Margret Jacobs

Abstellkammer - Makabere Kurzgeschichten


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dem Kind: Sie schlecht machen!

      Sie hatte dem Kind auch schon mal auf den Kopf zugesagt, dass es wohl wolle, dass sie – Frau B – bald tot sei. Das Kind hatte nicht reagiert. Also, hatte Frau B ihm mitgeteilt, dass sie wohl in zehn Jahren nicht mehr leben würde, weil ES nicht das tat, was richtig war. Auch das schien keine Wirkung auf das Kind gehabt zu haben. Dann hatte Frau B die Methode gewechselt und dem Kind gesagt, dass es ins Kinderheim käme, wenn es nicht das tat, was Frau B anordnete. Auch das hatte keine Wirkung gehabt.

      ES war so frech wie immer.

      Frau B hatte sich den Kopf zermartert. Was musste sie sagen oder tun, damit das Kind Ruhe gab?

      Ruhe, das war das, was Frau B wollte. Kein lärmendes Kind. Kein spielendes Kind. Kein lachendes Kind. Kein fragendes Kind. Das schon mal gar nicht!

      Hatte das Kind sich doch heraus genommen, sie noch vor dem Mittagessen in der Küche aufzusuchen und nach etwas zum trinken zu fragen! So eine Unverschämtheit! Als hätte sie nicht gerade vor der Mittagszeit genügend zu tun mit der Essenszubereitung. Was denkt sich so ein Kind eigentlich? Frau B schüttelte den Kopf.

      Leider war das Kind schon zu alt, um es wie früher in das Zimmer einzuschließen. Das Kind würde sich bemerkbar machen. Lautstark. So lautstark, dass es die Nachbarn hören könnten. Das war früher ganz anders gewesen. Das kleine Kind konnte sie in das Zimmer einschließen. Eine Schlüsselumdrehung und es war geschehen. Überall das Licht aus und raus aus der Wohnung, raus aus dem Haus, raus aus diesem Leben.

      Sie war immer gerannt. Hintenrum. An der Rückseite der Häuseranlage entlang. Stets darauf bedacht, dass sie niemand sah. Und wenn jemand sie ansprach, gab sie vor, sehr in Eile zu sein. Sie gab niemandem die Chance ihr zu nahe zu treten. Sie brauchte schließlich ihren Freiraum.

      Das Kind war eingeschlossen und zu klein, um ein Fenster öffnen zu können. Und dass es öfters weinte, dieses sentimentale, empfindliche kleine Ding, dass wussten die Nachbarn nur zu gut und hatten sich daran gewöhnt.

      Doch jetzt war das Kind groß und es konnte problemlos aus dem Fenster steigen. Und seine Stimme formten verständliche Worte. Es könnte um Hilfe rufen. Sie wäre blamiert! Nein, sie konnte dieses Kind nicht mehr wie früher wegsperren.

      Oder, was waren das für rosige Zeiten, als sie das Kind im Kinderwagen auf den Balkon stellen konnte! Ein Außenraum, weit weg von ihrer Küche. Genaugenommen am anderen Ende und auf der anderen Seite der Wohnung. Die Architekten hatten die richtige Wahl getroffen bei der Zimmeranordnung. Ja, das waren Zeiten!

      Und wenn sie dann ihren Mittagsschlaf hielt, war das Kind weit weg. Nicht zu hören am anderen Ende und auf der anderen Seite der Wohnung. Sie liebte die Ruhe! Dann musste sie sich keine Gedanken mehr machen. Das Kind war weg. Wenn auch nur für ein paar Stunden.

      >>Wann gibt es Essen?!<<

      Herr B ließ nie einen Zweifel daran, wann er ihr einen unmissverständlichen Befehl erteilt hatte. Dieser hier besagte: Das Essen muss jetzt auf dem Tisch stehen. Sofort!

      Frau B kannte diesen Unterton, der ihr klar machte, dass es keinen Sinn hatte zu sagen, dass sie noch zuerst dies und jenes erledigen musste, bevor sie seinen Befehl umsetzen würde. Das war so sinnlos, wie zu behaupten, sie hätte keine zwei Kinder.

      Sie seufzte. Wieder das Gleiche. Essen machen. Essen essen. Essen wegräumen. Essen verdauen. Essen wegbringen.

      ES lauschte an der Kinderzimmertür. Die Beiden unterhielten sich auf der Höhe der Küche. Also, war der Weg nicht frei. ES musste warten, bis ihre Ohren ihr sagten, dass Frau B weit entfernt von Herrn B steht. Das konnte eigentlich nur dann sein, wenn Frau B in den Keller ging. Manchmal ging sie in den Keller, um der Essenszubereitung und um Herrn B, wenn er Zuhause war, aus dem Weg zu gehen.

      Die andere Möglichkeit war, sie kam nach oben. Aber das nützte ES nichts. Frau B musste viele Meter Abstand zu ihrem Mann und zu ihrem Kind haben. Dann war für ES der Weg frei. Und das konnte dauern.

      Die Knie von ES zitterten vor Anstrengung. ES war gespannt darauf, ob es die Treppe nach unten überhaupt schaffen würde. Die Aussichten waren nicht gut. Denn die Käfer kamen wieder. Dicke, schwarze mit ekeligen Beinen. Sie krabbelten an der Tapete vor ES hoch. Die ganze Tapete schien zu leben. ES schluckte laut. Doch der Laut war nicht ein Stock tiefer zu hören.

      Frau B war in der Küche und knallte Teller auf die Arbeitsfläche. Essen machen. Essen essen. Essen schlucken.

      ES wollte schon für heute aufgeben und sich wieder in das schützende Bett zurück ziehen. Da hörte ES, wie Frau B aus der Küche trat und im Eilschritt nach rechts abbog. Rechts lagen nur die Tür zum Gästezimmer, wo jetzt das Telefon stand, die Tür zum Wohnzimmer, wo Herr B saß und die Treppe ganz nach unten. Zum Keller.

      Ja! Ja!, dachte ES. Ich habe Glück!

      ES machte sich zum Lauf bereit. Es wusste, es hatte nur wenige Augenblicke. Wenn Frau B im Eilschritt nach unten verschwand, würde sie im Eilschritt auch wieder oben angelangt sein. ES brauchte feste Knie und etwas Mut, um in ihrem Zustand, die Treppe runter zu eilen.

      Steintreppe aus hellem Marmor. Ein mal ausrutschen und man hatte sich etwas verstaucht oder schlimmeres.

      ES ergriff das Treppengeländer. Ohne Geländer würde ES es nicht schaffen. Ein verräterisches Knacken kam aus dem Schwarz des Plastikgeländers. Zu leise, befand ES und setzte schon mal den Fuß auf die nächste Treppenstufe. Nochmal horchen. Vorsichtshalber.

      Frau B hatte die Angewohnheit, nie etwas gezielt zu tun. Ständig vergaß sie etwas oder musste sich auf den Rückweg machen. Chaos in ihren Handlungen. Nur, wenn es darum ging, etwas zu tun, was nicht richtig war, dann war Frau B sehr zielgenau.

      ES hatte richtig vermutet. Frau B war nur die Hälfte der Kellertreppe herunter geeilt, dann hatte sie kehrt gemacht und war jetzt wieder an der Küchentür angelangt.

      ES fluchte leise. Und setze den Fuß schnell wieder zurück auf den Teppichboden vor der ersten Treppenstufe. Abwarten, ES musste einfach nur abwarten.

      Vater! Das dachte ES leise. Vielleicht würde er ES hören. Obwohl, das wäre schon ein unverschämtes Glück, bedachte man, dass Vater an beiden Ohren ein Hörgerät hatte und oftmals mit der Nase vor dem TV saß, um überhaupt etwas mitzubekommen. Oder war es Berechnung? Nichts mehr hören und sehen, um in Ruhe leben zu können?

      ES versuchte es erneut. ES schlich die Treppe runter. Frau B war in der Küche. Ziemlich nahe. Vielleicht würde es reichen. Von hier aus konnte ES die Hand von Vater sehen. Er hielt die Fernbedienung fest umklammert.

      ES brauchte nur mehr Willen, um es zu schaffen. Da saß die Erlösung und wusste von nichts..

      Frau B legte den Kopf schief. Ein Geräusch? Von oben? Leise schlich sie zur Küchentür und spähte um die Ecke. Tatsächlich! Das Kind hatte sich wieder ihr widersetzt. Es hatte das Bett verlassen, das Kinderzimmer verlassen und war auf dem Weg nach unten.

      Doch hoffentlich nicht zu Vater!

      Frau B schnaubte. Das Kind würde es doch nicht erneut wagen, sie zu blamieren? Aber war die Blamage dann nicht ganz auf der Seite des Kindes? Ein Kind hatte zu gehorchen. Den Eltern zu gehorchen. Und sie war als Mutter ein Elternteil. Also.

      Und war es nicht noch viel mehr als das? Sollte ein Kind seine Eltern nicht in Ehren halten? Was immer auch das hieß. Sich widersetzen gehörte nicht dazu! Eindeutig nicht!

      >>V A T E R!<< Wie eine Eruption mit Unterbrechung kam das Wort aus ES Mund. Hatte er es gehört? Die Rettung!

      Ja, war es die Rettung?! Es dem Vater sagen? Und dann? Was passierte dann? Schlimmeres?

      Frau B schob ihren Körper wie eine Dampflok aus der Küche.

      ES zuckte zusammen. Klar, Frau B hatte ihren Schrei zuerst gehört. Nicht die Rettung. Hatte Vater es überhaupt gehört?

      Wie wild schoben