Ursula Tintelnot

Tatjana - Stadt am Strom


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      Als die Ladentür sich erneut öffnete, verließen die Zwei erstaunlich schnell das Antiquariat.

      »Alles in Ordnung bei dir?«

      »Ich weiß nicht, Adam, diese Flegel«, sie wies mit dem Kopf zu dem Auto, das sich gerade in Bewegung setzte, »kamen mir sehr suspekt vor.«

      Adam sah dem Wagen nach und registrierte automatisch die Autonummer.

      »Meinst du, ich könnte auch einen Kaffee bekommen?«

      »Freak hat die Macht über die Maschine, frag ihn.«

      Sie sah ihm hinterher, als er ins Büro marschierte, nach einem Zettel griff, um die Nummer der Limousine zu notieren und sich gleichzeitig einen Kaffee einzuschenken.

      »Soll ich mal nachsehen, wer der Halter ist?«, hörte sie Freak fragen.

      »Untersteh dich, ich darf gar nicht wissen, dass du das kannst.«

      Wenig später sah sie Freak Adam einen Zettel reichen. Die beiden verstanden sich gut, obwohl sie so unterschiedlich schienen. Freak war schmal, mittelgroß und trug einen nicht sehr überzeugenden Ziegenbart. Trotz seines jugendlichen Alters begann sich sein Haupthaar bereits zu lichten. Er war immer in Bewegung, nervös, selbst dann, wenn er vor dem PC saß.

      Adam wirkte ausgeglichen und ruhig. Ein Bär, der aufmerksam durch sein Revier streifte. Ein auffallender Mann mit dichtem, immer ein wenig zu langem dunkelblonden Haar. Eines hatten sie allerdings gemeinsam, sie brannten für ihre Arbeit. Freak war ein Hacker aus Leidenschaft. Adam ein leidenschaftlicher Läufer. Er erledigte seine Aufträge, während er ging. Seine überaus kompetente Assistentin machte Telefonate, Termine und recherchierte im Internet. Er selbst lehnte es ab, viel Zeit in seinem Büro zu verbringen.

      Tatjana lehnte sich an den Türrahmen. »Seit wann bist du wieder hier?«

      »Seit gestern.« Adam trank einen Schluck Kaffee und fragte: »Kannst du dir für Samstag einen Babysitter besorgen?«

      »Ich weiß nicht. Ich müsste Monika anrufen.«

      Fritzi, die ihre Stellung auf der Leiter wieder eingenommen hatte, rief: »Ich kann am Wochenende auf Max aufpassen. Es sei denn, Adam, du möchtest lieber mit mir ausgehen.«

      »Ja, da fällt mir die Entscheidung jetzt sehr schwer.« Er lachte. »Aber nein, Fritzi, lieber nicht, ich habe Angst, dass mich dein eifersüchtiger Macker verprügelt.«

      Das Baby Phone gab Geräusche von sich. Tatjana löste sich vom Türrahmen, reichte Adam ihre Tasse und eilte die Eisentreppe hinauf, um nach ihrem Söhnchen zu sehen.

      ~~~

      Max hatte sich am Gitter seines Bettes hochgezogen und streckte ihr beide Arme entgegen. »Mama.«

      Außer Tatjana verstand noch niemand sein Geplapper. Sie drückte ihr Gesicht in seinen roten störrischen Haarschopf. Seine Bäckchen glühten vom Schlaf.

      »Mein Schatz,« flüsterte sie. »Wo dein Papa wohl gerade ist?«

      Jake war vor Wochen mal wieder in eines der Kriegsgebiete aufgebrochen, aus denen einige Journalisten nicht mehr zurückgekehrt waren. Sie wusste, dass sie ihn nicht zurückhalten konnte und versuchte es auch nicht, aber sie hatte Angst um ihn. Seine Suche nach dieser Form von Abenteuern, die in ihren Augen fast einer Todessehnsucht glich, konnte sie nicht verstehen.

      Jake war Ire. Sie hatte sich vor fast zwei Jahren Hals über Kopf in diesen großen schlaksigen Kerl mit seinen unzähligen Sommersprossen verliebt. Geblieben war ihr ein bezauberndes Baby, das seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich war, und eine unbestimmte Sehnsucht nach dem Mann, der sich auf liebenswerte Weise immer Distanz bewahrte. Eine Eigenschaft, die ihn zum Einzelgänger machte.

      »Nein«, hatte er einmal gesagt, »ich bin kein Mann, den man heiratet.«

      Er hat Recht, dachte Tatjana. Mit ihm verheiratet zu sein, konnte sie sich nicht vorstellen. Sie fütterte Max mit Bananenbrei und fragte sich, warum sich heute drei Kunden für ihre Notenblätter interessiert hatten.

      Tatjana bot eine, für einen so kleinen Laden, ungewöhnlich große Menge Musikalien an. Sie liebte Musik und das Studium der Musikwissenschaft, neben ihrer Ausbildung in einem großen Auktionshaus in London, hatte ihr Interesse daran noch weiter geweckt. Ihr damaliger Mentor war ein hervorragender Lehrer und ihr Doktorvater gewesen. Professor Jones hatte sie ihr ausgezeichnetes Wissen zu verdanken. Noch heute konnte sie ihn anrufen und fragen, wenn sie selber nicht zurechtkam. Ihre Doktorarbeit hatte sie ihrem Vater gewidmet.

      Normalerweise verschickte sie Angebote online. Mit der Zeit hatte sie sich einen kleinen ausgesuchten Kundenstamm aufgebaut. Sie kannte die Sammler und wusste, wer was suchte. Geeignete Objekte bot sie gezielt per Mail an. Ihr Antiquariat lag in einer engen Straße, in die sich nur wenig Laufkundschaft verirrte.

      Das Haus stand eingeklemmt zwischen zwei wesentlich höheren und breiteren. Es hatte zwei Stockwerke mit jeweils drei Zimmern, einer großen Küche und einem kleinen Bad. Und es gehörte ihr. Seit ihr Vater vor einem halben Jahr gestorben war, stand die Wohnung im zweiten Stock leer.

      Nachdem sie Max gewickelt hatte, ging sie mit ihm auf dem Arm nach unten. »Wir gehen jetzt arbeiten, mein Schatz.«

      ~~~

      »Adam meldet sich bei dir«, rief Fritzi ihr zu. »Freak ist auch gegangen, er musste zur Uni.«

      Tatjana zerrte das Laufställchen aus einer Ecke im Büro und setzte Max hinein. In dem winzigen Hof hinter dem Haus saß der Rote auf einer Bank und starrte sie an.

      »Jaja, ich komm schon.«

      Sie öffnete ihm die Tür. Ohne sie zu beachten, schritt er, den Schwanz wie eine Flagge gehisst, an ihr vorüber zu seinem Futternapf. Eines Tages war der Kater aufgetaucht und geblieben.

      Sie fuhr den Computer hoch und sah sich den neuen Katalog an, den sie heute noch rausschicken wollte. Für einige der Bücher aus einem Nachlass, hoffte sie schnell einen Käufer zu finden. Das Läuten der Ladenglocke ließ sie aufblicken.

      »Jemand Lust auf Kaffee?« Helen stand zwischen den Regalen und brachte den süßen Duft von Zimt mit. Sie balancierte ein Tablett mit Franzbrötchen und drei Coffee to go. »Was war denn bei euch heute los?«, fragte sie und stellte das Tablett neben Tatjana auf dem Schreibtisch ab.

      Helen betrieb mit Herbert, ihrem Mann, die Konditorei gegenüber und hatte neben köstlichstem Gebäck auch einen hervorragenden Blick auf Tatjanas Laden. Ihr entging nichts, was in der Straße passierte.

      Tatjana dachte: Helen weiß sogar, dass nur sie, Maximilian und Fritzi im Laden waren.

      »Hallo Maximilian.« Max bekam ein Milchbrötchen.

      »Mumm.« Ihr Sohn lachte Helen an und griff danach. Die beiden hatten ein sehr inniges Verhältnis, was nicht zuletzt auf dieser Art von Bestechung beruhte.

      »Ja, wir hatten eine Kundenschwemme wie selten.«

      »Die Männer waren auch bei mir«, sagte Helen. »Sie haben am Stehtisch Kaffee getrunken und deinen Laden beobachtet. Als der Typ in dem langen grauen Mantel deinen Laden verließ, sind sie rübergegangen.« Sie trank einen Schluck Kaffee und meinte dann: »Ich hatte den Eindruck, sie hätten darauf gewartet. Pass bloß auf, Tanja.«

      Fritzi kaute mit offensichtlichem Genuss ihr Franzbrötchen. »Die sind auffällig schnell verschwunden, als Adam erschien.«

      »Ist mir auch aufgefallen«, Helen schnappte sich ihr Tablett und zauste Maximilians Locken, »ich geh dann mal. Wenn was ist, schick ich Herbert mit der Teigrolle.«

      »Eine beängstigende Vorstellung.« Tatjana lachte.

      Herbert war ein Riese mit Händen wie Schaufeln und dem Gemüt eines Rehkitzes. Aber auch ihr war nicht ganz wohl, wenn sie an die heutigen Besucher dachte.

      ~~~

      Tatjana schloss die Tür hinter Fritzi ab,