silbervolkes und darauf wollten und konnten sie nicht verzichten. Das Silbermännchen machte sich gerade wieder auf den Weg ins Innere seines Baumes als Jens rief: „Warte, warte! Wir haben Kupfer.“ Er schnürte das Bündel auf seinem Rücken auf, in welchem sich Dwalins Hausrat befand. „Hier Kupferlöffel, -teller, -schalen, alles was du