Daniel Beuthner

Der magische Met


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      „Und wer soll das sein?“, fragte Jens.

      „Warte, langsam, langsam erst machen wir einen Handel. Was hast du zu bieten?“

      „Na toll“, stöhnte Jens „du bist ja nicht gerade freundlich. Meine Sachen sind alle im Forsthaus. Ich hab nichts hier, was ich dir bieten könnte.“

      „Hmm, mal sehn, jaja, das ist es, gewiss ich hab’s. Du trägst mich und meinen ganzen Hausrat bis zu der Stelle, wo ich mein neues Haus bauen will, und ich führe dich dafür zum Baum des Wissens - der kann dir alles sagen. Bist’s mir ja genaugenommen schuldig, eine Stelle für ein neues Haus zu finden. Was ist? Gilt der Handel?“

      Jens willigte nach kurzem Überlegen ein, denn er wusste ja nun überhaupt nicht weiter und lieber wollte er mit dem kleinen mürrischen Kerl zusammenbleiben, als ganz allein in der Dunkelheit zu sein.

      Der Gnom rannte nun mehrfach in seine ehemalige Behausung und holte allerlei kupfernes, glänzendes Gerät hervor. Da waren irgendwelche Schalen, Töpfe, Löffel und andere nicht zu identifizierende Gegenstände dabei, die alle sehr kunstvoll verziert waren. Er schnürte alles mit einem dicken Seil zusammen und band es Jens wie einen Schulranzen auf den Rücken. „Moment noch“, sagte der Gnom schließlich, „das Wichtigste habe ich vergessen“ und schon war er wieder in seinem Hügel verschwunden. Jens hörte ihn drinnen fluchen und Gegenstände umwerfen, weil er das Gesuchte offenbar nicht finden konnte. Dann endlich ein befriedigender Aufschrei: „Ich hab’s, jaja genau, wichtig - hab’s gefunden.“ Und da stand er auch schon vor Jens und hielt in der einen Hand einen einfachen schwarzen Holzstock und in der anderen eine völlig unförmige dunkelgrüne Glasflasche, die mit einem Fichtenzapfen verschlossen war.

      „Was ist das?“, fragte Jens erstaunt.

      „Mein Runenstab und eine Flasche Mimirswasser“, entgegnete der Gnom.

      „Und wofür brauchst du das?“

      „Na hör mal, du weißt aber auch gar nichts. Mit dem Runenstab können wir uns vor bösen Zaubern schützen und nach einem Schluck Mimirswasser brauchen wir eine Woche lang nichts mehr zu trinken. Denn solange werden wir wohl brauchen, um zu dem zu gelangen, der dir helfen kann.“

      „Eine Woche?“, schrie Jens entsetzt, „du spinnst wohl. In einer Woche kann ich bis nach Hamburg laufen.“

      „Ach ja?“, erwiderte Dwalin, denn so hieß der Gnom nämlich, „wo liegt denn diese Burg?“ „Hamburg ist eine Stadt im Norden“, entgegnete Jens genervt „und nun lass uns losgehen.“

      Dwalin kletterte an Jens Rücken über seinen Hausrat auf die Schultern des Jungen. Dann setzt er sich in dessen Nacken und zeigte mit seinem Runenstab in die Richtung, wohin es gehen sollte. „Vielleicht kommen wir ja dran vorbei, an deiner Hamburg, da müssen wir nämlich auch hin, nach Norden. Das letzte Mal war hier aber noch keine Burg im Norden des Waldes.“

      Jens schüttelte nur verzweifelt den Kopf und marschierte los.

      Nach etwa einer Stunde wurde Jens immer mulmiger zumute. Er schaute auf seine Uhr. Es wurde immer dunkler, dabei hätte schon längst der Tag anbrechen müssen. Es kam ihm auch überhaupt nichts bekannt vor, und so groß war der Grechmer Wald ja nun wahrlich nicht. Weit und breit waren weder das Forsthaus noch der Hauptweg zu sehen. Doch noch war Jens nicht bereit zuzugeben, dass ihn das Schicksal an einen ganz anderen, ihm unbekannten Ort verschlagen hatte, dass das Geheimnis des Waldes Besitz von ihm ergriffen hatte.

      Er wunderte sich, dass sein Führer immer ganz bestimmt die Richtung angab, obwohl da keinerlei Anhaltspunkte für ihn zu erkennen waren; denn sie gingen einfach mitten durchs Gestrüpp. „Wie kommt es“, fragte er schließlich, „dass du weißt, wo Norden ist, wenn du nicht weißt, wo der Wald endet?“

      „Ich kenne den Mittelpunkt des Waldes, aber seine Enden nicht“, antwortete das Wesen in seinem Nacken, „und von der Mitte aus weisen die Äste eines Baums in alle vier Richtungen des Waldes. Außerdem führen ja alle Elbpfade nach Norden.“

      „Was sind Elbpfade?“

      „Wir gehen gerade auf einem“, belehrte ihn Dwalin, „Elbpfade sind die Wege, die Lichtelben auf ihrem Zug nach Norden nehmen, dabei verletzen sich die zarten Wesen oftmals an den scharfen Blättern der Bäume und etwas von ihrem Licht bleibt daran hängen oder tropft auf den Boden. Siehst du hier: Die Spitze des Tropfens weist in unsere Richtung.“

      Der Gnom griff sich einen Ast und riss ein Blatt ab, an dem tatsächlich ein winziges Tröpfchen Licht wie ein Wassertropfen hing. So etwas hatte Jens noch nicht gesehen. Er war begeistert und nun, da er dieses Geheimnis kannte, sah er überall die winzigen Lichttröpfchen, die wie mikroskopische Perlenschnüre in die Richtung wiesen, in die er lief. Für einen Moment schien die schreckliche Situation, in die ihn der alte Förster gebracht hatte, vergessen. Ja, Jens genoss sogar kurz den Zauber des Waldes, bis ihn die Ängstlichkeit seines eigenen Verstandes plötzlich zurückrief. Die Begeisterung schlug um in Furcht. Was, wenn der Wald ihn bereits verschlungen hatte, wie viele Menschen vor ihm. Wenn alles stimmte, was die Leute sagen? Was, wenn der Wald ihn nie mehr freigeben wollte?

      „Nach Hause!“, dröhnte es bald in seinem Kopf, „nach Hause!“ Er lief schneller. Minute für Minute immer dasselbe Bild. Ihm war, als käme er nicht von der Stelle. Er schloss die Augen und fing an zu rennen, als wolle er einem bösen Traum entkommen. „Nach Hause!!“, flüsterte er dabei immer wieder, „nach Hause!“, und rannte und rannte. Ein plötzlicher Aufschrei riss ihn aus seinem Zustand. Erschrocken blieb er stehen.

      Er öffnete die Augen. Hinter ihm fluchte und schimpfte es gewaltig: „Pass doch auf, du klobiger halbierter Jote, du dämlicher!“

      Jens drehte sich um. Er war beim Rennen knapp unter einem mächtigen Eichenast gesaust und dieser hatte den Gnom mit voller Wucht von seinen Schultern gerissen. Da saß die kleine Gestalt nun im Laub, neben ihm das zerbrochene grüne Fläschchen, und ließ sich in den wüstesten Beschimpfungen über die Ungeschicklichkeit seines Trägers aus.

      Jens fühlte eine starke Beklemmung im Herzen. Er musste sich hinsetzen. Jetzt hatte er Gewissheit. Er würde nicht aufwachen. Er war gefangen, gefangen in einer völlig fremden Welt. Es war also kein Traum. Seinen Garten, Grechem, Oma Ilse, Monika ... vielleicht würde er alles, was ihm lieb war, niemals wiedersehen. Er schnappte nach Luft. Mit Gewalt presste eine unsichtbare Kraft seinen Brustkorb zusammen. Die Schmerzen wurden unerträglich. Er fing leise an zu weinen. „Nach Hause“, schluchzte er, „nur nach Hause.“

      Dwalin hatte seine Beschimpfungen eingestellt. Mitleid überkam ihn, als er den großen Jens so fürchterlich weinen hörte. Er sprang auf und klopfte sich das Laub aus dem Fell. Dann griff er seinen Runenstab und schmiegte sich tröstend an Jens’ Wange, indem er geschickt an dessen Bein heraufgeklettert war. „Weine nicht“, sprach er jetzt mit einer warmen, ganz anderen Stimme, „ich werde dir helfen nach Hause zu kommen und wenn ich den Wald dafür verlassen müsste - Du bist nicht allein.“

      Jens schaute zu Dwalin. Die großen gelben Augen blickten ihn liebevoll an. „Weine nicht. Du hast mich getragen, nun werde ich dich tragen.“ Da musste Jens sein Schluchzen durch ein kurzes dankbares Lachen unterbrechen. Wie sollte das wohl gehen, ein so kleines Wesen könnte ihn doch nicht tragen. Mit seinen langen fünfgliedrigen Fingern wischte der Gnom die letzten Tränen aus Jens’ Augen. „Da, nimm das!“, sagte er und reichte ihm seinen Runenstab. Jens nahm den Stab und beobachtete, wie Dwalin sogleich von ihm herunterkletterte und zu seiner Unglücksstelle huschte. Dort griff er sich eine Scherbe des grünen Fläschchens und eilte wieder zurück.

      „Nimm sie“, sprach er, „und ritze deine Runen in den Stab!“

      „Was soll ich tun?“

      „Du musst deine Runen hineinritzen. Es muss doch Jensrunen geben.“ Jens hatte begriffen. Seinen Namen sollte er mit der Scherbe in das Holz schreiben.

      „Wo?“

      „Da, da unter den letzten.“