Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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Felsen zusammenstieß, oder in eines der größeren Löcher, die es hier wie Sand am Meer gab, stürzte. Trotzdem fuhr sie nicht langsamer. Sie konnte und wollte es sich einfach nicht leisten, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Jede Verzögerung und war es nur die Allerkleinste konnte ihren definitiven Tod zu Folge haben.

      Tränen liefen ihr heiß über die Wangen. Wie konnte dies alles nur passieren? Wie war sie in diesen tödlichen Sumpf überhaupt hineingeraten?

      Angefangen hatte alles mit einem rätselhaften Anruf einer jungen Frau an ihrem Arbeitsplatz in Basel.

      *

      „Redaktion der Basler Woche, Abteilung Nachrichten aus aller Welt, Layla Méndez am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“

      „Sind Sie an der Story Ihres Lebens interessiert“

      „Welcher Journalist ist dies nicht? Aber wissen Sie, wie oft mir dies schon angeboten wurde? Da müssen Sie mit schon wesentlich mehr Informationen kommen, um mein Interesse zu wecken.“

      Die Frau zögerte, fast so, als ob sie sich die Wörter noch zurechtlegen musste. Es konnte mit Sicherheit nicht daran liegen, dass sie Layla nicht richtig verstand. Sie hatte zwar einen südländischen, wahrscheinlich Spanischen Akzent, aber sie schien perfekt Deutsch zu sprechen. Layla wollte gerade auflegen, da begann die Frau:

      „Kennen Sie die Stadt Cholula, im Mexikanischen Hochland, in der Nähe vom Vulkan Popocatépetl?“

      „Muss ich wohl, mein Vater war Mexikaner. Und was ist so besonders an Cholula“

      „Kennen Sie auch den geheimen Pfad von Cholula, einen Pfad, vor dem jeder Angst hat, den aber niemand kennt?“

      Das klang jetzt schon interessanter. Layla, die bisher eher gelangweilt auf ihrem Stuhl saß, setzte sich auf und nahm einen Stift in die Hand.

      „Nein, den kenne ich nicht. Was hat es damit auf sich!“

      „Das kann ich Ihnen hier am Telefon nicht erzählen!“

      „Jetzt hören Sie mir einmal zu, gute Frau. Ich muss schon so in etwa wissen, um was es geht. Ich kann es mir nicht erlauben, meine Zeit mit sinnlosen Aktionen zu verplempern!“

      „Ich weiß, wo dieser Weg liegt, ich bin sogar auf ihm gegangen!“

      „Und?“

      „Er hat mit den verschwundenen Frauen zu tun!“

      „Welchen verschwundenen Frauen!“

      „Das kann ich Ihnen erst bei einem Treffen erzählen!“

      „O.K. Ich sehe, das führt nicht weiter. Ich muss zugeben, Sie haben ganz leicht meine Neugierde geweckt, aber wirklich nur ganz leicht. Ich habe heute Mittag etwas Zeit. Wo können wir uns treffen?“

      „Um 15:00 Uhr in der Hotelbar des ‚St.Gotthard’“

      Damals war Layla noch nicht ganz davon überzeugt, dass sich daraus eine Story entwickeln könnte. Aber es wäre eine Sünde, es sich nicht zumindest einmal anzuhören, was diese rätselhafte Frau ihr zu erzählen hatte. Vielleicht ließ sich ja doch etwas daraus machen. Layla war gewohnt, dass die Leute oft mit den irrwitzigsten Geschichten zu ihr kamen. Im überwiegenden Teil konnte man glatt vergessen, was einem die Leute erzählen. Nur circa eine von hundert solchen Geschichten brachte es dann überhaupt dazu, dass darüber berichtet wurde. Und die wirklich große Story, die war noch seltener, als ein Sechser im Lotto. Aber nichtsdestotrotz musste sie sich durch diesen Urwald von Geschichten durchhören, in der Hoffung, dass sie am Ende immer noch den Wald vor lauter Bäumen sah.

      Deshalb war Layla zu diesem Zeitpunkt noch eher gelangweilt, als sie sich auf den Weg zum Hotel St.Gotthard machte. Die Wahrscheinlichkeit war nach Laylas Einschätzung jedoch noch ziemlich hoch, dass sie der Frau nach circa 10 Minuten den Kaffee bezahlte und sich auf den Rückweg zur Redaktion machte. Zum Glück war das besagte Hotel St.Gotthard ganz in der Nähe der Redaktion.

      Deshalb rief sie auch weder bei ihrem Boss an, noch meldete sie sich bei der Sekretärin ab. Es war wohl eher, wie ein verspätetes Mittagessen.

      *

      Angekommen im Hotel St.Gotthard sah sich Layla erst einmal um. Es waren sehr viele Leute in der Eingangshalle, aber diese schienen alle Geschäftsleute zu sein, die gestresst ihren Beschäftigungen nachgehen. Aus allen Ecken hörte man überlaut geführte Handygespräche. Es hörte sich fast an, wie bei den Marktschreiern auf dem Kartoffelmarkt. Es war eine richtige Volkskrankheit geworden. Genervt suchte Layla weiter. Da entdeckte sie die Bar und durchschritt mit großen, eiligen Schritten die Hotellobby. Um diese Uhrzeit war die Bar natürlich, wie ausgestorben. Layla genoss kurz die wohltuende Stille, dann sah sie sich um.

      Ihre Augen mussten sich erst einmal an das schummrige Licht der Bar gewöhnen, weshalb Layla die Frau, die an einem Tisch ganz in der Ecke, möglichst weit von der Tür entfernt saß, erst gar nicht sah. Sie wollte schon enttäuscht abdrehen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah. Da war also tatsächlich jemand gekommen! Layla näherte sich dem Tisch und betrachtete die junge Frau, die dort saß. Im schummrigen Licht konnte Layla noch keine Einzelheiten erkennen, doch musste die Frau eine rassige Schönheit sein. Layla erinnerte sich an den spanischen Akzent in der Aussprache der Anruferin. Das musste also ihre Verabredung sein. Vor dem Tisch blieb Layla stehen und fragte:

      „Guten Tag, kann es sein, dass wir verabredet sind?“

      „Wenn Sie Layla sind, dann ja, wenn nicht, dann gehen Sie zum Teufel“

      Layla lachte herzhaft. Die Frau war ihr gleich sympathisch, auch wenn sie einen mindestens doppelten, wenn nicht dreifachen Whiskey vor sich stehen hatte. Und ihren Blick nach zu schließen, war dies sicher nicht der erste. Layla beobachtete die Frau. Ihr erster Eindruck hatte sie nicht getäuscht. Die Frau war eine wahre Schönheit. Groß, schlank, grazil, tiefschwarze Locken und mit einem Gesicht, wie eine Göttin. Ganz entfernt erinnerte die Frau sie an Kate Beckinsale, eine sehr talentierte englische Schauspielerin. „Warum sind alle Mexikanerinnen nur immer so bezaubernd, und das einzige, was ich von meinem Vater habe, ist die Erinnerung. Von wegen, dass die Töchter immer ihren Vätern ähnlich sehen“ dachte Layla. Gut, sie war wohl auch recht hübsch, wenn man den Männern glauben konnte. Aber Männer sagten bekanntlich fast alles, wenn sie ihr Ziel erreichen wollten. Das war ihr jedoch egal. Layla wusste ganz genau, was sie darstellte. Sie hatte ein angeborenes, unerschütterliches Selbstbewusstsein. Außerdem brachte ihr blondes, naturgelocktes Haar und die tiefblauen Augen, die so schön naiv gucken konnten, viele Leute dazu, sie einfach zu unterschätzen. Dies unterstützte auch die Tatsache, dass sie mit 1,60 m Körpergröße (ihr Vater sagte immer „Körperkleine“) und 45 kg Lebendgewicht noch immer, wie ein 16 jähriges Mädchen und nicht, wie eine 25 jährige, selbstbewusste junge Frau aussah, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Speziell in ihrem Beruf, oder vielmehr ihrer Berufung als Journalistin, hatte ihr dies schon viele Türen geöffnet, die Anderen für immer verschlossen geblieben wären. Auch in ihrer Kleidung war Layla wenig damenhaft. Sie war eher der sportliche Typ. Kleidung musste bequem sein, nicht modisch, was sich leider nur all zu oft gegenseitig ausschloss. Das war Layla aber eigentlich auch ziemlich egal, denn auf Feste ging sie eh nur, wenn sie dies beruflich musste. Wenn sie Freizeit hatte, was leider nur zu selten geschah, dann gab es nur eines. Sport. Und dabei war Layla ein richtiger Adrenalinjunkie. Ausgefallene Sportarten wie Mountainbike fahren, Paragliding oder Fallschirmspringen, die zogen sie regelrecht magisch an. Deshalb war sie an den seltenen freien Abenden unter der Woche eher im Fitnessstudio, als zu Hause zu finden.

      Ganz besonders stolz war Layla auf ihren braunen Gürtel in Karate. Den hatte sie in nur drei Jahren erreicht. Selbst ihr Trainer war von ihrer Leistung beeindruckt gewesen. Er meinte immer zu ihr: „Klein, wie eine Maus, aber mit dem Kämpferherz eines ausgewachsenen Tigers“. Trotz, dass dieser Machospruch schon mächtig abgedroschen war, musste Layla immer noch darüber lachen.

      Die freien Wochenenden gehörten aber in den meisten Fällen ihrem Bike oder ihrem Gleitschirm. Und das alles bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 60 Stunden. Layla brauchte jedoch ihren Sport als Ausgleich für die berufliche Anspannung.

      Deshalb