Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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zeigten keinerlei Wirkung. Ich konnte ihn einfach nicht abschütteln. Was für eine Magie war dies? Kämpfte ich gegen einen mächtigen Gott der bärtigen Männer, der sich, um mich zu verhöhnen, in diesen winzigen Soldaten verwandelt hatte?

      Der Feind öffnete den Mund, zeigte mir seine Zähne und blies mir seinen verdorbenen Pesthauch direkt ins Gesicht. Jetzt wusste ich, wo sein tödlicher Gestank herrührte. Die Zähne in seinem Mund, oder sollte ich eher sagen Maul, waren keine normalen Zähne, ja ich war in diesem Moment sogar sicher, es waren überhaupt keine menschliche Zähne, sondern die Fangzähne eines wilden, tödlichen Raubtiers.

      Ich sah in seine Augen und stellte wie paralysiert alle Gegenwehr ein. Niemals hatte ich solche Augen gesehen. Es waren tote Augen ohne Leben. Dabei waren sie ockergelb und zeigten eine eher elliptische Pupille. Wie bei einem Berglöwen. Gleichzeitig zeigten sie aber solch einen Hass, solch eine tödliche Begierde nach meinem Blut, dass es mir schien, als ob sie direkte Fenster nach Mictlan seien. Das erste Mal in meinem Leben spürte ich Angst in mir aufsteigen. Trotzdem wollte ich nicht aufgeben, denn ich war immer noch Ocelotl, oberster Jaguarkrieger der Mexica. Ich versuchte ihn erneut abzuschütteln, aber mit einem puren Zusammenpressen seiner dünnen Oberschenkel trieb er mir alle Luft aus den Lungen. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Er sah mich mit seinen grausamen Augen an und lächelte. Dieses Lächeln war das Versprechen meines Todes.

      Er biss mich in den Hals, wobei es mir durch meine ungeheure Kraft gelang, den Kopf etwas zur Seite zu drehen, wodurch die Wucht des Bisses etwas abschwächt wurde. Mit einem Mal wurde mir klar, wie er Mazatl getötet hatte. Es war gar kein Schwerthieb gewesen, sondern eben dieser tödliche Biss. Hätte ich mehr Zeit gehabt, Mazatl zu untersuchen, wäre mir dies sicherlich aufgefallen.

      Eine Schmerzwelle, wie ich sie noch niemals vorher gespürt hatte, jagte durch meinen Körper. Das war das Ende. Wehrlos erwartete ich meinen Tod. Dann wurde der Winzling aber offensichtlich gestört und ließ von mir ab. Dies war aber zu diesem Zeitpunkt schon eher belanglos, da das Blut in großen Schüben aus meiner Kehle spritzte, ich also so oder so am Verbluten war. Ich sah meinen Tod auf mich zukommen.

      Aber ich starb nicht. Ich blieb sogar bei Bewusstsein, obwohl ich mich nicht mehr bewegen konnte. So lag ich paralysiert Stunde um Stunde, bis die Schlacht beendet war. Ich bekam nicht einmal mit, ob wir gewonnen oder verloren hatten. Der kleine Mann kam auch nicht zurück, um meinen Tod zu vollenden. Für ihn war es wohl schon erledigt. Für ihn war ich schon tot.

      *

      Später wurde ich dann von Kriegern meines Volkes gefunden und mitgenommen. Ich wollte ihnen ein Zeichen machen, dass es mir gut ginge, aber ich konnte mich immer noch nicht bewegen oder mich mit Worten verständlich machen. Ich muss wie tot gewirkt haben. Das glaubten offensichtlich auch meine Kameraden. Die Krieger betrauerten ganz offen meinen Tod.

      Auch als die Bestattungszeremonie für mich vorbereitet wurde und ich aufgebahrt wurde, konnte ich mich immer noch nicht bewegen, obwohl ich alles bis ins kleinste Detail hin mitbekam. Ich konnte sogar sehen, wie meine Frau und meine Tochter mir die Totenwache gaben. Sie waren wohl extra dazu aus Tenochtitlán geholt worden. Aber auch sie merkten nicht, dass ich noch lebte.

      So wurde es Abend. Ich lag immer noch bewegungsunfähig auf meiner Bahre gefesselt. Plötzlich hörte ich ein Heulen, wie bei einem wütendem Hund. Meine Frau und meine Tochter sahen sich besorgt um. Das Heulen kam näher. Ich versuchte verzweifelt, mich zu bewegen, was mir aber nicht gelingen wollte. Da sah ich ihn! Den Winzling. Meinen Mörder! Mit gefletschten Zähnen kam er auf uns zu. Meine Frau stellte sich ihm in den Weg, aber er schlug sie einfach zu Boden und beachtete sie nicht weiter. Er wollte offensichtlich nur meine Tochter. Er ergriff sie und warf sie sich über die Schulter. In mir stieg ein unbändiger Hass auf diesen winzigen Mann auf, der mir alles genommen hatte, und jetzt auch noch meine Tochter entführen wollte. Er war mir ganz offensichtlich gefolgt, um sein Werk zu vollenden und hatte dann meine Tochter gesehen. Die Hasswellen schossen jetzt wie mächtige Blitze durch meinen Körper.

      Dann weiß ich nichts mehr. Das nächste, an was ich mich danach erinnern konnte, war, dass ich mich plötzlich wieder bewegen konnte. Ich stand spliterfasernackt vor meiner Bahre. Ich war blutüberströmt, aber es war nicht mein Blut gewesen. Neben mir lag die Leiche meiner geliebten Frau. Sie war total zerfleischt, als ob sie ein wütender Jaguar erwischt hätte. Ich spürte ihr Blut auf meinem Körper. Und in meinem Mund! Es war wohl ganz offensichtlich ich gewesen, der sie getötet hatte. Ich hatte sie in dieser meiner Raserei nicht nur getötet sondern teilweise sogar von ihrem Fleisch gegessen.

      Für uns Mexica war Kannibalismus nichts Besonders. Speziell die armen Leute aßen oft vom Fleisch der geopferten Gefangenen der Blumenkriege, trotzdem war ich schockiert über die Gewalt, die ich meiner geliebten Frau angetan habe. Ich wollte dem Feind auch gleich folgen, wurde aber von zwei Adlerkriegern davon abgehalten.

      Es waren die Brüder Mazatl gewesen, die mich auch sofort gefangen nehmen wollten. Ich spürte wieder diese unkontrollierbare Wut und tötete die beiden, obwohl es meine Freunde, ja fast Brüder waren. Dann wurde ich von einem Tepoztopilli getroffen. Eigentlich hätte mich dieser Streich töten müssen, aber er verletzte mich nicht einmal. Ich drehte mich um. Vor mir standen vier Krieger. Ich wollte mich ihnen ergeben, aber in meiner unkontrollierbaren Wut tötete ich auch sie. Alle vier innerhalb von wenigen Sekunden und dies ohne Waffen, nur mit meinen Händen und meinen Zähnen. Dann verließ mich die Raserei und ich ergab mich einem weiteren Trupp von Jaguarkriegern, die durch den Tumult angelockt worden waren. Es waren alles meine Freunde gewesen, doch dieses Mal bedrohten sie mich mit ihren Tepoztopilli, bereit mich bei der kleinsten Bewegung sofort zu töten.

      *

      Mein Volk war geschockt. Zum einen natürlich, weil ich noch am Leben war, aber auch über mein geändertes Wesen nach diesem Zwischentod. Ich war aggressiv geworden und unberechenbar. Alles brachte mich in Rage und in diesen Wutanfällen war ich unberechenbar. Ich tötete in einer dieser Wutanfälle zwei weitere Krieger.

      Dank meiner Verdienste als oberster Jaguarkrieger wurde ich zwar für meine Gräueltaten nicht verurteilt, aber mir wurde klargemacht, dass von mir erwartet wurde, dass ich mich nach der Schlacht als Freiwilliger für eine zeremonielle Opferung zur Verfügung stand, um die Götter wieder freundlicher zu stimmen. Natürlich durfte ich unsere Armee nicht mehr führen und musste nach Tenochtitlán zurückkehren, wo ich das Ende der Schlacht abzuwarten hatte. Ich war dazu fest entschlossen. Ich hatte alles verloren. Meine Frau, meine Tochter, meine Ehre und meinen Status als Jaguarkrieger. Ich lag die nächsten Stunden also nur entehrt und kraftlos auf dem Nachtlager meines Hauses und wurde von all meinen Freunden gemieden, wahrscheinlich sogar verflucht. Doch dann passierte es! Nach drei Tagen verwandelte ich mich in etwas Monströses, etwas Tödliches, etwas, das ich bisher noch nicht kannte. Ich tötete die Frau eines Nachbarn auf bestialische Art.

      Jetzt verachteten mich meine ehemaligen Freunde nicht nur, jetzt hatten sie regelrecht Angst vor mir. Selbst Cuitláhuac, unser Huey Tlatoani wollte nichts mehr von mir wissen. Ich wurde verstoßen. Nicht einmal der ehrenhafte Blumentod als Opfer für die Götter wurde mir noch gewährt. Mir wurde Nahe gelegt, dass ich Tenochtitlán mit sofortiger Wirkung zu verlassen hätte und nie mehr zurückkehren dürfe. Ich, der größte Krieger aller Zeiten war plötzlich nicht mehr erwünscht. Also verließ ich tief gekränkt und entehrt und mit großer Schuld auf meinen Schultern das Volk der Mexica und musste fortan alleine versuchen, zu überleben.

      Neue Erfahrungen

      Der Sonnenuntergang erleuchtete den westlichen Himmel über dem Mexikanischen Hochland mit brillanten Rot- und Scharlachtönen. Diese Farben kombinierten perfekt mit der Braun- und Grautönen der Wüstenebene. Ein heißer Wind ließ kleine Staubwirbel tanzen. Normalerweise würde solch ein Anblick Layla Méndez in Erzückung bringen, aber dieses Mal hatte sie keinen Blick dafür übrig. Dafür hatte sie in den letzten drei Tagen einfach zu viel erlebt. Ganz knapp war sie nur dem Tode entronnen und das gleich mehrfach. Dabei verstand sie nicht einmal, was denn genau passiert war.

      Sie zitterte immer noch, wie Espenlaub und konnte sich fast nicht auf den Weg vor ihr konzentrieren. Eigentlich war es ja gar kein Weg, sondern sie raste mit