Adrian Plitzco

Der harte Engel


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      „Einer deiner Verehrer, nehme ich an.“

      Elizabeth kniff die Lippen zusammen. Sie spürte, dass Eric sie noch immer nicht mochte. Sie verschwieg ihm wohl besser, wie sehr sie ihn in den vergangenen zwei Jahren vermisst hatte. Sie wusste gar nicht, wie sie die ganze Zeit ohne seine Gegenwart hatte ertragen können. Als sie ihn nach dem Streit in seiner Wohnung aufgesucht hatte, war sie zu spät gekommen. Eric war bereits verschwunden, und niemand konnte ihr verraten, wo er war. Sein Verschwinden traf sie tief, mehr noch als Maryannes Tod. „Mein Leben geht weiter“, hatte sie sich damals getröstet. Erics Verschwinden hingegen war etwas anderes. Er war ihr Lebensinhalt gewesen.

      Nach Maryannes Tod hatte sie sich in den Kopf gesetzt, Eric wieder auf die Beine zu bringen. Sehr zum Missfallen ihrer Verehrer hatte sie in der ersten Zeit rund um die Uhr für ihn gesorgt. Sie schleppte ihn immer wieder in Restaurants, damit er aß, brachte ihn unter Menschen, damit er nicht vereinsamte, und hörte sich geduldig seine Klagen an. Doch an jenem Abend in dem italienischen Lokal war ihr der Kragen geplatzt. Nach so langer Zeit hatte er noch immer keine Augen für sie.

      Vor allen Leuten schrie sie ihn an: „Maryanne ist tot. Gestorben. Finito. Vergangenheit. Wann geht das endlich in deinen Schädel?“

      Dann schüttete sie ihm den Chianti ins Gesicht und verließ weinend das Lokal.

      „Für meine Verehrer hatte ich gar keine Zeit“, sagte Elizabeth, „denn während du verschollen warst, habe ich mir die Seele aus dem Leib gearbeitet. Die Melbourne Opera nahm mich für zwei Spielzeiten unter Vertrag. Stell dir vor, ich habe die Carmen gesungen. Ein Riesenerfolg. Das Haus hat nach jeder Vorstellung getobt.“ Sie machte eine Pause. Eric reagierte nicht, also erzählte sie weiter. „Die darauf folgende Hauptrolle war Lucia di Lammermoor.“

      Elizabeth verschwieg, dass diese Inszenierung ein Desaster war. Ihre Interpretation der Lucia war peinlich gewesen, eine wahre Katastrophe. Elizabeth hatte sich zur Verwirrung des Orchesters über die musikalische Reihenfolge hinweggesetzt und Lucias Wahnsinnsarie am Schluss mit Schreien und Stampfen unterbrochen, so dass sich das Publikum und die Kritiker fragten, wer denn nun verrückt war. Elizabeth aber scherte sich nicht darum. Das befreiende Gefühl und die Ruhe, die sie nach jeder Aufführung erfüllte, waren zu köstlich, als dass sie versuchte, die Anfälle zu zügeln. Stattdessen fieberte sie jeder Vorstellung geradezu entgegen. Doch die Inszenierung gefiel nicht, so dass sie nach vier schlecht besuchten Abenden abgesetzt wurde. Elizabeths Karriere konnte das nichts anhaben.

      „Danach hatte ich Gastauftritte in London, Singapur und Neuseeland. Und neben einer Konzertreihe in der St.-Michaels-Kathedrale unterrichte ich Gesangsschüler. Zweimal die Woche. Ich fand nicht einmal mehr Zeit, mich morgens im Spiegel zu betrachten.“

      Womit sie übertrieb, denn ihre Verehrer waren dennoch auf ihre Kosten gekommen. Allen voran Elizabeth selbst. Sie hatte sie nach Bedürfnissen und Anlässen aufgeteilt. Eine Handvoll verheirateter Männer, darunter der Kardiologe, durften Elizabeth bei ihren Einkaufsorgien begleiten und für ihre exklusiven Schnäppchen in die Tasche greifen. Für besondere Anlässe, ein Abendessen in einem schicken Restaurant oder im kleinen Kreis mit netten Bekannten, bediente sie sich eines angesehenen, mehrfach geschiedenen Auktionators. Für weniger aufregende Aktivitäten stand ihr der Alltagsverehrer zur Seite. Er war der Unaufdringlichste von allen, dafür der Langweiligste, Ronald Maze. Seine Familie hatte seit Beginn der Atomforschung in erheblichem Maße vom Uranabbau profitiert. Ronald Maze hatte seine Position im Familienbetrieb aus rein steuerlichen Gründen inne und verfügte deshalb über unbeschränkte Zeit, Elizabeth in seinem Mercedes herumzukutschieren und ihre Einkaufstaschen zu schleppen.

      „Du bist der Erst, dem ich es verrate“, erzählte Elizabeth weiter, „heute Nachmittag wurde mir angeboten, eine CD zu produzieren. Der Vertrag wird bereits ausgearbeitet, und wenn alles gut geht, sollen in einem Monat die Aufnahmen beginnen.“

      „Wunderbar“, sagte Eric endlich, „ich gratuliere. Was wirst du singen?“

      „Liebeslieder. Über das Konzept werden wir uns noch streiten müssen. Der Musikfirma schweben Stücke von Schubert vor, ich aber will auf alle Fälle Schumann singen. Ich bin auf Lieder gestoßen, die ich unbedingt singen muss. Kleine Stücke über unerfüllte Liebe.“

      „Wem hast du diesmal die Augen verdreht?“

      „Niemandem“, wehrte Elizabeth ab, „das Angebot kam aus heiterem Himmel. Durch einen guten Bekannten.“

      Dieser gute Bekannte war Alltagsverehrer Ronald Maze. Von ihm hatte sie am wenigsten erwartet, dass er nützliche Kontakte pflegte, doch eines Tages hatte er sie mit der Nachricht überrascht, dass die und die Leute von der und der Musikfirma an einer Aufnahme interessiert wären. Elizabeth hatte keinen Moment gezögert.

      „Es sieht aus, als ob du dein Leben im Griff hast“, sagte Eric.

      „Sagen wir mal, meinen Beruf.“

      „Dein Beruf ist doch dein Leben.“

      Elizabeth lachte. „Du befindest dich auf dem Holzweg, mein Lieber. Musik ist nicht alles im Leben. Natürlich liebe ich sie, ich verehre sie und würde für sie sogar töten. Meine Seele und mein Ego können sich nicht beklagen, die bekommen mehr als genug. Aber ich habe auch noch ein Herz und einen Körper, die befriedigt sein wollen.“

      „Vielleicht solltest du dir mehr Verehrer zulegen?“

      Seine Bemerkung saß, und Eric spürte, dass er zu weit gegangen war. Er wusste, dass Elizabeth normalerweise explodieren würde, und machte sich mindestens auf eine Tirade gefasst.

      Elizabeth aber blieb ruhig. „Meine Verehrer mögen mich bewundern und begehren“, sagte sie, „aber keiner von ihnen liebt mich wirklich, und ohne Liebe geht bei mir nichts. Sex ohne Liebe schmeckt nach aufgeblasenem Blätterteig. Man beißt in die knusprige Haut, und was bleibt, ist ein Häuflein trockener Krümel im Mund. Darauf habe ich keine Lust. Ich stehe auf herzhafte Kost.“

      Eric richtete sich auf, weil sein Fuß schmerzte. Er stützte sich auf den Ellbogen ab, ließ den Kopf nach hinten fallen und seufzte leise. Elizabeth betrachtete seinen schönen Körper. In dieser Stellung sah Eric zum Anbeißen aus. Unter dem kalten Licht der Lampe schimmerten seine nackten Beine weich wie Elfenbein, sie erinnerten an die blassen Glieder jener Marmorstatuen, die italienische Meister für Paläste schufen: aus edelstem Stein gehauen und immer wieder von bloßer Hand geschliffen, bis sie die Kraft und Geschmeidigkeit einer Gazelle hatten. Elizabeths Blick wanderte zu seinen schmalen Hüften und der dünnen, weißen Unterhose, unter der sich deutlich sein Glied abzeichnete. Das weiße Hemd war bis zum Bauchnabel aufgeknöpft und lag weich auf seiner flachen Brust und den breiten Schultern. Die nächtlichen Wanderungen durch den australischen Busch hatten ihn vermutlich so athletisch gemacht. Nur die Hände und die Nase schienen etwas groß geraten. Elizabeth fand seine Nase süß. Überhaupt fand sie alles an ihm süß, selbst die blassblauen, zitternden Augen. Sie sehnte sich nach seinem Körper, so wie damals in Waratah Bay in einem Zelt am Strand, das in der Hitze der Nachmittagssonne zu kochen schien.

      „Worauf warten wir?“, fragte sie plötzlich und stand auf. Sie ging zur Tür und blickte in den Gang hinaus. Niemand war zu sehen. „Es sieht aus, als ob man uns vergessen hat.“ Dann kam sie zurück zum Bett.

      „Was hast du vor?“, fragte Eric.

      „Weißt du, dass du unwiderstehlich bist?“, sagte sie und griff nach seiner Hand. Sie beugte sich zu ihm und küsste seine Stirn. Ihr Angriff überraschte ihn. Er legte den Arm um ihren Rücken und drückte sie an seinen Körper. Seine Nasenspitze berührte die feuchte, weiche Haut ihrer Halsgrube. Hungrig sog er den Duft von süßlichem Schweiss und der Erinnerung an Liebkosungen ein. Er schloss seine Augen und sah Maryannes liebliche Schultern, ihre zierlichen Arme und kleinen Brüste, während er in Elizabeths pralles Fleisch griff und sie auf seinen Schoss zog.

      Elizabeth presste sich an ihn und flüsterte seinen Namen. Endlich! Endlich durfte sie sein Herz an ihrem Körper schlagen fühlen. Die klaffende Wunde, die seit Waratah Bay in ihrer Brust schmerzte, schloss sich in diesem Augenblick. Nimm mich, flehte sie stumm, führte seine Hand unter ihr